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Susanne Falk: FAST EIN IDYLL

25.06.2022 | buch, CD/DVD/BUCH/Apps

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Susanne Falk:
FAST EIN IDYLL
Halbwegs wahre Geschichten
272 Seiten, Picus Verlag, 2022 

Was wäre, wenn – das darf man ja in der Geschichte bekanntlich nicht fragen, dort herrschen Fakten, nicht Spekulationen. Die Literatur hat hier einen größeren Spielraum, sie kann mit Gedankenexperimenten spielen. Was wäre etwa gewesen, wenn der greise Kaiser Franz Joseph bei einer Jagd in Ischl nicht den Hirsch getroffen hätte, den er zu sehen glaubte, sondern seinen Adjutanten? Nein, keine Katastrophe, selbst wenn der Angeschossene sterben sollte, dazu hat man seine Entourage, die so etwas in die Hand nimmt – so dass am Ende gar nichts geschehen ist und die kaiserliche Idylle gar nicht gestört wurde.

Und diese erste Geschichte ist gleich eine der besten, weil sie wirklich die Lebensrealität eines vereinsamten alten Herrschers umreißt, an den die Umwelt gar nichts mehr herankommen lässt. Klug gedacht und ausgeführt. Der Kaiser kommt übrigens in der letzten Erzählung noch einmal vor: Da besucht er unvorhergesehen die Schratt und will ihr von dem Jagdunfall, den er doch mitbekommen hat, erzählen. Aber auch die Dame wischt mit ein bisschen schnellem Sex und einem Gugelhupf alle dunklen Gedanken weg…

Die Biographien der Großen dieser Welt sind bekannt, allerdings nicht so festgeschrieben, dass man sich nicht immer noch ein Stückchen abschneiden und ins Spekulieren kommen könnte. Das tut Autorin Susanne Falk ihrem Buch „Fast ein Idyll“, das viele kurze Geschichten über viele berühmte Leute bringt. Erfundene Geschichten wohlgemerkt, aber nicht gänzlich unglaubwürdig. Dabei greift sie ins volle Leben der Berühmten, bietet bildende Künstler (Arcimboldo), Musiker (Johann Sebastian Bach, Beethoven, Brahms & Clara Schumann, Dinah Washington), Wissenschaftler  (Sigmund  Freud, Erwin Schrödinger), Herrscherinnen  (Kleopatra), Schrifstellerinnen  (Shakespeare und Marlowe, Percy B. Shelley, Goethe, Thomas Mann, Jane Austen mit fünf Briefen an ihre Schwester Cassandra – Cassandra Letters gibt es tatsächlich -, Selma Lagerlöf ), aus verschiedenen Gründen berühmte Frauen (Bertha von Suttner, Amelia Erhart, Coco Chanel, Henriette Caillaux, Emilie Flöge), SchauspielerInnen (Katharina Schratt mit Franz Joseph, Marlene Dietrich im Interview mit Alfred Polgar, Marilyn Monroe und John F. Kennedy, Josephine Baker), Sportler (Max Schmeling) – kurz, die Mischung könnte bunter nicht sein. Man muss das auch nicht chronologisch lesen, man pickt sich gerade heraus, worauf man Lust hat.

Natürlich ist nicht alles gleich gelungen und einsichtig. Ob Amelia Erhart, zumal die fliegende Dame bei uns nicht sonderlich bekannt ist, einmal eine Millionärin von L.A. nach Santa Barbara geflogen hat, obwohl sie noch gar keinen Flugschein hatte, aber die gebotenen 1000 Dollar gut brauchen konnte, bringt kaum Erkenntnisse und ist entbehrlich wie manches andere.  

Aber dann gibt es geradezu wunderbar gelungene Geschichten, die Atmosphäre atmen: Cleopatra im heißen Rom, Caesar hat keine Zeit, sich um sie zu kümmern, da klagt die Pharaonin in ihrem Garten einem sympathischen jungen Gärtner, ein mazedonischer Sklave, ihr Leid. Er hat so viel Verständnis, dass sie ganz gerührt ist – aber leider darf er die schwache Stunde einer Herrscherin natürlich nicht überleben…

Geradezu visionär ist die vielleicht reale vielleicht irreale Geschichte von William Shakespeare, dem Schauspieler, der einfach davonlaufen und nach Italien reisen will. Da begegnet er Christopher Marlowe, der doch eigentlich tot ist – oder nicht? Nein, sagt Kit Marlowe, er möchte nur als tot gelten und ungehindert in Italien leben. Und macht den Vorschlag, dass Shakespeare sich künftig als Autor seiner Stücke ausgeben möge… Oder hat Shakespeare, der nun doch nicht nach Italien fährt, das nur geträumt? Unter den vielen Theorien „Wer war Shakespeare wirklich?“ wird Marlowe schließlich immer wieder als Verfasser von dessen Stücken vermutet – und Susanne Falk hat eine besonders hübsche Geschichte daraus gemacht.

Ebenso gefällt, wie Marlene Dietrich im Sommer 1937 in St.Gilgen den sensiblen Alfred Polgar mit ihrer burschikosen Art zur Verzweiflung bringt. Er will ein Buch über sie schreiben, aber zum Interview ist sie nicht gelaunt, wenn sie nebenbei schnell ein Kalb bei dem Bauern, wo sie wohnt, zur Welt bringt. Aus dem Buch würde wohl nichts werden, vermutet Polgar damals. Falsch, er hat es geschrieben…

 So kann man das, nehmt alles nur in allem, anspruchsvoll-leichte Sommerlektüre nennen, die – wenn auch nicht alle Geschichten befriedigen – den Fokus des Lesers auf bekannte historische Persönlichkeiten lenkt. Und vielleicht hie und da das Interesse weckt, mehr über den einen oder anderen wissen zu wollen.

Renate Wagner

 

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