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STUTTGART/Schauspielhaus: EINIGE VON UNS / „She She Pop und Schauspiel Stuttgart

15.05.2015 | Allgemein, Theater

Uraufführung „She She Pop und Schauspiel Stuttgart“: „Einige von uns“ im Schauspielhaus Stuttgart

DEN THEATERTOD STERBEN
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Copyright: Julian Marbach
Uraufführung von „Einige von uns“ mit She She Pop und Schauspiel Stuttgart am 14. Mai 2015 im Schauspielhaus/STUTTGART
„She She Pop“ ist ein Performance-Kollektiv, das Ende der 90er Jahre von Absolventinnen des Gießener Instituts für Angewandte Theaterwissenschaft gegründet wurde. Mitglieder sind Sebastian Bark, Johanna Freiburg, Fanni Halmburger, Lisa Lucassen, Micke Matzke, Ilia Papatheodorou und Berit Stumpf. Auch bei der neuen Performance „Einige von uns“ werden auf der Bühne Entscheidungen getroffen sowie Gesprächsweisen und Gesellschaftssysteme ausprobiert. „She She Pop“ ist aber vor allem ein Frauenkollektiv – trotz männlicher Mitglieder. Die Theaterform ist experimentell – und so ist es auch in Stuttgart.

Zunächst sitzt das Publikum auf den oberen Rängen im Zuschauerraum, dann wird es von „She She Pop“ in einen imaginären Zuschauerraum auf der Theaterbühne gelotst. Frei nach Bertolt Brecht wird die Aufführung von Lehrstücken einstudiert: „Wenn ihr ein Lehrstück aufführt, müsst ihr wie Schüler spielen…“ Und in Brechts „Ozeanflug“ heißt es sinngemäß: „Hier ist der Apparat, steig ein“. „She She Pop“ ist für zwei Spielzeiten in den Apparat der Württembergischen Staatstheater eingestiegen. Eine größere Anzahl von Theaterpraktikern entfert sich hier aus den unterschiedlichen Arbeitszusammenhängen und betritt dann die Bühne des eigenen Lehrstücks. Im Chor werden so immer wieder kollektive Lobeshymnen und Hassreden auf die Arbeit angestimmt, ohne einer gewissen Monotonie zu entgehen. Man fordert Rechenschaft und stellt sich den prüfenden Fragen des Publikums. Die szenischen Formate sind dabei deutlich von Brecht entliehen: „Warum seid ihr hier?“ Die subtilen Befragungstechniken werden so auf die Spitze getrieben: „Worauf seid ihr stolz?“ Die Chöre beten im Laufe des Abends eine ganze Litanei herunter: „Einige von uns bekommen von ihren Arbeitgebern die Unterwäsche gestellt. Einige von uns entscheiden über andere. Einige von uns tragen bei der Arbeit schwarz…“ Doch die dramaturgische Spannung lässt sich angesichts der unübersehbar vielen Mitwirkenden nicht immer durchhalten. Es kommt gelegentlich zu Ermüdungserscheinungen, obwohl wichtige existenzielle Fragen schonungslos gestellt werden. Zuletzt wird das Publikum ultimativ aufgefordert, den symbolischen Theatertod zu sterben. Man spricht sich trotz Gegenwehr für die Erschießung der Zuschauerschaft aus. Aber es kommt nur zu einem Pistolenschuss, der in die Luft geht. Zuvor haben sich die einzelnen Darstellerinnen und Darsteller Schilder wie „das Arbeitstier“ oder „der Banause“ umgehängt. Man stellt sich verräterische Fragen: „Du hast komplett versagt – was ist passiert?!“ Der abrupte Wechsel von Teilnahme, Rückzug, Kontrolle, Eskalation, Verweigerung und Hingabe wird genüsslich ausgekostet. Die Theaterarbeit wird so ganz bewusst zum Experiment. „She She Pop“ wollen aber keine Darstellerinnen sein. Aus dem eigenen Erfahrungshorizont sollen vielmehr unterschiedliche Perspektiven entwickelt werden: „Einige von uns manipulieren ihre Kollegen.“ Zuletzt ist man sich dann einig, dass man sich uneinig ist. Das Verhältnis von Darstellern und Zuschauern soll neu gedacht werden. Man geht konsequent der Frage nach, wie Theater in diesem Zusammenhang politisch werden kann. Neue Modelle des Theaterraums werden so erkundet. Die ungeheure Mannigfaltigkeit des Lehrstücks steht wiederholt im Zentrum des Geschehens: „Wir wollen viel Liebe von euch…“

Aber stellenweise fühlt sich das Publikum dann auch überfordert: „Einige von uns brauchen Anerkennung, mehr Geld. Einige von uns stellen Tiere dar.“ Gelegentlich durchbricht man die sprachlich starre Syntax mit musikalischen Einlagen, die von elektrischen Apparaten an der Bühnenseite gesteuert werden. Das arbeitende Kollektiv kann sich aber nur mühsam verständigen. Ganz im Sinne Bertolt Brechts soll man hier so tun, als ob man nicht wüsste, was hier normal und selbstverständlich ist. So möchte man den verkrusteten Theaterapparat kräftig aufmischen. In Stuttgart gelingt das nur teilweise. Aber man spürt, wie sehr die Gruppe bestrebt ist, an diesem Konzept weiterzuarbeiten. Die gehörige Portion Humor ist dabei jedenfalls hilfreich. Aber das „mimische Material“ (so Brecht) droht dabei, sich einfach belehrend aufzulösen. Es fehlt manchmal Leidenschaft und Glut des Theaterspiels. 

 
Alexander Walther

 

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