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STUTTGART/Schauspiel: BREAKING THE WAVES von Lars von Trie. „Das Totenglöckchen läutet“

20.05.2015 | Allgemein, Theater

 Lars von Triers „Breaking the Waves“ im Schauspiel Stuttgart

DAS TOTENGLÖCKCHEN LÄUTET

Lars von Triers „Breaking the Waves“ am 19. Mai 2015 im Schauspielhaus/STUTTGART

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Karsten Riedel, Johann Jürgens, Wolfgang Michalek, Hanna Plaß und Maja Beckmann. Copyright: Conny Mirbach

In der suggestiven Regie von David Bösch erzählt „Breaking the Waves“ nach dem Film von Lars von Trier die Geschichte einer Passion. Für ihre Liebe ist die von Maja Beckmann grandios gespielte Bess bereit, alles zu opfern. Bühne und Video von Falko Herold passen hier bestens zusammen. Man sieht ein Trümmerfeld von Steinkreuzen, auf der rechten Seite stehen Heiligenfiguren und Badezimmer-Requisiten. In der konservativen und streng religiösen Heimatstadt an der schottischen Küste gilt die junge Frau als Außenseiterin, was drastisch zum Ausdruck kommt. Sie ist so stark in ihrem Glauben, dass sie immer wieder mit Gott persönlich spricht. Dann verliebt sie sich Hals über Kopf in den von Wolfgang Michalek vielschichtig gemimten Engländer Jan, der auf der Bohrinsel vor der Küste arbeitet. Das Glück der Liebe wird stark getrübt durch Jans Weggang, den Bess beweint. Danach gibt es zwischen den beiden humorvolle Szenen mit herabhängenden riesigen Telefonkabeln: Sie telefonieren miteinander, können sich nicht berühren. Das ist tragisch und komisch zugleich – wie jene Szene zuvor im Badezimmer, wo sie sich gegenseitig mit Wasser bespritzen. Dazwischen scheint ein Hubschrauber herabzuschweben. Und das Liebespaar betrachtet gebannt einen Kinofilm. Das sind fast schon surrealistische Szenen mit irrealen Lichtstrahlen, die sich ausbreiten. Man sieht durchgestrichene Zeichen als Synonym für die zerrinnende Zeit, die sich auf der ganzen Bühne im Nu ausbreiten. Ein guter Regie-Einfall. Dadurch steigert sich auch optisch immer mehr die Spannungskurve. Gabriele Hintermaier spielt Bess‘ Mutter als feiste Matrone, die ihrer Tochter wiederholt heftige Vorwürfe macht. Nach den Flitterwochen muss Jan wieder auf die Bohrinsel zurück, während Bess verzweifelt betet, dass er schnellstmöglich zurückkehrt. Dies geschieht tatsächlich, doch nach einem Unfall ist Jan schwer verletzt, gelähmt und hat keine Aussicht auf Genesung. „Ich habe Jan gerettet“, redet sie sich ein, doch sein Zustand verschlimmert sich. Zudem rät er ihr, sich einen Liebhaber zu nehmen, was sie zunächst empört ablehnt. Zu Dr. Richardson (ausdrucksstark: Matti Krause) fühlt sie sich hingezogen, doch es gelingt ihm nicht, sie aus ihrer Depression zu erlösen.

Hier bannt David Bösch in seiner aufwühlenden Inszenierung ganz starke Bilder auf die Bühne, die sich zuweilen in eine geheimnisvoll glitzernde Traumwelt verwandelt. Im Hintergrund sieht man in trübem Licht die verhängnisvolle Bohrinsel. Bess gibt sich in ihrer Verzweiflung fremden Männern hin, die sie vergewaltigen. Auch die von Hanna Plaß bewegend verkörperte Dodo kann ihr als engagierte Krankenschwester nicht helfen. Mit stoischer Härte stößt sie der von Robert Kuchenbuch gespielte Pfarrer als „Nutte“ schließlich aus der Kirche aus. Bess hat sich prostituiert und sinkt immer tiefer. Sie durchläuft praktisch Stationen der Passion Christi. Sie ist die Ausgestoßene des Dorfs, man wirft mit Steinen nach ihr – und sie bricht unter der Last des Schmerzes und der Schande am Kreuzweg vor dem Dorf zusammen.

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Maja Beckmann, Wolfgang Michalek. Copyright: Conny Mirbach

Lars von Triers Absicht, eine bestimmte Glaubensgemeinschaft zu kritisieren, kommt bei der hervorragenden Inszenierung plastisch zum Ausdruck. Da stimmt jedes Detail, es gibt keine szenischen Brüche. Menschen setzen sich hierbei mit geistigen Fragen auseinander und zerbrechen an den Extremen. Dies zeigt sich auch bei jener Passage, als der Pfarrer in der Begräbnisszene einen Verstorbenen zur ewigen Verdammnis in der Hölle verurteilt und Bess dabei keinerlei Skrupel empfindet. An den Machtstrukturen des Krankenhauses droht Bess zu zerbrechen, was ebenfalls überzeugend zum Ausdruck kommt. Als eine Art weiblicher Christus im Sinne Dostojewskijs stirbt Bess schließlich, während Jan sie auf Krückstöcken überlebt hat. Er schleppt sich mit letzter Kraft zu ihrer offensichtlichen Leiche. Doch auch dies ist ein Trugschluss: Denn die vermeintlich tote Bess steht plötzlich wieder auf und läutet die Totenglocke im Lichtkegel. Eine gespenstische Szene, die von elektrisierender Wirkung ist. Ein tiefer Riss geht hier durch das Dasein, das Unbekannte und Fremde bricht in die bekannte Welt ein. Romantisch wirkt dabei die Gültigkeit metaphysischer Fragen, die die Inszenierung nicht ausspart. Tabus werden bewusst verletzt. In weiteren Rollen fesseln Johann Jürgens als Terry und Karsten Riedel als Pits, der auch für die Live-Musik verantwortlich ist. Sie stellen die Männer dar, die Bess bedrohen. Die Kostüme von Meentje Nielsen und die Musik von Karsten Riedel kamen beim Publikum ebenso gut an, das begeisterte Ovationen spendete – vor allem für die Hauptdarstellerin Maja Beckmann. Ein großer Theaterabend.    

 Alexander Walther

 

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