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STUTTGART/Kammertheater: ANTIGONE von Sophokles/ Hölderlin. Premiere

10.01.2015 | Allgemein, Theater

UND ZULETZT ERTÖNEN SIRENENGESÄNGE

Premiere von „Antigone“ von Sophokles/Hölderlin am 10. Januar 2015 im Kammertheater/STUTTGART

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Foto: Oliver Fantitsch

Ganz und gar ungewöhnlich ist das Konzept des französischen Regisseurs Laurent Chétouane (der auch für die Bühne verantwortlich ist), denn er verteilt die Rollen der Tragödie „Antigone“ von Sophokles auf die verschiedenen Schauspielerinnen und Schauspieler Paul Grill, Berit Jentzsch, Caroline Junghanns, Johann Jürgens, Katharina Knap, Manja Kuhl, Roberta Mosca, Leo Schmidthals und Nathalie Thiede. Der auch als Choreograf tätige Regisseur beschäftigt sich in seinen Arbeiten intensiv und durchaus suggestiv mit dem Zusammenspiel von Text, Körper und Tanz. Dies zeigt sich auch in der Inszenierung von Sophokles‘ Tragödie „Antigone“ in der recht sperrigen Übersetzung von Friedrich Hölderlin. Die Söhne des Oedipus, Eteokles und Polyneikes, sind tot – was auf der kahlen, nur mit einem Tisch, Instrumenten und Notenständern bestückten Bühne zunächst eher nüchtern erzählt wird. Die Schauspieler verlesen dazu auch die Regieanweisungen. Man erfährt, dass sie sich im Krieg um die Königsherrschaft gegenseitig umgebracht haben. Kreon lässt als neuer König Eteokles als Verteidiger der Stadt ehrenvoll beerdigen, während er für Polyneikes ein Begräbnis bei Todesstrafe verbietet. Polyneikes gilt in Theben als verachtenswerter Angreifer. Und hier steigert sich dann das Tempo dieser nicht immer geglückten Inszenierung, deren Länge von dreieinhalb Stunden für viele Zuschauer bei der Premiere doch ermüdend war. Gut wird jedoch herausgearbeitet, mit welcher Heftigkeit sich deren Schwester Antigone über Kreons Verbot hinwegsetzt: „Hat mit der letzten Ehre denn nicht unsre Brüder Kreon gekränzt, beschimpfet, wechselweise?“ Antigone versucht den Bruder unter allen Umständen würdevoll zu bestatten und erfährt heftigen Widerstand. Da verhängt Kreon das Todesurteil über sie, wobei ihre Schwester Ismene und Antigones Verlobter Haimon (der zugleich Kreons Sohn ist) verzweifelt um ihr Leben flehen. Das aber ist vergeblich – und Laurent Chétouane macht dies auch drastisch deutlich, indem er die Darsteller unmittelbar und sehr direkt mit der Situation konfrontiert. Doch die Totengötter rächen sich, das Unheil nimmt seinen Lauf. Schließlich scheinen die Protagonisten dämonischen Sirenengesängen zu erliegen. Diese Szene ist am überzeugendsten. Da meint man fast die „Irrfahrten des Odysseus“ wiederzuerkennen. Instrumente wie Klavier, Cello, E-Gitarre und Schlagzeug werden zur Musik von Leo Schmidthals eher spärlich, aber durchaus subtil eingesetzt. Erst bei der Prophezeiung des Sehers Teiresias, dass ihn ein furchtbares Schicksal erwarte, lässt Kreon von seinem Starrsinn abkommen. Aber alles ist zu spät, denn als er seine Befehle rückgängig macht, hat sich Antigone bereits erhängt. Das alles findet bei der Aufführung sehr anonym statt, was nicht immer eine Stärke ist. Haimon erdolcht sich an ihrer Leiche. Kreons Gemahlin Eurydike hat sich deswegen ebenso das Leben genommen. Kreons schuldbewusste Klagerufe am Ende des Stückes besitzen Intensität: „…Ich Armer weiß nicht, was ich ansehn soll, und nicht, wohin ich gehe. Denn alles Schiefe hat hier in den Händen und hier mir auf das Haupt ein wüst Schicksal gehäufet.“

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Foto: Oliver Fantitsch

Der stark verinnerlichte Charakter dieser schwierigen Tragödie kommt bei der nicht immer schlüssigen Inszenierung aber klar zum Vorschein. Dazu trägt die Verteilung der Rollen auf die Schauspielerinnen und Schauspieler entscheidend bei. Antigones fromme, liebende Hingabe kommt deswegen aber auch zu kurz, man wünscht sich zuweilen noch mehr psychologisches Fingerspitzengefühl. Die tiefe Wahrheit angesichts ihrer Furcht vor dem Tode wird hier jedoch immer wieder plastisch und auch durchaus ergreifend deutlich. Wie sehr die Protagonisten immer wieder völlig außer sich geraten, macht der Regisseur ebenfalls plastisch greifbar. Die Schauspielerinnen und Schauspieler gehen dabei offen aufeinander zu – Kreons Starrsinn erscheint in geradezu tragischer Schroffheit und wilder Rücksichtslosigkeit. Dagegen begehren die Darsteller gewaltsam auf, der Raum wird teilweise zerstört. Gerade die eindringlichen Chorlieder treten bei der Aufführung wiederholt in bemerkenswerter Weise hervor. Und das berühmte Preislied auf den Menschen als den Herren der Natur läßt in seiner Intensität nichts zu wünschen übrig. Allmacht des Eros und Ausdruck der Klage geraten bei den gewaltigen Chor-Szenen nie aus dem Gleichgewicht. Das Programmheift weckt Assoziationen zu verschiedenen dramatischen Ereignissen der Jetztzeit, wobei antike Tragödie und heutige Dramen eng miteinander verknüpft werden. Erinnerungen an die furchtbaren Anschläge auf das World Trade Center in New York am 11. September 2001 sowie eine bevorstehende Flugzeugkatastrophe prägen sich tief ein. Dem Regisseur Laurent Chetouane geht es weniger um Tanz und eine ausgearbeitete Choreografie, sondern eher um Präsenz. Die körperliche Wahrnehmung steht so im Zentrum. Auch die Sprache wird hier einbezogen: Wie man dem Körper begegnen kann, kann man der Sprache begegnen. Diese „Antigone“ wird also aus einer Gruppe von verschiedenen Beteiligten heraus entwickelt – Schauspielern, zwei Tänzerinnen und einem Musiker. Die Gemeinschaft besteht hier aus einer geschlossenen Gruppe, was bei der Aufführung gut deutlich wird. Und die Kostüme von Sanna Dembrowski unterstreichen die geheimnisvolle Verbindung von Gegenwart und Vergangenheit. Katharina Knap erscheint einmal sogar in einem betont antiken, weißen Kostüm. Der Text wird vom Regisseur aufgeteilt, jeder Spieler hat so die Möglichkeit, Kreon oder Antigone zu werden. Figuren tauchen auf und verschwinden wieder. Dieses ewige Auf und Ab hätte die Inszenierung bei mehreren Szenen aber noch klarer zum Ausdruck bringen müssen. Die Ode an Antigone und Kreon kommt so nämlich zu kurz. Doch Laurent Chetouane hat überzeugend darüber nachgedacht, wie eine Figur hier überhaupt entsteht. Damit kommt er der Intention von Sophokles sehr nahe. Es geht Chétouane aber nicht um Improvisation, sondern um Präzision. Die Spieler müssen sich im Raum stets neu organisieren und aneinander orientieren. So entsteht ein wildes Spiel der Erwartungen, Antigone ist bei Chétouane die Figur des Begehrens. Sie verlangt in diesem Zusammenhang ultimativ den Tod. Sie bekennt ihrer Schwester: „Du lebst, doch meine Seele, längst ist sie tot, so daß ich Toten diene“. Das wird bei der Aufführung sofort klar. Daraus ergeben sich ungewöhnliche Spannungsmomente, das führt zu teilweise panikartigen Reaktionen. Die Schauspielerinnen und Schauspieler bearbeiten wie verstört und wild ihre Instrumente, sie flüchten auf die Klavieroberfläche, blicken in den Abgrund, vor dem sie ungeheure Angst haben, laufen marathonartig Amok. Das Theater wird bei dieser Inszenierung jedenfalls bewusst in Frage gestellt. Gerade deshalb könnte man sich vorstellen, dass sie auch noch weiter entwickelt werden kann. So wünscht man sich mehr Bühnenbild-Präsenz, die nackten schwarzen Wände lockern das Geschehen zu wenig auf. Alles in allem ist es aber ein interessanter neuer Ansatz des Regie-Theaters (Dramaturgie: Jan Hein, Mitarbeit: Joris Camelin).  

 

Alexander Walther

 

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