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STUTTGART: WOZZECK – Tod im Müllcontainer und Wasserbottich

13.05.2012 | KRITIKEN, Oper

Staatsoper Stuttgart: „WOZZECK“ 12.5. (Premiere) – Tod im Müllcontainer und Wasserbottich


Heinz Göhrig – der Narr als tanzende Todesgöttin. Copyright: A.T.Schaefer

Einerseits sollten bei Neuinszenierungen nicht Vergleiche mit Vergangenem angestellt werden, andererseits sollte sich die neue Aufrollung eines Werkes durch ihre gesamtheitliche Qualität rechtfertigen. Besonders dann, wenn die Vorgänger-Produktion Modell-Charakter und sich unvergesslich in den Erinnerungen eingebrannt hatte. Dies trifft auf Johannes Schaafs Erarbeitung der Berg-Oper aus dem Jahr 1993 zu, bei der der leider zu seltene Fall der Verquickung einer stimmig-magischen Bühnenlösung mit einer spannend konzentrierten Personenregie erzielt wurde. Dieser Gegenüberstellung muss sich die jetzige Einstudierung durch die Hausregisseurin Andrea Moses und ihres beständigen Bühnen- und Kostümbildners Christian Wiehle unterwerfen.

Die Zeitlosigkeit des Stoffes ist absolut keine Frage, die Unterlegenheit und das Ausgeliefertsein am unteren Ende der Gesellschaft lebender Menschen sind Zustände, mit denen wir täglich in irgendeiner Form konfrontiert werden. Ob die auf Georg Büchners dramatischem Fragment basierende Geschichte des Soldaten Woyzeck, der ob seiner obsessiven Ängste und seiner Getriebenheit vor den Gängelungen seiner Umgebung die Geliebte Marie tötet und beim Versuch, seine Spuren zu verwischen, ertrinkt, ohne Wenn und Aber in die heutige Zeit verlegt werden kann oder nicht doch besser aus einer gewissen zeitlichen Distanz heraus erzählt werden sollte, ist nicht eindeutig zu beantworten. Problematisch wird es, egal zu welcher Zeit, wenn in dieser doch sehr realistisch angelegten Handlung und grundsätzlich sehr exakt und durchdacht konzipierten Oper Text und Szene nicht übereinstimmen. Das betrifft hier vor allem die auf der Bühne total eliminierten Naturbilder, die im Rahmen des dank Drehbühnen-Einsatzes schnelle Verwandlungen und Szenenwechsel zulassenden Bühnenaufbaus sicher keine technische Hürde gewesen wären. Von diesen letztlich doch wenigen Ungereimtheiten und dem unerklärten Text-Eingriff, wenn der Doktor dem Versuchskaninchen Wozzeck statt des originalgetreu zu vielen Hustens zu häufiges Pissen vorwirft, abgesehen, überzeugt die Inszenierung durch eine unverblümt direkte Erzählkraft, die nicht schont, aber auch nicht drastisch überspannt wirkt. Mittelpunkt des Backstein-Bühnen-Gerüsts ist der Versammlungsraum eines Schützenvereins mit seitlich platziertem Klavier, deren Schankwirtin Marie ist. Die Rückseite bildet die Fassade ihrer Behausung, dazwischen befindet sich noch ein gekachelter Raum mit Wandspiegelschrank und Pissoir, zuerst des Doktors Ordinationsraum, dann Maries Badezimmer. Über diese Szene spannt sich eine Galerie, auf der immer wieder der durch die Handlung geisternde Narr im weiten schwarzen Kleid als eine Art Todesgöttin herumgeistert- und tänzelt ( Heinz Göhrig versteht sich darin wieder einmal in der Kunst auch kleinen und meist stummen Rollen ein scharfes Profil zu geben). Umklammert wird die Szene von einer frontal nahe am Bühnenrand stehenden Flucht von Spinden, die als einziges an das Kasernen-Milieu der Geschichte erinnern, hier aber auch als Umkleidekabinen für den Doktor und den Hauptmann dienen. In der letzten Szene treten die als Zigeuner und Indianer verkleideten Kinder aus diesen Wandschränken. Mariens Knabe (von Jan Christof Tomerl liebenswert zurückhaltend gespielt) wirkt fast zu schon groß und aus dem Alter hinausgewachsen, wo er auf die Todesnachricht seiner Mutter mit einem „Hopp hopp“ reagiert und diese ihn zuvor mit einem „eia popeia“ in den Schlaf wiegt.

Einen richtigen Druck in die Magengrube verursacht die einem krimigleichen Überraschungseffekt zustehende Tötung Maries und ihre Kopfüber-Entsorgung in einem Müll-Container. Wozzecks unbewusste Selbsttötung in einem daneben stehenden riesigen Wasser-Eimer auf der Suche nach der Tatwaffe entbehrt dagegen der Glaubwürdigkeit, wenn er den Deckel selbst über sich zumacht, und auch der unheimlichen Stimmung, die über dieser Naturszene am Teich liegt. Generell rückt die Beleuchtungs-Einrichtung von Reinhard Traub den ganzen Ablauf in das Kunst-Licht einer platten Umwelt und ist damit dem Gesamt-Konsens der Regie angepasst. So wie hier das Zusammenwirken aller Beteiligten pausenlos unter der Spannung von Bergs sogenannter „explosiver Stille“ steht und von ausnahmslos aufs Ganze gehenden Singschaupielern ausgefüllt wird, kann Andrea Moses zweite Stuttgarter Arbeit durchaus als gelungen, weil vor allem nicht gleichgültig lassend, bezeichnet werden.

Mit stoisch halluzinatorischem Blick, von dem er sich auch während des Schlussapplauses noch nicht ganz zu lösen vermochte, und der Unruhe eines Getriebenen durchlebte Claudio Otelli die Titelrolle mit einer Intensität, die stets ein Ausrasten befürchten ließ. Wie geschaffen ist dafür auch sein etwas grob geschnitzter Bariton mit dem markant aufgerauten Timbre und der Fähigkeit zu expressiv leise und gedeckt gehaltenem Sprechgesang. Christiane Iven setzt ihren dunklen Sopran sehr expansiv und bis an die Schmerzgrenze ein, dann auch wieder liedhaft und tonschön. Dazu legt sie in ihre doch schon sehr reife Marie viel Wandelbarkeit von der gefrusteten Mutter bis zur Darstellung weiblicher Reize gegenüber dem Tambourmajor. Dieser ist in Gestalt von Daniel Brenna auch kostümbedingt nicht der stolz Uniformierte, zu dem Marie begeistert aufschaut, sondern eher ein Halbstarker und Angeber, der sie in ärmellosem Shirt und Lederjacke mit dem Motorrad zuhause abholt und dazu einen bissfesten und passend exaltierten Tenor hören  lässt. Über einen solchen, allerdings mit üppigerer Höhenkraft und glasklarer Linie verfügt auch Gerhard Siegel als ordenbehangener Hauptmann, ohne den die Premiere hätte gar nicht stattfinden können. Am selben Tag war er für den erkrankten Torsten Hofmann eilends aus Augsburg nach Stuttgart gekommen, obwohl er erst am Vortag von Auftritten als Mime an der New Yorker Met zurück gekehrt war und somit sicher noch deutlich mit den Auswirkungen des Jetlag gekämpft haben dürfte. Das nennt man Professionalität, zumal er trotz nur einer noch möglich gewesen Einweisungsprobe in keinem Moment den Eindruck erweckte, ein Fremdkörper in diesem Ensemble zu sein und die Partie in der Verbindung von Textauslotung und vokaler Brillanz optimal ausfüllte. Roland Bracht gab dem übereifrigen Doktor mit seiner gesetzten Gestalt und der erzenen Bassfülle eine ausgleichende Ruhe und dennoch ironisch zugespitztes Format. Weit über den gesanglich schmalen Part hinaus bleibt Tina Hörhold als deftig berlinernde Margret in sexy Gewandung in vielen Szenen als präsente Darstellerin in Erinnerung. Gergely Németi, der ab nächster Spielzeit von der Wiener Staatsoper ins Stuttgarter Ensemble wechselt, gab mit lyrisch klangvollem und farblich apartem Tenor sowie sympathischer Bühnen-Erscheinung als Andres einen viel versprechenden Vorgeschmack. Beißenden Ausdruck investierte Mark Munkittrick in die philosophischen Beiträge des Ersten Handwerksburschen. Kai Preußker assistierte ihn in der Knappheit seiner Äußerungen korrekt. Auch wenn der Staatsopernchor (Einstudierung: Johannes Knecht) vokal wenig gefordert ist, seine schauspielerische Kompetenz kommt hier auch in stummer Form zum Tragen. Michael Schonwandt fand mit dem hier vor allem im Bläserbereich seine hohe technische Qualität beweisenden Staatsorchester Stuttgart zu einem Mittelweg zwischen der Radikalisierung des atonalen Gedankens und dem vor allem in den Zwischenspielen und der kurz vor Schluss erfolgenden Rekapitulierung und Überhöhung des Geschehens noch durchscheinenden spätromantischen Aufbäumen und zu jener Binnenspannung, die über der Partitur wie ein Pulverfass schwebt. Statt einzelner Partikel der mit mathematischer Genauigkeit konstruierten Komposition betont hervorzuheben, setzte er auf die Dringlichkeit des Ablaufs und damit auf die ununterbrochene Atemlosigkeit, die den Zuhörer am Ball hält. Alban Berg ist auch heute noch ein Moderner und macht den Schock der Uraufführungszeit 1925 unverändert begreifbar.

Einhellige Zustimmung und verdiente Ovationen für einen Opernabend, der trotz Bergs kühler Handschrift nicht kalt lässt.                                                     

Udo Klebes

 

 

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