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STUTTGART/Wilhelma-Theater: STREET SCENE – American Opera von Kurt Weill

Packendes Drama voll wilder Melodik

20.06.2018 | Allgemein, Oper


Foto: Oliver Röckle

Kurt Weills American Opera „Street Scene“ mit der Stuttgarter Musikhochschule am 19.6.2018 im Wilhelma Theater/STUTTGART

PACKENDES DRAMA VOLL WILDER MELODIK

Es gibt Werke, die zu Unrecht weniger bekannt sind. Dies gilt jedenfalls für Kurt Weills 1947 entstandene American Opera „Street Scene“. Sie basiert auf dem gleichamigen Theaterstück von Elmer Rice, das 1929 in New York uraufgeführt wurde und den Pulitzer Preis erhielt. 1946 willigte Rice in die Vertonung ein, die Songtexte schrieb Langston Hughes.

Es ist hier eine wirkliche Verbindung von Drama und Musik entstanden, die auch die subtile Inszenierung von Bernd Mottl betont (Bühne/Kostüme: Friedrich Eggert; Choreographie: Catarina Mora). In einem großen Stahlgerüst nimmt man dabei die Bewohner einer Hausgemeinschaft wahr, die das Geschehen hautnah miterleben. Die Fusion von Oper, Operette, Musical, Jazz und populärer Musik kommt bei dieser überaus gelungenen Produktion der Opernschule mit Studierenden der Staatlichen Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Stuttgart bestens zum Ausdruck.

An diesem Abend dirigierte Friederike Kienle ausdrucksstark die Studierenden der Instrumentalklassen der Musikhochschule, wobei diese Musik der Leidenschaft und des Todes wirklich unter die Haut ging. Die anderen Vorstellungen dirigierte meistens Bernhard Epstein. Intermezzi und Ostinato-Effekte wurden fulminant herausgearbeitet. Chromatische Passagen korrespondierten dabei feinnervig mit Glissando- und Tremolo-Sequenzen. Das kontrapunktische Gerüst lebte und flackerte immer wieder auf. Den aufbegehrenden Charakter dieser die Broadway-Zeit und Leonard Bernsteins „West Side Story“ schon fast vorwegnehmenden Musik arbeitete Friederike Kienle mit dem Orchester und den Sängern ausgezeichnet heraus. Richard Wagner und Richard Strauss möchte Kurt Weill hier ganz bewusst hinter sich lassen. Kürze und Schlagkraft dieser Musik erinnern auch immer wieder an Weills „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“. „Street Scene“ spielt in einer Straße in New York in einem Wohnhaus, das viele unterschiedliche Existenzen beherbergt. Die aktuellen Bezüge dieses Werkes hat Bernd Mottl als umsichtiger Regisseur glaubwürdig unterstrichen. Die Spannungen zwischen verschiedenen Religionen und Kulturen sowie die soziale Ungerechtigkeit kommen bei dieser Aufführung drastisch zum Vorschein. Intoleranz gegenüber Fremden, Zukunftsängste und fehlende Perspektiven prägen das Handeln der Protagonisten. Frauen spielen hier eine große Rolle, sie singen Wiegen- und Blueslieder und klatschen über Mrs. Maurrants Liebesleben. In ironischen Einschüben sieht man sogar die Freiheitsstatue. Auch der junge Buchanan bietet Gesprächsstoff, dessen Frau ein Baby bekommt. Carla Antunes interpretierte Mrs. Maurrants Arie über deren Sorgen und geheimen Wünsche mit weichem Timbre und tragfähigen Kantilenen. Die jungen Mädchen, die aus der Schule kamen, erhielten bei dieser Wiedergabe ebenfalls ein starkes melodisches Gewicht. Sam Kaplan beeindruckte mit seinem melodischen Song – und Rose Maurrant entschied sich bei ihrer Szene mit dem Chef Mr. Easter (facettenreich: Guillaume St-Cyr) für ihr ganz persönliches Leben.


Foto: Oliver Röckle

Die Rollen von Sam Kaplan und Rose Maurrant wurden in den einzelnen Vorstellungen abwechselnd in einer Doppelbesetzung gesungen: Koral Güvener, Paul Sutton (Kaplan) sowie Birte Markmann, Carolina Lopez Moreno (Rose). Immer gelang es den Gesangssolisten, schauspielerische Darstellung und gesanglichen Ausdruck in sehr überzeugender Weise zu vereinen. Die Liebesszene zwischen Rose und Sam geriet dann zu einem klanglichen Höhepunkt des ersten Aktes, dessen dynamische Steigerungen Friederike Kienle mit dem Orchester hervorragend betonte. Eher durchsichtig wirkte dann die „Morgenmusik“ des zweiten Aktes, wobei das Ensemble die thematischen Zusammenhänge und Motive auch hier optimal und passend betonte. Nach der Szene „Kinderspiel“ erklang Mrs. Maurrants Lied für ihren kleinen Jungen und ein tiefempfundenes und reich interpretiertes Duett zwischen Sam und Rose. Aus Eifersucht erschoss schließlich Frank Maurrant (packend: Timos Sirlantzis) seine Frau Anna Maurrant (bewegend: Carla Antunes), wobei sich der dramatische Charakter dieser Oper bis zum elektrisierenden Siedepunkt steigerte. Man dachte zuweilen auch an George Gershwins „Porgy and Bess“ mit ihren veristischen Anklängen. Da boten die Studierenden der Stuttgarter Musikhochschule wirklich eine beeindruckende und reife Leistung. Die Dramatik der Schluss-Szene steigerte sich dann noch einmal, als Roses Vater verhaftet wurde, nachdem dieser seine Frau getötet hatte. Auch die Trennung von Rose von Sam war unausweichlich. Der junge Mann blieb verzweifelt zurück.

In weiteren Rollen begeisterten bei dieser vom Publikum mit Ovationen gefeierten Erfolgsproduktion Paula Stemkens als Willie Maurrant, Beatriz Simoes als Emma Jones, Emanuel Fluck als George Jones, Daniel Fix als Vincent Jones, Tamara Pascual als Mae Jones, Robin Neck als Dick McGann, Malgorzata Roclawska als Greta Fiorentino, Maksim Pogrebniak als Lippo Fiorentino, Anna-Katharina Hilpert als Olga Olsen und Pascal Zurek als Carl Olsen. Ergänzt wurde dieses fabelhafte Ensemble von Diatra Zulaika (Jennie Hildebrand/Nurse 2), Elizaveta Volkova (Laura Hildebrand), Maximilian Arzt/Julian Franz-Maier (Doppelbesetzung Charlie Hildebrand), Johannes Mooser (Abraham Kaplan), Pavlina Chamantne (Shirley Kaplan), Jose Carmona (Daniel Buchanan), Anna Avdaljan (seine schwangere Frau), Arthur Cangucu (Henry Davis), Snaebjörg Gunnarsdottir (Salvation Army Girl 1, Nurse 1), Jasmin Hofmann (Salvation Army Girl 2), Leopold Bier (Murphy), Juan Yepes (Dr. Wilson), Hans Porten (Old clothes men), Kabelo Lebyana (Fred Cullen) und Gabriel Klitzing (Steve Sankey). Des weiteren spielten in Doppelbesetzungen Marlene Bohmeier/Nora Liebhäuser (Grace), Barnabas Csiszar/Julius Mayerhofer (Joe) und Ann-Sophie Jacob/Ayaka Yoshihara (Joan).   

Alexander Walther

 

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