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STUTTGART/ Wilhelma-Theater: SARDANAPALUS von Christian Ludwig Boxberg. VIRTUOSE SCHÖNHEIT DER ARIEN

02.03.2014 | KRITIKEN, Oper

STUTTGART/ Wilhelma-Theater: SARDANAPALUS von Boxberg. VIRTUOSE SCHÖNHEIT DER ARIEN

Opern-Wiederentdeckung im Wilhelma-Theater am 1. März: „Sardanapalus“ von Christian Ludwig Boxberg/

Ekhof-Festival 2012 - Sardanapalus - Stiftung Schloss Friedenstein Gotha Lutz Ebhardt (4)
Foto: Schloss Friedrichstein/Gotha/ Lutz Eberhard

STUTTGART Christian Ludwig Boxberg gehört leider zu den vergessenen Komponisten der Musikgeschichte. Er wurde 1670 geboren und wurde in der Leipziger Thomasschule ausgebildet. Im Jahre 1729 starb er, nachdem er den Rest seines Lebens als Organist in Görlitz verbrachte. Nach einem Streit um die Zukunft des Leipziger Opernhauses zog sich Boxberg zurück, weil er auf der falschen Seite stand und keine Aufträge mehr von den Veranstaltern erhielt. Zuvor hatte er fast sämtliche Libretti für den Kapellmeister Strungk geschrieben.

Seine Oper „Sardanapalus“ ist eine echte Wiederentdeckung, die im Jahrbuch der Opernwelt 2012 als beste Produktion ausgezeichnet wurde. Es handelt sich um die älteste deutschsprachige Oper in Mitteldeutschland. Erstmals seit der Ansbacher Uraufführung im Jahre 1698 wurde dieses Werk 2012 beim Ekhof Festival Gotha 2012 wieder aufgeführt.

Jetzt hat sie der engagierte Dirigent Bernhard Epstein zusammen mit der ausgezeichneten Compagnie Opera Baroque und dem nicht minder exzellenten United Continuo Ensemble mit fulminantem Orchester in Stuttgart wieder aus der Taufe gehoben. Die Handlung ist ungewöhnlich und aufwühlend – jedenfalls für die damalige Zeit. Sardanapalus frönt als letzter assyrischer Herrscher der Wollust, während sein Reich von feindlichen Armeen bedroht wird. Und an seinem Hof nimmt ein raffiniertes Intrigenspiel um Geiseln, die Ehefrau und die Geliebte des Herrschers seinen Lauf. Dies führt zum glücklichen Ende für tugendhafte Paare, aber zum Tod des lüsternen Herrschers und seiner Ehefrau. Sardanapalus lässt sich zuletzt mitsamt seinen Frauen und seinem Besitztum auf dem Scheiterhaufen verbrennen. Ungewöhnlich ist dann auch das positive Ende der Handlung, denn nach dem Sieg über die Gegner trifft das Publikum Arbaces (furios auch als Mars: Markus Flaig) und Belesius (facettenreich: Felix Schwandtke) wieder, die in einem glanzvollen Saal auf zwei Thronen Platz nehmen. Arbaces vergibt seiner Geliebten Agrina (mit voluminösem Ausdruck auch als Juno: Theodora Baka) und das Paar ist vereint.

Die Inszenierung und die Choreographie stammen von Milo Pablo Momm, der insbesondere auf die rhythmisch perfekt einstudierten Tanzszenen großen Wert legt. Das Trauma des Krieges und der Revolution spielt hierbei eine große Rolle. Dabei verwendet er auch Ausschnitte aus Fritz Langs Film „Metropolis“, der die traumatischen Erfahrungen des 1. Weltkriegs und der industriellen Modernisierung genial verarbeit. Selbst Asssoziationen zu Pasolinis Meisterwerk „Salo oder die 120 Tage von Sodom“ werden geweckt und kunstvoll mit der Handlung verwoben. Die grausame Welt des Marquis de Sade hinterlässt ihre Spuren. Der von Jan Kobow mit weichen, aber strahlkräftigen Kantilenen verkörperte König Sardanapalus und seine von Rinnat Moriah glanzvoll gesungene Gattin Salomena übertreffen sich in der melodischen Schönheit ihrer Arien gegenseitig. Hier erkennt man, dass Boxberg sowohl Johann Sebastian Bach als auch Wolfgang Amadeus Mozart beeinflusste. Der Katholik Saradanapalus herrscht bei dieser vielschichtigen Inszenierung betont lasterhaft und korrupt. Er lässt sein Heer von Weibern führen, verkeidet sich selbst als Weib und versinkt im Laster. Arbaces und Belesius hingegen repräsentieren den im Deutschen Reich sich durchsetzenden Protestantismus. Diese tragen zuletzt den Sieg davon, Saradanapalus‘ Gattin Salomena wird getötet. Die starke moralische Auf- und Abwertung der Figuren kommt auch bei dieser Aufführung plastisch zum Vorschein. Das gesamte Stück ist eine ziemlich gnadenlose Abrechnung mit dem scheinheiligen Katholizismus, die sich zudem in den satirisch zugespitzten Figurationen und Kantilenen wiederfindet. Im majstätisch wirkenden kontrapunktischen Satz blitzt bei den Bläserfanfaren auch immer wieder der Geist Georg Friedrich Händels auf. Milo Pablo Momm legt auf den ironischen Charakter dieser Aufführung großen Wert. Zuweilen macht sich ein karnevalesker Geist breit, der nach und nach alle Protagonisten erfasst und den Ernst der Handlung vergessen lässt. Die rauschhafte Bilderflut des Katholizismus wird bei dieser Inszenierung wiederholt persifliert. Hochaltäre und Jesuitenspiele werden dem Gespött der Zuschauer preisgegeben. Und die Donnergeräusche erinnern an die Bühne im Ludwigsburger Residenzschloss.  Sinn und Sinnlichkeit finden sich ferner in den auch chromatisch reizvollen Da-Capo-Arien, deren expressive Wirkung nicht zu kurz kommt. Schattenspiele der Gestik beherrschen bei Momm nuancenreich das Geschehen, das Theater wird zur hintersinnigen Metapher des Lebens. Durch den Lichtwurf erscheinen die Körper dreidimensional und werden höchst lebendig. Vor allem die Verbrennungsszene bleibt aufgrund des sich per Videoleinwand auf der ganzen Bühne ausbreitenden Feuers in beklemmend-starker Erinnerung. Zuvor hat sich Sardanapalus ein „feuriges“ Gewand anziehen lassen. Die Welt des absolutistischen „Sonnenkönigs“ Ludwig XIV. kommt verzerrt zum Vorschein – und dies vor allem bei der Hexen-Szene, die sogar an Mozarts „Zauberflöte“ erinnert, wo zunächst ein „altes Weib“ erscheint. Zurück bleibt eine reale Welt ohne Traum und Fantasie. Das abwechslungsreiche Modell der Opera Seria feiert immer wieder Triumphe.

Auffallend ist der Anteil der hohen Stimmen. Das amoralische Königspaar Salomena und Saradanapalus wird von den hohen Stimmen Sopran und Tenor gesungen, während das moralisch hohe Paar Agrina und Arbaces durch die tiefen Stimmen Mezzosopran und Bass gekennzeichnet wird. In weiteren Rollen brillieren bei dieser Produktion (die übrigens bald als CD-Aufnahme erscheinen wird) außerdem Cornelia Samuelis als Didonia/Diana, Franz Vitzthum als Belochus, Kirline Cirule (Misius/Cupido), Sören Richter (Atrax) und Philipp Nicklaus (Saropes).  

 Alexander Walther

 

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