Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

STUTTGART/ Wilhelma-Theater: EXPEDITION MOZART – Fesselnde menschliche Spiegelbilder

06.06.2014 | KRITIKEN, Oper

Expedition Mozart“ im Wilhelma-Theater Stuttgart

FESSELNDE MENSCHLICHE SPIEGELBILDER

Interessante Opern-Hommage unter dem Titel „Expedition Mozart“ als Premiere am 5. Juni 2014 im Wilhelma-Theater/STUTTGART

Expedition Mozart Foto C. Kalscheuer 1
Foto: Christoph Kalscheuer

In der „Zauberflöte“ verkündet Papageno verzweifelt: „Wenn ich wenigstens wüsste, wo ich wäre…“ Nun, man wusste bei den Studierenden der Stuttgarter Musikhochschule schnell, woran man war. Unter der Leitung von Bernhard Epstein (Opernschule) wurden sie vom Stuttgarter Kammerorchester sowie Studierenden der Bläser- und Schlagzeugklassen exzellent begleitet. Die Regie von Kathrin Prick verfrachtet die Handlung von Mozarts Opern in ein überdimensionales Auto, das zuletzt auch noch kunstfertig zerlegt wird – trotz aller Modernität hatte deswegen von Anfang an der Humor bei dieser Premiere seinen festen Platz. Die Dramaturgin Svenja Gottsmann unterstrich, dass Mozart eigentlich immer auf Reisen gewesen sei: „Ohne Reisen ist man wohl ein armseliges Geschöpf“. Das Bühnenbild von Kersten Paulsen trägt dieser Erkenntnis Rechnung, man sieht szenisch überall menschliche Spiegelbilder. Und das Publikum geriet auch rasch in ein Wechselbad der Gefühle. Kathrin Pricks Intention war es, eine Collage aus Puzzleteilen mit unbekannten Mozart-Stücken zu schaffen, was ihr auch weitgehend gelungen ist. So konnte man die Bekanntschaft mit dem witzigen Kanon „Leck mich im Arsch“ KV 231 machen, wo die jungen Sängerinnen und Sänger mit polyphoner Kunst ganz aus sich herausgingen. Neben der Sopranistin Lisa Böhm aus Deutschland gefielen auch Dafne Boms (Sopran, Brasilien), Alice Chinaglia (Sopran, Italien), Taxiarchoula Kanati (Mezzosopran, Griechenland), Jeanne Seguin (Sopran, Frankreich), Rita Varga (Sopran, Serbien/Ungarn), Tianji Lin (Tenor, China), Hansoul Moon (Tenor, Südkorea) oder Thomas Waaler Roshol (Bariton, Norwegen) – um nur einige der Mitwirkenden zu nennen.

Expedition Mozart Foto C. Kalscheuer 2
Foto: Christoph Kalscheuer

Kathrin Prick legt bei ihrer Inszenierung insbesondere Wert auf die psychologische Entwicklung der einzelnen Figuren. Die eigene Lebenssituation wird hinterfragt – Mozarts Opernfiguren werden so spürbar menschlich. Das Leben blühte in seiner ganzen Farbigkeit und Klangsinnlichkeit schon bei der vor Esprit nur so sprühenden Ouvertüre zu „Ascanio in Alba“ auf – und auch der dämonische Zauber von Mozarts „Don Giovanni“ („Per queste tue manine“) blitzte immer wieder grell auf. „Jeder Künstler strebt nach Ehre“, verkündete das junge Ensemble dann äusserst temperamentvoll beim „Schauspieldirektor“. Die heiter-kapriziöse Art und die an die „Entführung aus dem Serail“ erinnernde französische Vaudevilleform machten sich hell-leuchtend bemerkbar. Ein Höhepunkt der Opera seria mit leidenschaftlichen Gefühlsausbrüchen steigerte sich dann bei Ausschnitten aus dem „Idomeneo“ zu einem wahrhaft emotionalen Tumult: „Qual nuovo terrore…“ Der Seesturm schweisste das Ensemble in eindringlicher Weise zusammen. Das war ein Unisono-Höhepunkt, der es in sich hatte. Bruno Kliegl hatte danach beim Adagio für Glasharmonika KV 356 Mozarts magischen Klangzauber beschworen. Originell und ungewöhnlich wirkte zudem die Radiostimme von Martin Haider. Michael Klubertanz ist für die Radiomusik und das Arrangement der Pausencombo verantwortlich. Auch die Choreografie von Catarina Mora lotet subtil die rhythmisch-tänzerischen Möglichkeiten von Mozarts vielseitiger Musik aus. Die Sängerinnen und Sänger werden hier immer wieder zu bewegungstechnischen Höhenflügen herausgefordert. Bei der „Abendempfindung“ geraten die dynamischen Differenzierungen von Mozarts Musik ins Zentrum des Geschehens, wobei die jungen Interpreten auch leiseren Zwischentönen breiten Raum geben. Sehr reizvoll wird außerdem das Kyrie in Canon KV 89 als sphärenhafte Hintergrundmusik gestaltet, während die „Abendempfindung“ dazu einen außergewöhnlichen lyrischen Kontrast bietet. Mozarts Musik beschreibt die Ängste und Sehnsüchte seiner Figuren – und die Regisseurin Kathrin Prick hat sie umgesetzt, auch wenn manchmal die mystische Tiefe fehlt. Diese stellt sich erst gegen Ende der Aufführung ein, als die Bühne sich in ein Barocktheater zu verwandeln scheint. Da schimmert plötzlich unnatürliche „Zauberflöten“-Magie auf: „Die Strahlen der Sonne…“ Sarastro hat gegen die Königin der Nacht einen großen Sieg errungen. Mit der Windmaschine werden so wie im Ludwigsburger Theater Gewittergeräusche erzeugt. Und das Ensemble bot nochmals eine fulminante Gesamtleistung. Bernhard Epstein gelang es als Dirigent immer wieder in bemerkenswerter Weise, mit dem Stuttgarter Kammerorchester aus der Vielfalt der stilistischen Elemente eine sinnvolle organische Einheit zu bilden. Auf die gewählte Tonsprache mit ihrem individuellen Charakter legte man bei der Aufführung großen Wert. In ihrer Abschiedsarbeit hat sich Kathrin Prick der Frage nach der Aktualität Mozarts im Heute und Hier gestellt. Dabei bieten die unterschiedlichen Lebenssituationen der Studierenden aus elf Nationen eine interessante Grundlage. Die emotionale Tiefe dieser Musik wurde auch beim Finale aus der Sinfonie Nr. 40 in g-Moll KV 550 ausgelotet. Die todernste Musik entfaltete plötzlich unheimliche Größe. Eine dämonische Erregung schoss immer wieder feurig empor und verdeutlichte sich beim chromatischen Quartfall, der das harmonische Geschehen bestimmte. Und die g-Moll-Coda wurde mit klarer Intonation herausgemeisselt. „Wenn ich wenigstens wüsste, wo ich wäre…“ – diese verzweifelten Worte Papagenos aus der „Zauberflöte“ stehen als vielsagendes Motto über diesem Abend, der ganz vom jugendlichen Elan seiner Protagonisten lebt. Das unbekannte Reich des Sarastro öffnete sich allmählich auch für die Zuschauer im Wilhelma-Theater. Die hohe Kunst der musikalischen Menschenschilderung offenbarte sich zudem bei den Ausschnitten aus „Lucio Silla“ (eine kunstvolle Verschränkung von Staats- und Liebesaffäre) und der einst von Schubart hochgelobten „Gärtnerin aus Liebe“: „Wenn Mozart nicht eine im Gewächshaus getriebene Pflanze ist, muss er einer der größten Komponisten werden, die je gelebt haben.“ Neben Buffoscherzen überraschten bei der Produktion wiederholt die heftigen und leidenschaftlichen Gefühlsausbrüche, wie sie für Mozarts Werke typisch sind. Ein solcher Mozart-Kosmos ist vom Inszenierungsstil sicherlich etwas Neues, wird aber gerade jungen Menschen gerecht. Mozart kann seine Qualitäten als „Pop-Star“ so durchaus entfalten. Ein weiterer Pluspunkt ist die Bekanntschaft mit einigen unbekannten oder selten aufgeführten Werke Mozarts, so etwa Auszüge aus „Thamos, König von Ägypten“ oder „Mitridate, re di Ponto“. Die heroische Kraft von „La clemenza di Tito“ wurde konsequent durchgehalten. Für eine sonore Bass-Grundlage sorgten ferner Philipp Schulz (Bass, Deutschland), Seokhoon Moon (Bass, Südkorea) und Shinyoung Yeo (Bariton, Südkorea). Weitere gesangliche Glanzlichter zündeten Tanja Christine Kuhn (Sopran, Deutschland), Maja Macjen (Sopran, Slowenien), Inger Torill Narvesen (Sopran, Norwegen), Marie-Pierre Roy (Sopran, Frankreich) und Carmen Seibel (Mezzosopran, Deutschland) an. Auch Manuela Vieira (Sopran, Brasilien), Alice Fuder (Sopran, Deutschland), Chulhei Cho (Tenor, Südkorea), Yongkeun Kim (Tenor, Südkorea) und Thembinkosi Mgetyengana (Tenor, Südafrika) trugen zu der imponierenden Gesamtleistung bei.

Diese sehenswerte Produktion der Opernschule der Stuttgarter Musikhochschule lässt hoffen, dass die begabten Gesangssolisten (die allesamt schon ein Bachelor-Studium hinter sich haben) bald an vielen Opernhäusern Karriere machen – und das nicht nur in Deutschland mit seinen rund achtzig Spielstätten. Das Publikum feierte die Mitwirkenden jedenfalls mit großer Begeisterung.   

 Alexander Walther

 

Diese Seite drucken