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STUTTGART/ Theaterhaus: GREYHOUNDS – Anziehungskraft Rampenlicht. Premiere

Stuttgart„GREYHOUNDS“ (Theaterhaus) 2.11.2015 (Pr.1.11.) – Anziehungskraft Rampenlicht

Vier ehemalige Tänzer aus zwei Generationen vermochten der verlockenden Idee von Egon Madsen, noch einmal für ein Programm auf die Bühne zurück zu kehren, nicht zu widerstehen. Die magische Anziehungskraft des Rampenlichtes wie auch das Unvermögen die Berufung, für die sie viele Jahre hart gearbeitet und gelebt haben, einfach abzustreifen, verhalf so zu einem Wiedersehen mit ehemaligen Mitgliedern des Stuttgarter Balletts.

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Pfiffiges Quartett:   Julia Krämer, Marianne Kruuse, Egon Madsen, Thomas Lempertz (v.l.). Copyright: Regina Brocke

Egon Madsen als Initiator und einstiger Teil von John Crankos Ballettwunder braucht nicht mehr vorgestellt zu werden. Marianne Kruuse, seine dänische Landsmännin im selben Alter schon eher, weil sie bereits um 1970 herum John Neumeier nach Frankfurt und Hamburg folgte und dort später dessen Ballettschule bis zu ihrer Pensionierung vor zwei Jahren geleitet hatte. Julia Krämers Bühnenabschied liegt erst 11 Jahre zurück, so dass sie den meisten heutigen Ballettgängern als Erste Solistin noch in bester Erinnerung ist. Und Thomas Lempertz hatte sich bereits als 15jähriger aus der Cranko-Schule beim Musical-Projekt des Stuttgarter Balletts „On your toes“ in die Herzen des Publikums getanzt, ehe er später als flinker Solist das heitere Rollenfach besonders gut ausfüllte und mit 28 Jahren überraschend aufhörte, um sein Faible für die Mode unternehmerisch aufzugreifen und nebst der Gründung eines eigenen Fashion-Labels heute auch international als Kostümschöpfer zu wirken.

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Gemeinsame Erinnerung gegen den Schmerz:  Marianne Kruuse und Egon Madsen. Copyright: Regina Brucke

Als einstigem Teil des NDT3, der so erfolgreichen und vor einigen Jahren unverständlicherweise wieder eingestellten Seniorencompagnie aus Holland, ließ es Madsen keine Ruhe, so etwas in anderer Form wieder zu beleben. Warum nicht in Stuttgart, wo das Publikum eine ganz besondere Affinität zur Tanzkunst hat. Der durch schnell ausverkaufte Vorstellungen und viel Jubel belegte Erfolg dieses Programms, passend betitelt mit der Bezeichnung der amerikanischen Überlandbusse als Chiffre der beständigen Reise der Tänzer, sollte ihm Recht geben, damit einen vielversprechenden Start für eine vielleicht dauerhaftere Formation hingelegt zu haben.

Auf einer Bühne gelingt es den vieren mit wenigen Requisiten wie einem Tisch, Stühlen, einer Spiegelwand, einem Vorhang und Hüten in einer Mischung aus Tanz und teilweise clowneskem Spiel Reminiszenz ihres einstigen Könnens zu feiern, das immer noch so weit reicht, dass sie zwar extra angepasste, aber letztlich bis zu einem gewissen Maß doch fordernde Kreationen anspruchsvoller Choreographen leicht auszufüllen vermögen.

Das einstündige Programm beginnt mit einer Ansprache Egon Madsens, ehe Licht und Ton ihren Dienst versagen und ihm nichts anderes übrig bleibt, seine Worte im Tanz fortzusetzen. Gemeinsam mit den Kollegen und dem Choreographen Amos Ben-Tal hat er ein Entrée entworfen, in dem sich zunächst ungelenke Bewegungen und Dehnungen nach und nach in schön gestreckte Linien verwandeln und die Tänzer ihr Ballett-Know-how zurückholen. Dazu erläutern ihre Stimmen aus dem Off die Gründe für ihre damaligen Bühnenabschiede: Ängste vor Vorstellungen, älter gewordener Körper, Zeit für Kinder, Mangel an neuen Rollen.

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Natürlich und linienklar wie einst: Julia Krämer. Copyright: Regina Brocke

In einem einfühlsamen Solo von Mauro Bigonzetti bringt Julia Krämer, sitzend an einem Tisch, den Zwiespalt beim Betrachten von Erinnerungs-Bühnenfotos zwischen Anheftung am Körper und Zerreißen mit einem Aufflackern ihrer einstigen Ballerinen-Kunst schlicht und ergreifend zum Ausdruck.

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Immer noch gut durchtrainiert: Thomas Lempertz. Copyright: Regina Brocke

In rasender Geschwindigkeit als Sinnbild von Tänzerkarrieren hat Marco Goecke dem einstigen Solisten Thomas Lempertz, der die Spannung der Gestaltung und des Eintauchens in eine Rolle heute doch sehr vermisst, ein Solo auf den nach 11 Jahren Abstinenz noch erstaunlich durchtrainierten Körper choreographiert, mit den typischen nervösen, zuckenden und ruckartigen Motionen, die die Atemlosigkeit und die Ängste von einst assoziationsreich herauf beschwören.

Zu zweit blicken Marianne Kruuse und Egon Madsen in die Vergangenheit, indem sie das erste Auftragswerk an John Neumeier, den 1968 uraufgeführten Pas de deux „Separate Journeys“ in einer vom Choreographen abgewandelten Form zur passend sanften Musik von Samuel Barber noch einmal zum Leben erwecken und dabei in verkleinerten Bewegungen behutsam den Spuren von damals folgen – begleitet von liebevollen Blicken zueinander, die die Dankbarkeit signalisieren, den Druck von früher los zu sein, sich und anderen nichts mehr beweisen zu müssen.

Zuletzt bringt Eric Gauthier, dessen Dance Ensemble Madsen heute als Coach zur Verfügung steht, die vier mit einem launigen und pfiffigen Finale zu Musik von den Tiger Lilies noch einmal gehörig in Fahrt. Ein Drehstuhl und Mikrofonständer dienen als Stütze für Pirouetten bzw. als Begleiter mimisch imitierter Unterhaltung, in Regenmänteln gehen sie wieder auf die Reise, ausgelassen, mit Humor und Lust und dem Glück der Freiheit, nicht mehr dem Druck der Höchstleistungen von damals zu unterliegen. Ein bewegender, ebenso zurück wie nach vorne blickender Abend.

Udo Klebes

 

 

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