„COLOURS INTERNATIONAL DANCE FESTIVAL“ 25.06-12.07.2015 – Moderne Tanzvielfalt und buntes Fest für die Stadt
Der ehemalige Solist des Stuttgarter Balletts, Eric Gauthier, der seit 2008 erfolgreich „Gauthier Dance“ leitet, konnte sich dieses Jahr einen langjährigen Traum erfüllen und ein internationales Tanzfestival in der Heimatstätte seiner Company, im Theaterhaus Stuttgart, ins Leben zu rufen. Achtzehn Tage lang haben zwölf eingeladene Compagnien sowie die Haus-Company die Stadt mit einem bunten Tanzprogramm – von Tango (Sidi Larbi Cherkaoui), HipHop (Compagnie Käfig), Akrobatik (Circa) und Slapstick-Varieté (Jakop Ahlbom), über Gefühlsforschung (Gallim Dance), Physical Comedy Theater (Shaun Parker), ein gefilmtes Tanzstück für zehn Finger (Charlerois Danses), bis hin zu extremen Tanzexperimenten (Marie Chouinard) und einer neuartigen Carmen aus Afrika (Dada Masilo) – das Publikum begeistert, doch das war nicht alles. Wer Eric Gauthier kennt weiß, wie viel ihm daran liegt nicht nur dem Publikum nahe zu sein, sondern es auch zum Tanzen zu bewegen. COLOURS sollte vom Theaterhaus aus auf die ganze Stadt ausstrahlen und so zielten – auch schon im Vorfeld – zahlreiche Aktionen auf die Beteiligung des Publikums. So wurde zusätzlich zum Begleitprogramm bestehend aus Workshops für Tanzprofis wie -amateure, die von den Choreographen der Gastcompagnien angeboten wurden, auch für die breite Bevölkerung einiges organisiert. Mit dem XXL-Workshop in der großen Halle des Theaterhauses brachten Eric Gauthier und sein Ensemble 800 Menschen in Bewegung und dabei wurde ein Flashmob einstudiert, das später im Zentrum von Stuttgart, am Schlossplatz, aufgeführt wurde. Einige Tage vor der großen Eröffnungsgala wurde das Publikum beim großen öffentlichen Warm-up auf dem Stuttgarter Marktplatz volle drei Stunden aufgeheizt, wobei klein und groß problemlos mitmachen konnten. Was Laien unter professioneller Anweisung innerhalb kürzester Zeit erreichen können, wurde durch das Highlight der Show am Marktplatz eindrucksvoll gezeigt: zwei Gruppen von jeweils 36 Laien führten die COLOURS-Version der berühmten Ball Passing-Choreographie von Charles Moulton auf. Der berühmte amerikanische Choreograph wurde extra engagiert, um mit Mitarbeitern des Hauptsponsors, der Mercedes-Benz Bank sowie den Förderern „Friends of Gauthier Dance“ das genau getaktete Ball-Übergabe-Spiel einzustudieren. Drei Wochen haben beide Gruppen täglich jeweils eine Stunde geprobt und das Ergebnis war so ein Erfolg, dass Eric Gauthier die Gruppen einlud, bei der Generalprobe sowie bei der Eröffnungsgala nochmals aufzutreten.
Eine für die Stadt sicher neuartige Darbietung war unter anderem „S“ der Cirque-Nouveau-Compagnie Circa aus dem australischen Brisbane, eine deutsche Erstaufführung, die nach dem kurvigen 19. Buchstaben des Alphabets benannt wurde.
Auf stimmungsvolle Rhythmen des finnischen Komponisten Kimmo Pohjonen und dem Percussionisten Samuli Kosminen, eingespielt mit dem Kronos-Quartett, beginnt das Stück mit einer Tänzerin, die sich wie eine laut atmende Welle unter eine Glühbirne bewegt. Danach entfalten nach und nach sieben Akrobaten (vier Männer und drei Frauen) Tanz- und vor allem Akrobatikkunst der Extraklasse: Frauen werden um den Körper geschwungen als wären sie Bretter, steigen zusammen mit Männern zu menschlichen Pyramiden auf und lassen sich anschließend kopfüber furchtlos fallen, als wären sie mit Seilen gesichert, drehen horizontale Schraubensalti sowie Bahnen aus Flicks und Spagaten in allen Richtungen. Keine Frage, die Artisten bewegen sich auf der weißen Bühnen-Raute in schlichten schwarzen Kostümen, begleitet lediglich von Lichteffekten, am Rande des physisch Machbaren, sogar Teile bei denen sie mit Bänder im Mund aneinander gekettet sind, werden mühelos aufgeführt.
Atemberaubende Tanzakrobatik in „S“ der australischen Kompanie „Circa“. Foto: Justin Nicholas
Es sind keine grazilen Ballerinenkörper, die wir hier sehen, umso mehr erstaunt mit welcher Geschmeidigkeit sie sich bewegen und so den Eindruck erwecken, jeder könnte das, denn sie lassen sich von Anfang bis Ende die Höchstschwierigkeiten überhaupt nicht anmerken und vermitteln stets mit entsprechender Mimik ihre Botschaft. Zirkusteile wie mehrere gleichzeitig um die Taille und dann um den ganzen Körper einer Artistin kreisende Reifen, die parallel oder gegeneinander versetzt grüne und blaue Lichtwirbeln in die Nacht zeichnen sowie Klettern und Luftakrobatik an langen Stoffbahnen, die aus der Decke hängen, unterstreichen die „S“- Botschaft, die für „sinuous, seductive, sophisticated, sensual and savage (dt.: geschwungen, verführerisch, raffiniert, sinnlich und wild) stehen soll, so der Gründer und kreative Kopf der Compagnie, Yaron Lifschitz. Keine zarte Farbe, die Circa hier auf die Palette von COLOURS malt, jedoch erstaunlich und eindrucksvoll.
Eine ganz andere Stimmung verbreitete das Nederlands Dans Theater 1 mit „Spiritwalking“, zusammen mit dem Kronos Quartett, das nun hinten auf der Bühne live begleitete. Inspiriert wurde das berühmte Choreographen-Duo Paul Lightfoot und Sol León vom Glauben indianischer Schamanen, dass die Seele zeitweise unsere Körper verlässt, um so dem wahren Sein näher zu kommen. Der Beginn ist ganz in der Stille, danach leitet ein altes Volkslied aus Schweden „Tusen Tankar“ (dt. Tausend Gedanken) die nachdenkliche Stimmung ein. Die „Geisterwanderung“ wird anfangs von einzelnen Tänzern, zwischen denen es keine Berührung gibt dargestellt, jeder scheint in seinem eigenen Gang zu schweben, selbst das Pas de deux-Paar ist in einer eigenen Welt. Starre Mimik mit offenem Mund und nervöse Zuckungen, die die harmonischen Bewegungen unterbrechen, vermitteln den schmalen Grat zwischen den Welten, zwischen erhebender Trance und Schmerzen des Daseins.
„Spiritwalking“ von Nederlands Dans Theater 1 & Kronos Quartett Foto: Rahi Rezvani
Vermutlich als Gegensatz dazu wird im mittleren Teil des Stückes auf rotem Boden eine Art Gesellschaft gezeigt, die alles mechanisch zu erleben scheint. Die fließenden Kostüme werden nun durch Uniformen mit Kopfbedeckungen ersetzt, deutlich mehr Tänzer agieren nun in vielen synchronen Bewegungen einer Arbeiterbrigade ähnlich.
Dennoch scheint die Welt in zwei Hälften aufgeteilt zu sein, eine schwarze und eine weiße, was sich sowohl in den Kostümen als auch im Boden der Bühne widerspiegelt, der zunächst schwarz ist, um im letzten Teil wie ein Buch in weiß geöffnet zu werden. Spiritwalking erzählt von unserer Reise zwischen Diesseits und Jenseits, von Geistern, die Körper verlassen, von Erinnerungen an früheren Leben sowie von unserer Vergänglichkeit. Die Klänge von Philip Glass unterstreichen die Bilder auf der Bühne, dennoch bleiben am Ende viele offene Fragen zur Botschaft von Lightfoot und Leon. Choreographisch bietet Spiritwalking nichts Neues, das NDT-Ensemble wirkt jedoch wie immer sehr ausdrucksstark, was vom Publikum mit viel Applaus und Standing Ovations belohnt wurde.
Viele weitere Tanz-Farben wurden auf der COLOURS-Paillette gemalt. Auf den Säulen des Königsbaus in Stuttgart sind sie im Festival-Logo immer noch zu sehen, sicher eine schöne Erinnerung für das Publikum. 90% Auslastung über alle Vorstellungen stimmte die Organisatoren sehr glücklich, das Konzept, die Farbmischung, scheinen mehr als aufgegangen zu sein. 2017 soll der Erfolg fortgesetzt und Stuttgart erneut in Tanzfieber versetzt werden. Es wäre schön, wenn dies der Beginn einer neuen langjährigen Tanzfestivaltradition wird, Stuttgart ist mit seinem tanzbegeisterten Publikum sicher bestens dafür geeignet, somit toi toi toi!!!
Dana Marta