Copyright: Studiotheater Stuttgart
Live-Hörspiel „Lokalhelden“ am 27. Oktober 2018 im Studiotheater/STUTTGART
EIN EINBLICK IN DAS SEELENLEBEN DER JUGEND
Der 1976 geborene Jörg Harlan Rohleder hat in Tübingen und London Politikwissenschaft und Zeitgeschichte studiert und ist heute Mitglied der Chefredaktion von „Focus“. In seinem Roman „Lokalhelden“ beschreibt er scharfsinnig die Zeit in der ersten Hälfte der 90er Jahre in Stuttgart und Umgebung – aus der Sicht von Jugendlichen: „Wir hatten alle Chancen. Wir zogen vor, keine zu nutzen.“ In der gelungenen Textfassung von Günter Maurer und Philipp Alfons Heitmann agieren Sebastian Schäfer, Ronja Schweikert und Tobias Wagenblaß voller Emotionen. In Leinfelden-Echterdingen ist etwas los – Günter Maurers Regie lässt die Landschaft per Video von oben fotografieren, der Fernsehapparat flimmert unentwegt. Wir befinden uns am Vorabend des Digitalen Zeitalters. Schmall erzählt hier seine verwirrende Geschichte als „fabelhafter Lügner, Anstifter und Mitläufer“. Seine Kameraden erscheinen ihm bemitleidenswert. Mit seinen Freunden Enni, Brownsen und Wolle befindet er sich vor dem Abitur. In wechselnden Konstellationen kommen sie immer wieder zusammen, geraten aneinander und driften wieder auseinander. Das Lebensgefühl der damaligen Zeit wird detailliert zwischen Techno und Mainstream beschrieben.
Acid, Hiphop und Homecomputer bestimmen den Lebensalltag der Jugendlichen: „Das Fernsehen ist des Teufels.“ Immer wieder findet man die Jugendlichen in der Disco OZ, bis diese bei einer Drogenrazzia dichtgemacht wird. Die Hauptschüler erscheinen als „Lost boys“, die die Gymnasiasten verprügeln. Gleichzeitig werden bei den Gymnasiasten Drogen bestellt. Und die Hauptschüler fühlen sich abgehängt. Deren Anführer entpuppt sich als Kind von Eltern, die Mitglied der Zeugen Jehovas sind. Er nimmt Drogen und stirbt schließlich. Die Dealer erscheinen plötzlich als nette Schüler von nebenan. Dazu hört man dann immer wieder Musik von Nirvana, den Beastie Boys und Eurodancemusik. Die Schauspieler lassen die Handlung im Studiotheater sehr lebendig werden. In Form des Live-Hörspiels hört man auch die vielen Geräusche der Vorortkneipen, Technofeten und des Amsterdamer Coffeeshops. Auch das Landgericht und der Jugendknast kommen nicht zu kurz. Selbst das „Burger-braten-bei-Mäckes“ wird live erzeugt. Schmalls Lieblingssongs erklingen auf dem Keyboard.
Baden-Württemberg erscheint dabei als durchaus zwiespältig und voller Abgründe. Das Lebensgefühl einer Jugend auf den Fildern lässt Jörg Harlan Rohleder hier rasant und atemlos Revue passieren (Ausstattung: Jessica Dinger). Bei der Abiturfeier hält der Direktor eine „Bla-bla-bla“-Rede. Mit viel Spielwitz werden auch die ersten sexuellen Erfahrungen der jungen Leute thematisiert. „Deutschland ist Weltmeister“ lautet das Motto. „Im Altersheim können wir uns außer an Helmut Kohl an nichts erinnern“, so das ernüchternde Resümee.
Alexander Walther