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STUTTGART/ Studiotheater: BAHNWÄRTER THIEL nach Gerhart Hauptmann

Psychologisch meisterhafte Schilderung

16.12.2018 | Allgemein, Theater


Copyright: Daniela Aldinger

„Bahnwärter Thiel“ nach Gerhart Hauptmann am 15. Dezember 2018 im Studiotheater/STUTTGART 

PSYCHOLOGISCH MEISTERHAFTE SCHILDERUNG

In der subtilen Inszenierung von Christof Küster spielen und sprechen Marie Mayer, Karlheinz Schmitt und Johannes Schüchner gemeinsam und glutvoll die Erzählung „Bahnwärter Thiel“ nach Gerhart Hauptmann. Ein psychologisches Meisterstück.

In der Ausstattung von Maria Martinez Pena (Video: Oliver Feigl) und mit der suggestiven Musik von Martin Kohlstedt werden die Konturen und Stress-Faktoren einer obskuren Bahnhofsatmosphäre sehr lebendig. Man sieht im Hintergrund die riesigen Räder der Lokomotive, die sich langsam und fast schon monströs bewegen. Der Zuschauer registriert hier am Anfang einen gewissenhaften und gläubigen Menschen, den nichts aus der Fassung zu bringen scheint.

Nachdem Minna, seine erste Frau, bei der Geburt des gemeinsamen Sohnes gestorben ist, heiratet der Bahnwärter erneut. Seine zweite Frau heißt Lene. Es ist aber eine Zweckgemeinschaft, eine Vernunftehe, in der Thiel nicht richtig glücklich ist. Er muss hilflos zusehen, wie Lene seinen Sohn Tobias immer schlechter behandelt. Gleichzeitig hat er auch einen seltsamen geistigen Verkehr mit seiner verstorbenen Frau. Bahnwärter Thiel besitzt aber überhaupt nicht die Kraft, sich seiner Frau zu widersetzen. Auch dieser Aspekt wird in der Inszenierung gut herausgearbeitet. Er ist abhängig von ihr – und gleichzeitig sexuell hörig. Das Bahnwärterhäuschen wird für ihn so gleichzeitig zum Zufluchtsort. In der Nähe seines Arbeitsplatzes wird ein Kartoffelacker frei, der zu bestellen ist. Jetzt gerät Bahnwärter Thiel jedoch auf Abwege, was die drei Schauspieler in fieberhaft gespielten Passagen und Szenen eindrucksvoll auf die Bühne bringen. Die Situation wird für Thiel aussichtslos und er verzweifelt an seinem Schicksal. Die Abhängigkeit eines Menschen und alle denkbaren Verdrängungsmechanismen werden hier in spannungsvoller Weise variiert. Alltag und Wahnsinn prallen mit Wucht aufeinander. Probleme wie Kindesmissbrauch, sexuelle Abhängigkeit und Persönlichkeitsstörungen treten hier grell zutage und werden suggestiv inszeniert.

Die Aufteilung der Handlung in drei Personen ist da nur von Vorteil. Sexuelle Geräusche vermischen sich mit Zuggeräuschen. Man erfährt, dass Bahnwärter Thiel eines Tages seinen Sohn Tobias überfahren hat, was ihn dann völlig aus der Bahn wirft: „Sausen und Brausen füllte sein Ohr„. Gleichzeitig sieht er immer wieder seine verstorbene Frau: „Die Erde bebte„.

Als der vom Zug überfahrene Tobias schließlich stirbt, kommt es zur Katastrophe. Thiel tötet seine zweite Frau und ihr neugeborenes Kind. Und er wird in eine Irrenanstalt in Berlin eingewiesen. Man erfährt, dass sich ähnliche Tragödien vor allem beim Nachbarn abspielen. Es ist zuletzt von einem „Blutregen“ die Rede, der vom Himmel fällt. Das erzählt Christof Küster immer wieder in atemlosen Bildern. Das macht auch den Wert dieser Inszenierung aus.

Alexander Walther   

 

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