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STUTTGART/ Staatsoper: MEFISTOFELE von Arrigo Boito. Premiere

Die Liebe und die Ewigkeit

17.06.2019 | Allgemein, Oper


Mika Kares (Mefistofele)und der Staatsopernchor.  Foto: Thomas Aurin

Premiere „Mefistofele“ von Arrigo Boito am 16.6.2019 in der Staatsoper/STUTTGART

Die Liebe und die Ewigkeit

In der Inszenierung von Arrigo Boitos einziger Oper „Mefistofele“ von Alex Olle (La Fura dels Baus) und der Bühneneinrichtung von Alfons Flores (Kostüme: Lluc Castells) schichten sich die Fantasien Mephistos übereinander. Schwarze Romantik und Schockästhetik haben hier durchaus ihren Platz. Himmel und Hölle sind zweigeteilt, auf der Bühne dominieren riesige Gerüste, die sich immer wieder grün oder rot verfärben und eine unheimliche Aura hinterlassen. Dazu kommen gespenstische Geräusche zwischen den einzelnen Akten. Bei dieser großen metaphysischen Erzählung geht es vor allem um die Erlösbarkeit der Seele. Die Welt wird in Form einer silbernen Kugel dargestellt. Beim Prolog im Himmel geht es um den Dialog zwischen Gott und Teufel.

Im ersten Akt sieht man einen müden Faust, der sich  mit seinem Adlatus Wagner über Gott und die Welt unterhält. Es kommt schließlich zum Pakt zwischen Faust und Mephistopheles in der Unterwelt. Das große Gerüst wird hochgefahren. Im zweiten Akt umwirbt der verliebte Faust heftig die junge Margarete, während Mephistopheles mit der offensiven Marthe flirtet. Und Margarete lässt sich schließlich von Faust verführen. Faust hat Margarete verlassen und feiert einen orgiastischen Hexensabbat, der auf der Bühne zu einem heftigen optischen Höhepunkt wird. Im Kerker erwartet Margarete im dritten Akt ihren Henker, denn sie hat unwissend ihre Mutter mit dem Schlaftrunk vergiftet und aus Verzweiflung ihr Kind ertränkt. Bei dieser entscheidenden und auch ergreifenden Szene erscheint Faust mit Mephistopheles, um sie zu retten. Als sie jedoch in Mephistopheles‘ Gestalt das Unmenschliche erkennt, entscheidet sie sich für den Tod.

In Alex Olles Inszenierung stürzt sich die verwirrte Margarete zeitweilig sogar in die Arme von Mephistopheles und stößt Faust von sich. Im vierten Akt kommt es dann nochmals zu einer gewaltigen dramaturgischen Steigerung und Verwandlung, denn dort begegnet Faust der legendären Helena von Troja, die sich ihm bereitwillig hingibt. Hier besitzt die Inszenierung fast die Aura einer Lido-Revue. Er glaubt nun, das Geheimnis der Liebe und der Ewigkeit für sich entdeckt zu haben. Diese Szene hat in der Inszenierung einen starken visuellen Reiz. Wenn Faust dann im Epilog in seiner Studierstube ist und von Mephistopheles immer stärker bedrängt wird, erreicht diese Inszenierung ihren dramatischen Höhepunkt. Denn im Hintergrund rückt der Chor der Engel unaufhaltsam näher, treibt Mephistopheles stark in die Enge. Dieser schneidet Faust zuletzt die Kehle durch, kann aber nicht verhindern, dass Faust schließlich von Gott gerettet wird. Mephistopheles sieht sich um Fausts Seele betrogen. Der Regisseur möchte hier die grausame Wildheit des Bösen ausdrücken. Frustration, Angst und seelischer Schmerz werden in teilweise erregende, aber auch bedrückende Bilder gepackt. Insbesondere die Höllengesellschaft beschwört die Schauer des Untergangs. Mephistopheles agiert als zur Liebe unfähiger Psychopath, der in einer Extremsituation zum Morden bereit ist. Das verzerrte Realitätsbild wird so grell beleuchtet. Faust tritt hier immer wieder auch als Alter Ego von Mephistopheles auf. Und Mephistos Visionen stauen sich Szene für Szene durch zusätzliche Schichten auf. Das sind dann die stärksten Momente dieser Regiearbeit, die gerade in der mystischen Behandlung dieses Stoffes manche Schwächen aufweist.


Olga Busuioc. Antonello Palombi, Fiorella Hincapie und Mika Kares. Foto: Thomas Aurin

 

Unter der energischen Leitung von Daniele Callegari musiziert das Staatsorchester Stuttgart mit viel Fingerspitzengefühl. Dies gilt vor allem für die zahlreichen chromatischen Passagen, die Tremolo-Sequenzen, feinnervigen Pizzicati und die eigenartige harmonische Färbung, die den Klangfarbenreichtum des Werkes offenbaren. Auch die eigenwillige Behandlung des musikalischen Satzes, der harmonischen Schichtung und der rhythmischen Gliederung kommen nicht zu kurz. Die gewaltigen Bläser-Rufe erinnern ganz entfernt an Wagners „Rienzi“, zuweilen bleibt auch Verdi spürbar. Man begreift bei dieser Aufführung, dass „Mefistofele“ von Arrigo Boito vor allem eine großartige Choroper ist. Dazu trägt der hervorragende Staatsopernchor sowie der Kinderchor der Staatsoper Stuttgart in der subtilen Einstudierung von Manuel Pujol und Bernhard Moncado entscheidend bei. Das reiche polyphone Geflecht wird so zielgerichtet entwirrt. Der finnische Bass Mika Kares kann als Mefistofele mit voluminösem Ausdruck und klarer Diktion überzeugen, während die stimmstarke Sopranistin Olga Busuioc die Zuhörer in der suggestiven Doppelrolle als Margherita und Elena mit leuchtkräftigen Spitzentönen und schillerndem Timbre fesselt. Nicht ganz so gut gelingt Antonello Palombi die Rolle des Faust, weil er die Töne in den Höhenlagen oftmals fast gewaltsam nach oben stemmt. Trotzdem besitzt der Tenor viel Talent und sorgt für glanzvolle szenische Augenblicke – vor allem bei den Auseinandersetzungen mit dem Teufel.


Mika Kares (Mefistofele).  Foto: Thomas Aurin

In weiteren Rollen gefallen Christopher Sokolowski als Wagner/Nereo sowie Fiorella Hincapie als Marta und Pantalis. Diese Koproduktion mit der Opera de Lyon bekam viel Publikumsbeifall und Jubel (szenische Einstudierung: Susana Gomez und Tine Buyse).       

Alexander Walther

 

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