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STUTTGART/ Staatsoper: MADAMA BUTTERFLY

14.05.2015 | Allgemein, Oper

EINE STIMMLICHE ENTDECKUNG

Zweite Aufführungsserie von Puccinis „Madame Butterfly“ am 13. Mai 2015 in der Staatsoper/STUTTGART

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Foto: A.T.Schäfer

In der zweiten Aufführungsserie im Mai 2015 singen Alexia Voulgaridou Cio-Cio San und Andrea Shin Pinkerton. Die in Griechenland geborene Alexia Voulgaridou studierte unter anderem am Konservatorium München bei Daphne Evangelatos und Astrid Varnay, trat bei den Bregenzer Festspielen auf und sang am Prinzregentheater in München unter Sir Colin Davis. Sie kann ohne weiteres als stimmliche und darstellerische Entdeckung gelten, denn es gelingt ihr, den starken weiblichen Charakter von „Madame Butterfly“ mit großer Leidenschaft zu verkörpern. Gerade das Leiden der Hauptfigur geht so unmittelbar unter die Haut. Die Inszenierung von Monique Wagemakers (Bühne: Karl Kneidl; Kostüme: Silke Willrett) präsentiert wenig Requisiten, bietet aber dafür eine starke Konzentration auf die Figuren. Symbolische Wirkungskraft besitzt die große Glasplatte, die zahlreiche Spiegeleffekte suggestiv freisetzt. Das Geschehen wird so teilweise aus der Himmelsperspektive gezeigt. Im zweiten Akt steht ein Fernsehgerät fast im Mittelpunkt des Geschehens: Es zeigt die Hochzeitszeremonie von Cio-Cio San mit dem Leutnant der Marine Pinkerton. Die verlassene „Madame Butterfly“ versucht dieses künstliche Bild aber vergeblich lebendig werden zu lassen. Trotz mancher szenischer Schwächen gelingen die dramatischen Auseinandersetzungen in dieser Inszenierung überzeugend: Dies gilt zum einen für die Verstoßung Butterflys durch ihre Familie, wo Roland Bracht als im Rollstuhl sitzender Priester und Onkel Cio-Cio Sans mit robuster Bassgewalt hervorragt. Zum anderen erreicht Andrea Shin als empörter Pinkerton (der seine Braut heftig verteidigt) hier fast seine größte Intensität. Aber auch das berührende „Blumenduett“ von Cio-Cio San mit ihrer Dienerin Suzuki fesselt aufgrund der bewegenden Darstellungskunst von Alexia Voulgaridou und Helene Schneiderman. Weitere „Highlights“ dieser Aufführung sind die erregten Auseinandersetzungen um das Kind Cio-Cio Sans (Anastasija Harms), die sich immer weiter zuspitzen. „Madame Butterfly“ leidet deswegen in einem sich spiegelnden Blumenmeer Höllenqualen. Sie wartet vergeblich auf Pinkerton, der sie verlassen hat. Deutlich wird bei Monique Wagemakers‘ Inszenierung aber auch, dass das Kind zuletzt als Herrscher des Universums erscheint. „Madame Butterfly“ muss ihr Kind zuletzt Pinkerton und seiner neuen Frau Kate (sehr im Hintergrund: Pia Liebhäuser) überlassen – und eine große Videoprojektion (Dramaturgie: Klaus Zehelein) zeigt den Kopf des herannahenden Jungen in überdimensionaler Größe, nachdem sich seine Mutter getötet hat. Für Wagemakers geht es bei diesem Stück nicht nur um den Zusammenstoß einer Figur mit einer anderen Figur, sondern auch um die Reduzierung auf eine Figur als „Japanische Tragödie“. Für die Regisseurin hat sich Cio-Cio-San zu sehr für eine Sache entschlossen – und das ist das Drama, das trotz mancher szenischer Schwächen deutlich zum Ausdruck kommt. Vor allem die seelischen Verletzungen dieser komplizierten Figur kann Alexia Voulgaridou sehr gut darstellen. Man begreift in entscheidenden Momenten wirklich, dass diese Frau ihre Würde verloren hat und deswegen ihren gesellschaftlichen Stand verlassen muss. Sie hat sich also bewusst für dieses neue Leben entschieden. Mit der triumphal auskomponierten Stelle im zweiten Akt hat sich das Inszenierungsteam ganz besonders beschäftigt (szenische Einstudierung der Wiederaufnahme: Ludivine Petit). Es geht hier um die Frage des Kindes, das erst in dem Moment auftaucht, in dem es Garant zu sein scheint für die Bindung an Amerika. Zu Beginn des zweiten Aktes ist das Kind eigentlich gar nicht vorhanden. Und erst in dem Moment, in dem Butterfly im Gespräch mit Sharpless nichts mehr in der Hand hat, was sie an Pinkerton bindet, wird dann das Kind hervorgezerrt. Suzuki wiederholt Butterflys Worte immer nur mit einem Fragezeichen. Das stellt Helene Schneiderman bei der Inszenierung plastisch heraus. Bemerkenswerte Klarheit erhält bei Wagemakers auch der Auftritt des von Dominic Große mit sonorem Unterton verkörperten Fürsten Yamadori im zweiten Akt, der Cio-Cio San unbedingt heiraten will. Nach der unglaublichen Auftrittsmusik macht „Madame Butterfly“ Yamadori lächerlich. Rein musikalisch kann diese Aufführung noch mehr überzeugen als szenisch.

Der Dirigent Ivan Anguelov arbeitet mit dem Staatsorchester Stuttgart die subtile Durchsichtigkeit dieser exotischen Partitur feinnervig heraus. Die Vorhaltsbildungen der Melodie am Phrasenende werden von den Sängern teilweise hervorragend betont – allen voran von Alexia Voulgaridou. Butterflys Melodie wirkt hier immer wieder sehr organisch. Und die harmonische Fortschreitung in Basslinie und Akkordsubstanz bezieht sich bei dieser Interpretation ganz deutlich auf das gemeinsame Fundament der Ganztonleiter und des übermäßigen Akkords. Veränderte motivische Gestalten besitzen so musikalisch klarere Konturen als bei der szenischen Darstellung, wo manche Details zu verschwimmen scheinen. Die harmonische Basis des „Butterfly“-Themas unterstreicht der Dirigent Ivan Anguelov sehr präzis. Auch der von Christoph Heil wieder sorgfältig einstudierte Staatsopernchor Stuttgart betont hier die sphärenhafte Durchsichtigkeit dieser Partitur. Ivan Anguelov macht aber nicht allzu deutlich, wie sehr Puccini dabei die japanische Musik ignoriert. Anklänge an die ostasiatische Musik beherrschen vor allem die klangfarblichen Momente. Zarteste Stimmungsakzente stehen dabei neben gewaltigen dynamischen Ausbrüchen voll ungheurer Kraftentfaltung. Die leitmotivische Funktion bestimmter Tonsymbole sticht vor allem beim Fluch des „Onkel Bonzo“ facettenreich hervor. Auch die Situation des Wartens in der auf fünf Tonstufen im Stil der Pentatonik aufgebauten Musik mit den geheimnisvollen Brummstimmen des Chores zeigen alle Reize des italienischen Opernmelos. In weiteren Rollen überzeugen Motti Kaston als undurchsichtiger Sharpless (der „Butterfly“ nicht die bittere Wahrheit sagen kann), Heinz Görig als Goro, Nakodo, Kenneth John Lewis als Onkel Cio-Cio Sans Yakuside, Siegfried Laukner als kaiserlicher Kommissar, Yehonatan Haimovich als Standesbeamter, Teresa Smolnik als Cio-Cio Sans Mutter, Noriko Kuniyoshi als Tante sowie Larisa Bruma (Kusine). Publikumsjubel gab es am Schluss vor allem für Alexia Voulgaridou.

 Alexander Walther       

 

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