Enzo Capuano und Chor. Foto: A.T. Schaefer
„La Cenerentola“ von Rossini am 1. Februar 2019 in der Staatsoper/STUTTGART
BÜRO-TURBULENZEN MIT PLAYBOY-HASEN
Sehr turbulent und in die moderne Zeit verfrachtet hat Andrea Moses Gioacchino Rossinis Version des Märchens vom Aschenputtel inszeniert. Das Publikum wird kurzerhand in ein mittelständisches Unternehmen entführt, das durchaus in Baden-Württemberg beheimatet sein könnte. Die Putzfrau fährt gleich zu Beginn energisch über den riesigen Konferenztisch der Aufsichtsräte, um den sich Eisenstühle gruppieren. Das Märchen vom Aschenputtel, das im Gegensatz zu seinen bösen Stiefschwestern das Herz eines Prinzen gewinnt, erhält jedoch auch bei Andrea Moses deutliche Bezüge zur Gesellschaftskomödie im Stil des 18. Jahrhunderts. Die Vernunft des Philosophen Alidoro weist hier mit großer List den Weg zur Erkenntnis. So gewinnt die zuerst gedemütigte und dann als Prinzessin großmütig verzeihende Angelina prägnantes Format. Sie erscheint in einem rosenbestickten, prachtvollen Gewand, das den riesigen Konferenztisch bedeckt. Andrea Moses verleiht aber auch den beiden eiskalten Stiefschwestern Tisbe und Clorinda ein erfrischend-witziges Profil, die dem Publikum sogar Kuchen anbieten und ein Geburtstagskind beglückwünschen. Der aufs reiche Heiraten versessene Don Magnifico bekommt hier ebenso komödiantisches Profil. In den Büroräumen werden mit Playboy-Häschen und Sektgläsern immer wieder überaus rauschende Feste gefeiert, die eitlen Stiefschwestern promenieren auf dem Tisch-Laufsteg wie bei einer Modenschau. Und die verdutzten Herren suchen im Zuschauerraum krampfhaft nach einem Sitzplatz, während oben in der Loge wieder andere Geschäftsleute stehen. Im Glasfenster sieht man dann plötzlich den Zuschauerraum, während Don Magnifico zuletzt Angelina begleitet, die dann doch noch ihren Prinzen bekommt. Neben Gewitterszenen sieht man sogar Angelina in der Badewanne. Gleichzeitig braust ein Hubschrauber übers Haus, der Kronleuchter erzittert. Die drehbare Bühne offenbart weitere Kapriolen bei dieser hintersinnigen und gewitzten Inszenierung, die zuweilen sogar an eine Faschingsveranstaltung erinnert.
Der rumänische Dirigent Vlad Iftinca überzeugt bei seinem Debüt an der Staatsoper Stuttgart mit dem wunderbar feinnervig musizierenden Staatsorchester Stuttgart mit genauer Betonung der dynamischen Kontraste. So tritt der Zauber der Commedia dell’arte wiederholt facettenreich hervor, beflügelt die Sängerinnen und Sängern bei den komischen Situationen und virtuosen Soli. Aber auch die lyrische Empfindung kommt bei dieser Wiedergabe keineswegs zu kurz. Dass dieses Werk aber eine Verwandlungsgeschichte ist, wird nicht nur szenisch, sondern vor allem auch musikalisch deutlich. Darin liegen die besonderen Vorzüge dieser Produktion. Wenn sich etwa der Bühnenraum ändert, hört man dies sofort im harmonischen Gewebe, wobei immer wieder durchsichtig musiziert wird. Don Magnifico, der vom kraftvollen Bassisten Enzo Capuano mit hervorragender Diktion und prägnantem Timbre verkörpert wird, durchläuft allerdings keine Veränderung. Ebenso wenig verwandelt werden hier die beiden von Catriona Smith (Clorinda) und Maria Theresa Ullrich (Tisbe) in ausgezeichneter Weise dargestellten und gesungenen garstigen Stiefschwestern.
Diana Haller, Jarrett Ott, Petr Nekoranec. Foto: A.T. Schaefer
Mit ihren leuchtkräftigen und klanglich hervorragenden Koloraturen vermag es Diana Haller als Angelina am Schluss jedoch, gerade ihre eitlen Stiefschwestern zu erlösen. Diese Situation kommt in der Inszenierung sehr gut zum Ausdruck. Als Philosoph Alidoro vermag der glanzvolle Bassist Pawel Konik zu überzeugen, dessen Kantilenen eine üppig blühende Melodik besitzen, wenn er dem bescheidenen Mädchen seine Vision von einem gerechten Gott auf dem Thron entwirft. Da gelingt es Vlad Iftinca, Rossinis Klangzauber in intensiver und berührender Weise zu beschwören. Aber auch die spritzigen Rhythmen, Ostinato-Sequenzen und Crescendo-Steigerungen sowie die prickelnden Pizzicato-Einlagen bekommen bei dieser gelungenen Interpretation Gewicht. Und auch der Identitätsaustausch zwischen dem von Petr Nekoranec mit hell timbriertem Tenor verkörperten Prinzen Don Ramiro und seinem von Jarrett Ott hintersinnig gemimten Diener Dandini gewinnt musikalisch starkes Profil, das die szenische Vorlage sinnvoll ergänzt. Rossinis pseudoheroischer Vokalstil feiert dabei wahre Triumphe. In der szenischen Wiederaufnahme von Philine Tiezel und Maurice Lenhard, dem opulenten Bühnenbild von Susanne Gschwender und den abwechslungsreichen Kostümen von Werner Pick imponiert aber vor allem auch der von Bernhard Moncado vorzüglich einstudierte Stuttgarter Staatsopernchor, der gleichsam als Aufsichtsrat fungiert und deutliches szenisches Gewicht erhält. Da tanzen plötzlich zwergenhafte Herren mit riesigen Matronen. Andrea Moses lässt den gierigen Fürsten auf der Suche nach dem „köstlichen Leckerbissen“ tatsächlich von einer Frau zur anderen flattern. Dadurch gewinnt der Handlungsablauf erst seine Rasanz und Atemlosigkeit, die sich natürlich auch auf das musikalische Geschehen überträgt. Jarrett Ott liefert dabei als Dandini eine Koloraturarie voller Girlanden und Arabesken, die mit buffoartiger Deklamation in raffinierter Weise abwechselt. Das ist ein Fest für die Ohren, da erhält Rossini seine würdige satirische Zuspitzung. Denn natürlich war der „Schwan von Pesaro“ ein begnadeter Satiriker und Meister der Charakterisierungskunst. Dem stimmlichen Feuerwerk von Ramiros Arie „Si, ritrovarla io gioro“ gewinnt Petr Nekoranec auch ein betörendes hohes C ab. Die klanglichen und szenischen Verwandlungen gipfeln dann bei dieser temperamentvollen und vor Ironie nur so sprühenden Inszenierung beim Sextett, wo der Fürst verblüfft entdeckt, dass die schöne Frau, die er auf dem Ball so bewunderte, niemand anderes als die Küchenmagd ist. Die chromatischen Höhenflüge Ramiros werden von Angelinas auf Dreiklängen beruhender Variation ergänzt, während sich Dandini in Triolen verheddert. Die reizvolle Verwandlung des „Aschenputtels“ Angelina vom armen Mädchen zur hoheitsvollen Frau gelingt Diana Haller meisterhaft.
Ovationen für das gesamte Team gab es nach dem abschließenden Konfettiregen.
Alexander Walther