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STUTTGART/ Staatsoper: LA BOHÈME – Wiederaufnahme

(fast) komplett neu besetzt

17.12.2018 | Allgemein, Oper


Foto: Martin Sigmund

Stuttgart

„LA BOHÈME“ 16.12.2018 nm. (Wiederaufnahme) – (fast) komplett neu besetzt

Nachdem Vorgänger Sylvain Cambreling aufgrund geringer Wertschätzung einen Bogen um den Komponisten aus Lucca gemacht hatte, ist Puccini jetzt wieder zur Chefsache geworden. Gleich im Doppelpack hat GMD Cornelius Meister zwei seiner Werke für Wiederaufnahmen einstudiert, die nun innerhalb von 4 Tagen das Programm bestimmen. Ausgehend von den Eindrücken dieser nachmittäglichen Premiere darf dieses Vorhaben nur begrüßt werden. Mit hellwachem Einsatz führt er Musiker und Sänger punktgenau durch die flotten Dialogbälle, die sich die männliche Künstlerschar in ihrem notdürftigen Refugium zuwirft oder über weite Strecken das lebhafte Treiben rund um das Café Momus bestimmen, ohne ihnen dabei ein zu strenges Korsett aufzuzwingen. Genauso hingebungsvoll lässt er die langen Melodiebögen der Arien und Ruhepunkte entfalten und verbindet dabei Emotion und Kalkül in idealer Balance. Das bei Mimis Auftritt erstmals ertönende Liebesmotiv fächert er mit dem Staatsorchester Stuttgart als erste Vorahnung so zart blühend auf, in den Ensembles werden teilweise Akzente in den Nebenstimmen gesetzt, die oft untergehen oder schlicht unbeachtet bleiben. In diese besonders in den Streichern vielfach neu aufhorchen lassende instrumentale Basis sind die Gesangsstimmen jederzeit präsent eingebettet.


Josefin Feiler, Olga Busuioc. Pavel Valuzhin, Johannes Kammler. Foto: Martin Sigmund

Zugedeckt wird da keiner, zumal auch überwiegend füllige, bei den Damen sogar fast zu üppige Stimmen das Vokalensemble bestimmen. Olga Busuioc stellte sich als neues Ensemble-Mitglied für das Zwischenfach erstmals vor und weist mit ihrem körpervollen, leuchtend aufschwingenden Sopran an manchen Stellen gar schon über die lyrisch dominierten Anforderungen an Mimi hinaus, zeichnet aber die sanft berührenden Momente wiederum mit Sinn für Piano-Stimmungen und rundum beseelter Intensität, dass sie letztlich in dieser Partie doch goldrichtig aufgehoben ist. In der Fähigkeit zu Differenzierung und gefühlvoller Emphase ist Pavel Valuzhin als empfindsam gestaltender Rodolfo ein idealer Partner. Der vom Bolshoi-Theater kommende Tenor kann sich als sensibler, eifersüchtig leidender Poet hier etwas natürlicher und auch im technischen Geschick, zumal im Öffnen der Höhen leichter präsentieren als beim zuletzt erlebten Frauen vernaschenden Verdischen Herzog von Mantua.

Mit männlich sonorem Timbre und fließender italienischer Diktion, jederzeit gut gestütztem und in den Höhen rund und klangvoll aufgehenden Bariton sowie engagiertem Spiel nimmt Johannes Kammler für sich ein, seine zuletzt doch noch gute Seiten zeigende Liebschaft Musette ist mit Josefin Feiler (Rollendebut) passend extravagant im Gehabe und einer bei aller für diese Partie fast überschüssigen Kraft beweglichen Stimme besetzt, die sich deutlich von den dafür oft bevorzugten schmaleren Koloratursopranen abhebt.

Als kurzfristiger Einspringer bekam Opernstudio-Mitglied Elliott Carlton Hines als Schaunard eine dankbare Chance, sich gleichermaßen als Sänger wie Schauspieler zu beweisen. Als letzterer erfrischend ungekünstelt von Beginn an, befreite sich sein Bariton zunehmend aus anfänglicher Bedecktheit. Adam Palka stellte sich als Colline (seit der Premiere 2014 dabei)  wie immer gewandt den neuen Partnern, mischte Emphase und Sinnieren auch in der farblichen Abmischung seines prachtvollen Basses.

Matthew Anchel agierte als Hausherr Benoit eher solide, Chormitglied Siegfried Laukner setzte die Pointen des letztlich mit der Rechnung für die Künstler konfrontierten Alcindoro spielerisch besser als mit etwas fahlen vokalen Einwürfen. Der Staatsopernchor und Kinderchor konzentrierte seine Qualitäten auf die Bühnen füllende Szene am Weihnachtsabend, die in der Inszenierung von Andrea Moses etwas übertrieben kitschig und schrill in den Farben ausgefallen ist, aber in der handwerklich durchstrukturierten Ausarbeitung für sich einnimmt.

Ansonsten war der ehemaligen Hausregisseurin gerade auch in intimeren Momenten eine wohltuend konzentrierte Regie gelungen. Nur das dem Voyeurismus einiger Statisten geöffnete Sterben der Mimi bleibt ein Störfaktor, weil es so gar nicht zur musikalisch angelegten Atmosphäre ihrer Todesszene passt.

Verdiente Ovationen im erschütternd schlecht (Parkett) besuchten Haus – und das bei einem Klassiker in der Weihnachtszeit!

 Udo Klebes    

 

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