Kai Kluge als drollig in die Orangen verliebter Prinz. Foto: Matthias Baus
Stuttgart
„DIE LIEBE ZU DREI ORANGEN“ 27.11. 2019– Grotesker Spaß für Jung und Alt
Ein Dampfer namens MS Prokofjew auf dem Grund eines ausgetrockneten Sees, ein Wachturm, von dem seitlich eine Rutsche nach unten führt, die sich als Prinzessinnen entpuppenden Orangen in herab schwebenden Gondeln und zahllose zauberische Erscheinungen wie sprießende Blumen und sprudelnde Brunnen, gelenkt und animiert aus einem historischen Computerspiel mit grobkörnigen Pixel-Elementen von Rastergrafiken (Till Nowak) – so präsentiert sich Axel Ranischs Inszenierung der Gozzi’schen Märchen-Groteske auch ein Jahr nach der Premiere als reichhaltige zweistündige Unterhaltung, passend farben-schrill, phantasievoll (Bühne: Saskia Wunsch, Kostüme: Bettina Werner, Claudia Irro) und ausgefeilt bis in den kleinsten Winkel des surrealen temporeichen Handlungs-Geschehens (Choreographie: Katharina Erlenmaier). Das Vergnügen, das der Komiker und Filmregisseur Ranisch bei der Entstehung hatte, ist genauso zu spüren wie dasjenige des überdurchschnittlich jungen Publikums. Und so galt der lebhafte, mit kindlichem Kreischen durchsetzte Jubel am Schluß dem gesamten Ensemble, als solches dieses Werk nur funktioniert:
Neu gegenüber der Premierenserie präsentierte sich Kai Kluge als herrlich bemitleidenswerter und in naiv übersteigerte Liebe zu den Orangen ausbrechender Prinz mit hellem, klar artikulierendem und mit lyrischem Feingefühl ausgestattetem Tenor. Dass im Kostüm des ihn auf der Suche nach den Früchten begleitenden Spaßmachers Truffaldino sein Bruder Daniel Kluge mit prägnantem Charaktertenor und einer gewissen Neigung zur Übertreibung steckte, erhöhte für die beiden sicher noch die Gaudi mit diesen spielfreudigen Partien.
Neu auch David Steffens als König im Märchenornat mit seinem beständig an Kultiviertheit und klanglichem Format wachsenden Bass. Besondere Aufmerksamkeit gehörte den beiden gegnerischen Zauberern: Carole Wilson als Fata Morgana ein richtiges Mann-Weib mit durchsetzungsfähiger vokaler Statur, zumal im gegen die vollen Orchesterwogen gerichteten Fluch auf den Prinzen. Und Michael Ebbecke mit langem weißem Vollbart als altersweis gewitzter Celio, dessen Bariton vor allem in den oberen Lagen immer noch raumfüllend anspricht. Shigeo Ishino als aalglatter ministerieller Intrigant Leander mit entsprechender Bariton-Potenz, die mit ihm im Bunde nach der Macht gierende Königsnichte Clarice in Gestalt der soliden Altistin Stine Marie Fischer sowie der recht wohltönende Mezzo Fiorella Hincapié als sich später fälschlicherweise anstatt der in eine Ratte verwandelten Prinzessin Ninetta in deren Kleider hüllende Sklavin Smeraldina standen auf der gegnerischen Seite.
Des Königs Position vertritt dagegen noch Dominic Grosse als in Commedia dell’arte-Manier köstlich agierender Pantalone mit größer gewordenem Bariton. Natalija Cantrak ließ als echte Ninetta einen sich zunehmend weicher entfaltenden Sopran hören, während Alexandra Urquiolas angenehmer Mezzo aufgrund schnellen Verdurstens der Prinzessin Linetta schnell verstummen muss.
Crux des Ensembles ist die Doppelbelegung des alles steuernden Teufels Farfarello in einem gesichtslosen langen Zottelumhang und der die Orangen in Kreontas Palast bewachenden Köchin in einer Person, dem hier seinen Bass viel vorteilhafter als bei Rossini zur Geltung bringenden und dezent komischen Matthew Angel. Dass er sich obendrein als Vater des das Computerspiel um die Vorherrschaft steuernden Jungen entpuppt und dieser sich natürlich auf die Seite der königlichen Gegner stellt, ist noch eine zusätzliche Pointe. Ben Knotz spielt diese hinzugefügte Rolle incl. zweier eingefügter Sprecheinlage mit seinem Vater aus dem Off recht locker. Zuerst nur per Video-Einblendung zu sehen, wird er später vom PC weg ins reale Bühnengeschehen hinein gezerrt.
Für den Staatsopernchor Stuttgart bot der Schlagabtausch der verschiedene Theaterformen vertretenden und fordernden Gruppierungen sowie die spielerische Eingliederung des Volkes eine besonders pointierte Gelegenheit sich als Singschauspieler in ihrer gewohnten Form zu präsentieren (Einstudierung: Manuel Pujol).
Einen Wechsel gab es auch am Dirigentenpult: Valentin Uryupin, haüfiger Gast bei Currentzis Orchester Musica Aeterna, hatte das groß besetzte Staatsorchester Stuttgart gut unter Kontrolle und sorgte für eine weitgehend transparente Umsetzung der rhythmisch komplexen Partitur, die in ihrer Direktheit ganz nah am Bühnengeschehen dran ist und damit pralles Theater bietet.
Udo Klebes