Ablenkung der Köchin (Matthew Anchel) durch Truffaldino (Daniel Kluge) und den Prinzen (Elmar Gilbertsson). Foto: Matthias Baus
Stuttgart
„DIE LIEBE ZU DREI ORANGEN“ 4.1. 2019 (Premiere 2.12.2018) – Computergesteuerte Groteske
„Russische Konstruktivisten von 1918 inszenieren 2018 ein italienisches Renaissancemärchen, (Einfügung des Rezensenten: …das 1921 in Chicago in französischer Sprache das Licht der Welt erblickte), in deutscher Sprache als Computerspiel von 1993, das in einer dystopischen Zukunft spielt“. So beginnt der detaillierte Spielbericht des zwischen Film und Bühne pendelnden Regisseurs Axel Ranisch, der Prokofjews somit als multikulturelles Projekt ausgewiesene Oper in wahrlich phantastisch grotesker Weise in Szene gesetzt hat.
Es kommt nicht allzu oft vor, dass ein Vertreter seiner Zunft den Eindruck hinterlässt, beim Kreieren und Einstudieren so viel Freude, ja Gelegenheit zum Lachen gehabt zu haben. Speziell bei diesem auf Carlo Gozzi fußenden Stoff, in dem das Lachen ein zentrales Thema ist und die Handlung bzw. Reaktionen entsprechend beeinflusst. Der Clou von Ranischs und seiner Mitarbeiter Werk (Bühne: Saskia Wunsch, Kostüme: Bettina Werner, Claudia Irro, Licht: Reinhard Traub, Computer-Animation: Till Nowak und Dramaturgie: Ingo Gerlach) ist die Rahmung bzw. Lenkung der auf drei Ebenen angelegten Geschichte durch ein Computerspiel aus den frühen Jahren dieser technischen Errungenschaft, genauer gesagt in Pixel-Art. Dabei wird mit Rastergrafiken zur bewusst beschränkten Auflösung von Bildschirmen als Stilmittel gespielt. Diese Stilrichtung lässt sich wiederum sowohl mit der Bildenden Kunst als auch mit dem kompositorischen Verfahren des Komponisten in Verbindung bringen. Obwohl die Hinzufügung wie auch Weglassung von Figuren und gar eingefügte Szenen nicht im Sinne der ursprünglichen Schöpfer sind und auch meist keinen Nutzen ergeben, stärkt hier das Erfinden des Kindes Serjoscha (Malte Harrach mit beeindruckend lockerer Bühnenpräsenz) sogar den Sinn zur Erklärung der Handlung. Diese entspringt einem Computerspiel, von dem sich der Junge trotz der Ermahnungen seines Vaters (Matthew Anchel, der sich später in die Orangen bewachende Köchin mit der riesigen Kelle verwandelt) in kurzen Dialogen nicht abhalten lässt, und dessen Verlauf er auf eine der beiden gegnerischen Seiten zu lenken und dafür zu kämpfen versucht, bis er mangels eines Bruches zwischen Spiel und Realität selbst hinein gezogen wird. Die Kunstwelt des abstrusen Geschehens als Phantastereien eines Kindes bleibt dabei sichtbar, dennoch bewahren die Beteiligten ihre Ernsthaftigkeit, um den Humor des Stückes wirksam zu machen. Katharina Erlenmaier hat dabei für die choreographisch anmutenden teils geometrisch ausgeführten Bewegungsausrichtungen gesorgt.
Gegenspieler: Carole Wilson (Fata Morgana) und Michael Ebbecke (Celio). Foto; Matthias Baus
Ort des Geschehens ist das in einem riesigen ausgetrockneten See freigespülte Wrack des ehemaligen Luxusschiffes MS Prokofjew, wohin der von Kreonta besiegte König ( Goran Juric mit Würde und sonorer Bass-Grundierung) mit seinem Hofstaat geflüchtet ist. Dieses Wrack mit Schornstein, von dem eine Rutsche seitlich nach unten führt, fungiert in dem erwähnten Rasterbildverfahren mit farblich wechselnden quadratischen Elementen als bewegliches Bühnenbild, das für einige Szenen seinen Bauch öffnet. Die Orangen wachsen zu drei Gondeln ähnlichen Flugobjekten, aus denen sich die Prinzessinnen schälen. Wundersame Erscheinungen, kleine Teufelchen huschen über den Bildschirm, deren oberste Position Farfarello als wandelnder Dornenstrauch vom Computerspiel lenkenden Serjoscha eingenommen wird. Der Zauberer Celio, von Michael Ebbecke mit gewohnt präsenter Ausstrahlung und hier passend fahlem Bariton verkörpert, beschwört ihn, doch seine erbitterte Gegnerin Fata Morgana (Carole Wilson mit ausreichend dramatisch unterfüttertem Sopran) wird erst durch das Eingreifen der Sonderlinge, die sich gleich zu Beginn und im weiteren Verlauf mit Anhängern verschiedener Theaterformen streiten, besiegt. Diese weitere Ebene des Stückes ist beim entsprechend in Gruppen aufgeteilten Staatsopernchor, von Manuel Pujol exakt vorbereitet, in besten Händen, wenn sie rhythmisch bestechend, artikulatorisch genau und klangstark ihre verschiedenen Interessen zwischen Komödie, Tragödie und Romanze proklamieren.
Auf der Hauptebene stehen der Königssohn und sein Spaßmacher Truffaldino, mit Elmar Gilbertssons lyrisch kraftvollem Tenor und Daniel Kluges etwas grell überspannt üppigem (Charakter)-Tenor rollenimmanent besetzt, dem mit Hilfe der königlichen Nichte Clarice an die Macht drängenden Premierminister Leander gegenüber. Shigeo Ishino und Stine Marie Fischer geben ihnen mit strengem Bariton bzw. intrigant tönendem Mezzosopran das erforderliche Profil.
Wesentlichen Anteil am Verlauf der Handlung hat Pantalone, der Vertraute des Königs, der auf die Idee kommt, von Truffaldino unterhaltende Programme veranstalten zu lassen, um den Königssohn zum Lachen zu bringen, denn er leidet an hypochondritiotischen Verschleimungen aufgrund von Leanders verabreichten giftigen Reimen. Dominic Große, der aus dem Opernstudio hervor gewachsene Bariton, gibt dieser Rolle spielerisch gestenreiches und vokal würdiges Gewicht.
Phantastische Ensemble-Wirkung: Daniel Kluge, Shigeo Ishino, Goran Juric, Stine Marie Fischer und Elmar Gilbertsson mit Chor. Foto: Matthias Baus
Zwischen den Fronten steht die Sklavin Fata Morganas Smeraldina (Fiorella Hincapié mit schmeichlerischem Mezzo), die einerseits dem intriganten Paar nachspioniert, aber auch ein Auge auf den Prinzen geworfen hat und sich deshalb in die aus der zweiten Orange heraus schälende Prinzessin Nicoletta verwandelt, ihren Tod im Gegensatz zur schnell verdurstenden ersten Prinzessin Linetta (Aytaj Shikhalizade) aber nur vortäuscht. Später nimmt sie dann die Stelle der vom Prinzen ausersehenen Prinzessin Ninetta (Natalija Cantrak mit lieblichem Sopran) ein, während dieser zu den Hochzeitsvorbereitungen vorauseilt. Die sich in anderen Umständen befindliche Premiereninterpretin Esther Dierkes brachte den Regisseur auf die Idee, dass Ninetta dem Prinzen noch vor der Hochzeit Nachwuchs gebärt, mit dem er den König glaubwürdig überzeugen kann, dass nur sie seine Frau werden kann.
Zuletzt ist aller Bann gebrochen, die Bösen werden vom König zum Tode verurteilt, können aber fliehen, und auch Serjoscha kann sich aus dem Computerspiel zurück in die Arme des Vaters retten.
Wie hier mit Phantasie und Ideenreichtum alle Figuren inklusive der Chorgruppen unter Ausschöpfung aller möglichen Farben und Formen passend überspitzt, karikiert, ironisiert oder einfach nur märchenhaft in Szene gesetzt werden, fällt unter den vielen sich in farblosen Einheitsanzügen und Kleidern erschöpfenden Inszenierungen auf unseren Bühne richtig wohltuend auf. Hier durfte ein/e KostümbildnerIn auch wirklich eine/r sein und ihre/seine Sachkenntnis beweisen.
Nicht zuletzt ist auch die musikalische Seite, die in kongruenter Abstimmung mit der Bühne das vorherrschende textliche Deklamieren in melodischen Motiven umspielt, zwischen Illustration, Kontrastwirkung und musikhistorischen Anleihen immer wieder komische Effekte erzielt, maßgeblich für dieses von einem Staunen ins nächste bringende Gesamtpaket verantwortlich. Alejo Perez hat mit dem Staatsorchester Stuttgart viel Detailarbeit geleistet, deren Eckpfeiler ganz klar auf den sich ohrwurmartig parodistisch durch das ganze Stück ziehenden Marsch und den ernsthaft formulierten Lyrismen positioniert sind. Auch rein instrumental betrachtet kommt Prokofjews genialer Sinn für punktgenaue Bühnenentsprechung in dieser Wiedergabe voll zur Geltung.
Diese Produktion dürfte sich gemessen am voll besetzten Haus (6.Vorstellung) mit vielen jugendlichen Gesichtern und dem stürmischen Applaus zu einem Kassenschlager entwickeln. Der Sparte Oper dürfte er im Hinblick auf einige schlecht besuchte Klassiker in der letzten Zeit auch finanziell gesehen gut tun!
Udo Klebes