Stuttgart: DAS RHEINGOLD/Neuinszenierung, 12.12.21
Foto: Matthias Baus
Die Staatsoper Stuttgart schmiedet einen neuen RING. Vor 20 Jahren hatte sie mit der Innovation eines ‚Rings des Nibelungen‘ mit vier verschiedenen Regisseuren für Schlagzeilen gesorgt. Dieses Stilmittel soll beibehalten werden, ja sogar in einem Ringteil die drei Aufzüge nochmals unter drei Regisseur*innen aufgeteilt werden. Nun, beim Vorabend des ‚Rheingolds‘ begnügte man sich noch mit einer Handschrift. Während der bereits vor der Pandemie angetretene neue Stuttgarter GMD Cornelius Meister in allen vier Ringteilen das Dirigat übernimmt, hat im ‚Rheingold‘ Stephan Kimmig die Regie inne. Für ihn stellt das Rheingold-Personal eine Circus-Crew dar, die auf offener Bühne (Katja Haß) auf dem ganzen Areal meist sehr witzig agiert. Die Rheintöchter sind die Angestellten Alberichs in seiner Gold- und Schmuckfabrik, die die Arbeitsnormen der beschäftigten Nibelungen aufzuzeichnen haben. Dazu sind sie in graue Business-Röcke und weiße Arbeitskittel gekleidet. Ihres ‚Nebenjob‘ als Hüterinnen des Goldes hat sie Alberich in der 1.Szene beraubt. Diese Goldteile sind von Alberich mit einer Schubkarre weggefahren worden und haben sein Geschäft unglaublich belebt. In der dazwischen liegenden Szene ‚auf bergigen Höhen‘ hat Wotan einen markigen Auftritt wie ein Gigolo mit langem Blondhaar und Glitzerjacke, indem er sich schallend auf die Pobacken schlägt. Dann Fricka und Freia in Netzstrümpfen, letztere tänzelt immer lasziv herum, während Fricka, etwas pummelig, in zwei Anläufen einen Schiedsrichter-Hochstuhl erklimmt, von dem aus sie die Szene mit den Riesen verfolgt und auch eingreift. Diese fahren mit Gabelstaplern auf. Sie stehen auf Plateausohlen und haben markant durchgefärbte Haarschöpfe. Endlich Loge, mal kein roter Feuerkopf, auch mit tuntenhaften Auftreten und mittellangem schwarzem Seitenscheitel, sein hautenger Anzug ganz in schwarz gehalten wie sein ständiges Requisit, ein schwarzer Feuerlöscher. Das ist eine sehr schräge gut gemachte Interpretation. In Nibelheim geht es wieder ’seriöser‘ zu, hier herrscht noch Zucht und Ordnung, die eigentliche Verhaftung Alberichs kommt aber gar nicht pointiert herüber. Besser gelungen dann seine Anheftung auf eine große runde Scheibe, die von Loge und Wotan immer heftig gedreht wird. In der Reprise bei den Göttern ist dann wieder viel zirkus-artistiche Bewegung aufgeboten. Das Gold erscheint nun wie geflochtenes Lametta und wird von den Riesen unter Frohs Mithilfe in die kleinen Container der Gabelstapler verbracht. Bei Stephan Kimmig ist die Verliebtheit Fasolts als neue Variante von Beginn an reziprok. Die eher kleine Freia kuschelt sich gern an den mächtigen Riesen, da bei Wotan kein ausgeprägt ‚politischer‘ Wille besteht, sie zu einzugemeinden. Nach der Ermordung Fasolts durch Fafner, steht der „verliebte Geck“ am Ende wieder auf, und sie sind ein Liebespaar! Die Bühne von K.Haß ist nur durch verschiedene artistische Requisiten gezeichnet, die Decke durch strahlenförmige leuchtende Stangen markiert. Die Kostüme gelangen in ihrer Vielfalt und Buntheit durch Anja Rabes. Dazu Videos an sinnreichen Stellen von Rebecca Riedel, die die Darsteller-Figuren z.T.noch plastischer vergrößern.
Das Orchester spielt sehr diszipliniert im Graben, Die teils wie mit Griffeln gespielten Harfen sind in die Loge links der Bühne ausgelagert. Es ergibt sich ein überzeugender Rheingold Sound. Cornelius Meister achtet besonders auf rhythmisch-synkopische Schärfung, kreiert aber auch viel opulenten Wohlklang. Ein auch musikalisch gelungener Auftakt, der in den Zwischenspielen nahezu eskaliert.
Die Woglinde ist Tamara Banjesevic mit aufblühendem Sopran, die Wellgunde Ida Ränzlöv mit klar konturiertem Mezzo, und Floßhilde Aytaij Shikalizade mit angenehm dunkler Abtönung. Die Erda mit einem kurzen Fahrradauftritt singt Stine Marie Fischer mit melodiöser Stimme. Die Freia der Esther Dierkes kann neben ihrem satten Spiel mit angenehm frischem Sopran aufwarten. Fricka ist sehr pointiert Rachael Wilson und gibt ihrem Gemahl wohllautend auftrumpfendes Contra. Adam Palka wirkt mit seinem schwarzen Baß als Fafner eher unaufgeregt, bringt aber verwegene Schläue ins Spiel. Dagegen ist David Steffens ein fast lyrischer Fasolt. Der Mime Elmar Gilbertsson klingt und wehelautet äußerst markant. Bruder Alberich ist Leigh Melrose und kann seinen flexibel durchgestilten Bariton auch in der wuchtigen Steigerung seines ‚Liebesgrußes‘ eminent einsetzen. Beim Loge von Matthias Klink ist gut, daß er nicht heldentenoral auftritt, sondern die Rolle gänzlich ins Charakteristische zieht. Stimmlich kann er einen stark timbrierten Belcanto-Effekt erzielen. Die Götterbrüder Donner (ausdrucksvoller Bariton: Pawel Konik) und Froh (lieblicher gleichzeitig fokussierter Tenor: Moritz Kallenberg) rudern am Ende ohne Boot, haben aber coole Flitzer zur Verfügung. Goran Juric ist ein stimmlich souveräner Göttervater. Sein Bariton meistert alle Gefühlsausbrüche, die ihm von R.Wagner in die Kehle komponiert wurden.
Zum Schluß steht er aber ohne Hosen und Burg da, schon jetzt ein machtlos Trauriger.
Friedeon Rosén