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STUTTGART/ Schauspielhaus: ROMEO UND JULIA. Premiere

Zwischen Tag und nacht

24.11.2018 | Allgemein, Theater


Nina Siewert, Jannik Mühlenweg. Foto: Thomas Aurin

Premiere von William Shakespeares „Romeo und Julia“ am 24.11.2018 im Schauspielhaus/STUTTGART

ZWISCHEN TAG UND NACHT

Das Umfeld der verfeindeten Familien steht bei dieser Inszenierung von Oliver Frljic nicht direkt im Mittelpunkt. Hier liegen Romeo und Julia bereits in ihren Särgen, der Tod wird gleich einsetzen. Aber die Familie Capulet nimmt dabei einen großen Raum ein. Die sexuelle Identität der Figuren wird bewusst infrage gestellt. Zwischen Tybalt (höchst emotional: David Müller) und Romeo (robust: Jannik Mühlenweg) kommt es zu einer homosexuellen Begegnung. Zuletzt erkennt er: „Ich liebe eine Frau!“ Die Verwirrung ist komplett.

Dazu haben die Bühnenbildner Igor Pauska und die Kostümbildnerin Sandra Dekanic eine suggestive Welt entworfen, bei der Hieronymus-Bosch-Gestalten dominieren. Das ist durchaus eindrucksvoll gestaltet, denn diese dämonischen Figuren ergreifen im Halbdunkel und im Gittergerüst auch von Julia Besitz. Erinnert wird an Hieronymus Boschs Gemälde „Garten der Lüste“ mit der „musikalischen Hölle“. Die verfeindeten Familien und der Staat rücken dabei in den Hintergrund. Die Hauptpersonen stehen allerdings im Zentrum des Geschehens. Die jungen Menschen müssen den Preis für die Versöhnung mit dem Tod bezahlen. Es gibt ein leeres Ritual am tristen Grab der Kinder: Zwei Familienoberhäupter reichen sich die Hand. Indem sie Selbstmord begehen, behaupten die beiden Protagonisten ihre Autonomie.

Dann kommt die Rückblende in hitzigen, atemlosen, fieberhaften Bildern. Auf einem Fest trifft Romeo aus dem Haus Montague auf Julia Capulet. Eine große Liebe entbrennt, eine heimliche Hochzeit folgt. Doch die Realität holt die beiden ein. In einem Streit tötet Romeo Tybalt und wird aus Verona verbannt. Unterdessen soll Julia mit dem Grafen Paris verheiratet werden, den sie aber fürchtet. Und um dies zu verhindern, wird ein komplizierter Plan entworfen, der jedoch scheitert. Der 1976 in Bosnien geborene Regisseur Oliver Frljic hinterfragt auch die Möglichkeit der Versöhnung bei dieser unmöglichen Liebe, die alle Grenzen sprengt. Der Charakter des poetischen Dramas wird bei dieser Inszenierung auch angesichts der musikalischen Einlagen („Killing me softly„) voll ausgeleuchtet. Denn die Personen werden teilweise ins Riesenhafte aufgeblasen. Das ist eindrucksvoll gemacht. Die symmetrische Anordnung der Charaktere und der atemlos erzählten Handlung kommt ebenfalls nicht zu kurz. Gerade die „fallende Handlung“ im vierten Akt mit der bevorstehenden Heirat mit Paris führt zu einer Eskalation, die nicht mehr aufzuhalten ist.

Nina Siewert als Julia kann diese Situation sehr gut verkörpern, da sie tatsächlich immer wieder fällt und sich gegen die Heirat mit Paris verzweifelt wehrt. Die Spannungskurve des Dramas steigert sich bei dieser Aufführung in jeder Hinsicht konsequent. Der Wechsel von komischen und traurigen Passagen gerät aber in den Hintergrund. Auch zwischen Jannik Mühlenweg als Romeo und Nina Siewert als Julia kommt es zu heftigen Auseinandersetzungen. Es wird ebenso deutlich, dass Romeo am Anfang der szenischen Entwicklung noch ein unreifer und naiver Schwärmer ist. Am Ende ist Romeo dann ein anderer als vorher. Das kommt gut zum Vorschein. Durch die Begegnung mit Julia ist er noch reifer und ernster geworden. Und auch Thomas Meinhardt als Pater Lorenzo rückt bei der Inszenierung aufgrund geballter Emotionalität sehr stark in den Mittelpunkt. Der Zwiespalt zwischen Absicht und Handeln tritt deutlich hervor. Dies gelingt ebenso Benjamin Pauquet als Graf Paris, der vor Eifersucht außer Rand und Band gerät. Stellenweise wird bei der Inszenierung aber zu viel getobt und geschrien, dadurch gehen die lyrischen Momente des Textes fast ganz verloren. Das ist schade. Gabriele Hintermaier ist als Lady Capulet an den Rollstuhl gefesselt. Klaus Rodewald hat als ihr Mann Capulet einen starken Auftritt als enttäuschter Vater, der sich über seine heiratsunwillige Tochter empört. Dass gerade Mercutio von allen Charakteren der schlagfertigste und redegewandteste ist, macht Christoph Jöde in vielen Nuancen deutlich. Eberhard Boeck bemüht sich als Fürst Escalus redlich, den Streit zwischen den beiden Familien zu beenden. Hinsichtlich der Sprachform spürt man bei dieser Inszenierung durchaus den Charakter des petrarkistischen Sonetts. Blankverse als ungereimte jambische Pentamenter werden hier ausgesprochen kunstvoll abgewandelt. Auch bei ihrer ersten Begegnung sprechen Romeo und Julia ein volles Sonett. Der Wechsel  der verschiedenen Sprachstile führt auch zwischen den Personen zur Verwirrung.

In weiteren Rollen gefallen weitgehend Valentin Richter als Benvolio, Frank Laske als Montague und Sandra Hartmann (Gesang). Die Hieronymus-Bosch-Gestalten zeigen durch Martin Bässler, Balthasar Burger, Achim Geissinger, Johannes Gerlitz, Annabel Hertweck, Nadine Holländer, Tobias Holzner, Sandy Liebehenschel, Wiktoria Phillips, Joachim Schäfer, Veronika Schäfer, Daniela Schock, Martin Uhlirz, Anette WannerErik Wunderlich, Sabine Wurster und Yanqiu Zhao eine erstaunliche Vielgestaltigkeit. Die Tag- und Nachtmetaphorik der Traumbilder wird in der subtilen Inszenierung bildlich überzeugend umgesetzt. Da gibt es kaum Schwachstellen. Von der Struktur her findet Oliver Frljic erstaunlich ungewöhnliche Lösungen.

Riesenapplaus und Jubel belohnten seine Arbeit.

Alexander Walther

 

 

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