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STUTTGART/ Schauspielhaus: HOMMAGE AN JUDITH SCHNEIDERMAN – „ich sang um mein Leben“

STUTTGART:  „Ich sang um mein Leben“, eine Hommage an Judith Schneiderman im Schauspiel Stuttgart

DER MENSCH MUSS EINE HEIMAT HABEN

Hommage an Judith Schneiderman im Schauspiel Stuttgart am 15. Januar 2014

Unter dem Motto „Ich sang um mein Leben“ gestalteten Helene Schneiderman (Sopran), Motti Kaston (Bariton), Götz Payer (Klavier) und Franziska Walser (Rezitation) einen wunderbaren Abend über das Leben von Helene Schneidermans Mutter Judith Schneiderman. „Ich wurde in eine tiefreligiöse Familie hineingeboren“, heißt es nicht nur beiläufig. Im Zuge der deutschen Besatzung wurde die 1928 in Rachov (heute Ukraine) geborene junge Frau mit ihrer Familie nach Auschnwitz verschleppt, wo sie ihre Eltern und ihre jüngsten Geschwister verlor. Ihr musikalisches Talent half Judith Schneiderman, im Konzentrationslager zu überleben, indem sie vor deutschen Offizieren sang. Dies alles wird in ihrer außergewöhnlichen Autobiographie „Ich sang um mein Leben“ beschrieben, aus dem die Schauspielerin Franziska Walser eindringliche Passagen vorlas. „Obwohl wir nicht viel Geld hatten, waren wir eine glückliche Familie“, heißt es da. Der Vater war lang, sehr dünn und hatte den längsten Bart in der Stadt. Dieser Bart wurde ihm dann von Verfolgern gestutzt: „He Jude, warum bist du noch so spät unterwegs?!“ Außerdem fällt eine weitere Passage auf: „Er sah aus wie ein anderer Mensch – das war er auch geworden.“ Und es folgt: „Mit Beginn der Besatzung wurde der Antisemitismus unerträglich“, heißt es in der Autobiographie, aus der Franziska Walser Passagen in einem geschickten dramaturgischen Aufbau zitierte. „Als ich meinen Vater sah, blieb mir fast das Herz stehen…seine Augen blickten wild umher…“ Aufrüttelnd und erschreckend werden jene Szenen beschrieben, die die Familie in Auschwitz durchleiden muss. Dies zeigt sich schon bei den beklemmenden Szenen der Hinfahrt: „Die Gendarmen schrien uns an, wir hätten keine Ahnung, wohin uns die Züge bringen“. Es gebe Städte nur für Juden. Im Lager selbst eskalierte die Situation, wie Judith Schneiderman facettenreich schildert: „SS-Offiziere stürzten auf uns zu…“ Es kam selbst mit dem furchtbaren Arzt Dr. Mengele zu einer Begegnung. Die schönsten Schilderungen in Judith Schneidermans Buch sind aber die Eindrücke der Befreiung aus dem Todeslager. Bei Kriegsende überstand Judith Schneiderman den Todesmarsch aus dem KZ und traf im Displaced Persons-Lager ihren späteren Mann Paul: „Obwohl wir nicht viel Geld hatten, waren wir eine glückliche Familie.“ Unter dem Weihnachtsbaum wurde dann über Christus gesprochen. In bester Stimmung feierte man den 60. Hochzeitstag. Judith Schneidermann schildert, wie stolz sie auf ihre Tochter ist, die in der Staatsoper Stuttgart rasch Karriere machte.

Die einzelnen Lebensstationen Judith Schneidermans wurden an diesem denkwürdigen Abend aber auch musikalisch in bewegender Weise illustriert. Dies bewies Motti Kaston nicht nur bei der voluminös und mit weichem Timbre dargebotenen Arie „If I were a rich man“ aus Jerry Bocks berühmtem Musical „Anatevka“, sondern vor allem auch Helene Schneiderman bei den sehr emotional und klangfarblich abwechslungsreich dargebotenen Liedern wie „Das irdische Leben“ aus „Des Knaben Wunderhorn“ von Gustav Mahler. Kunstvolle Polyphonie war selbst kammermusikalisch spürbar. Helene Schneiderman gelang es aber auch, traditionellen Weisen wie „Yome Yome“ einen ganz eigenen gesanglichen Ausdruck zu geben. Tiefe und Reife dominierten auch hier. Bei Ottorino Respighis „I tempi assai lontani“ ragte der Einfluss von Richard Strauss und vom französischen Impressionismus eines Debussy deutlich hervor. Alles war hier geprägt von einer zündenden und südländisch temperamentvollen Rhythmik. Gemeinsam mit Motti Kaston interpretierte Helene Schneiderman zuletzt das eingängige Lied „Der Mensch muss eine Heimat haben“ von Mischa Spoliansky. Diese Melodie wirkte dabei fast wie ein Evergreen. Weitere herausragende Nummern waren „Reyzele“ von Mordechai Gebirtig, Lieder von Franz Schubert, Alexander Olshanetskys „Unter Bäumen wachsen Gräser“oder David Beyglmans „Schließ deine kleinen Augen“ sowie Leonard Bernsteins „Gruß“. Auffallend war dabei in jedem Fall, wie gut sich Sprache und Musik gerade melodisch ergänzten.

Dies war eine gemeinsame Veranstaltung der Oper Stuttgart mit dem Schauspiel und der Internationalen Hugo-Wolf-Akademie.

 Alexander Walther

 

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