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STUTTGART/ Schauspielhaus: „DIE PRÄSIDENTINNEN“ von Werner Schwab. Das Sparen als Osession

22.10.2022 | Allgemein, Theater

Premiere „Die Präsidentinnen“ von Werner Schwab im Schauspielhaus am 22. Oktober 2022/STUTTGART

Das Sparen als Obsession

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Christiane Roßbach, Anke Schubert, Celina Rongen (auf dem Boden liegend). Foto: Katrin Ribbe

 Der früh verstorbene österreichische Dichter Werner Schwab war so etwas wie das Enfant terrible der Literaturszene. Sein  wildes Stück „Die Präsidentinnen“ gehört zu den so genannten „Fäkaliendramen“. Es ist sein erstes Drama. „Wenn der Herrgott die ganze Welt angeschafft hat, dann hat er auch die menschliche Jauche erschaffen“, meint Mariedl, die als Klofrau arbeitet und sich in extremer Weise dem bigotten Glauben verschrieben hat: „Tue Buße!“ Die Mindestpensionistinnen Erna und Grete werden die unglückliche Mariedl zum Schluss ermorden. Das Stück nimmt somit ein blutiges und grausames Ende, was man zunächst gar nicht vermutet. Erna hat sich ebenfalls der Religion und der Sparsamkeit verschrieben. Sie gießt ihren Kaffee mit Toilettenpapier auf. Das Sparen ist zur Obsession geworden. Sie sorgt sich um ihren missratenen Sohn Herrmann, der dem Alkohol verfallen ist und nicht im Traum daran denkt, ihr Enkel zu schenken. Sie ist unglücklich darüber, dass er keinen „Verkehr“ zuwege bringt und hat sich ihren Dackel Lydia zur neuen Lebenspartnerin erkoren. Sie empfindet ihr Leben als von Gott aufgebürdet. Alles ist ihr eine Last. „Aber man muss die Vorsehung eben auch in Ruhe arbeiten lassen, damit man dann erkennen kann, was es geworden ist. Und wenn die Vorsehung dann einmal fertig ist, dann tut einem das Leben gar nicht mehr so weh“, meint Grete. Mariedl ist als Klofrau gegen die Verlockungen der Liebe ebenfalls nicht gewappnet. Erna träumt von ihrer Liaison mit dem örtlichen Fleischer, dem Wottila Karl. Und Grete fantasiert von einer glücklichen Zukunft mit dem Musikanten Freddy. Sie liebt das Ordinäre. Man vermutet, dass ihr früherer Lebenswandel ausschweifend gewesen ist. Aber sie versinkt auch in Selbstmitleid. Mariedl möchte gerne unter dem Jubel einer großen Menge ihre Meisterschaft beweisen – nämlich mit bloßen Händen und ohne Ekel in die Abortgrube zu greifen: „Holt die Mariedl, die Mariedl machts auch ohne!“ Sie gilt als bescheidene „Arme“. Sie möchte selbstlos für andere da sein und wird vielleicht gerade deswegen zum Opfer.

Die älteren Frauen betrachten sie mit Neid, was in der Inszenierung gut zum Ausdruck kommt. Ihre Aufmerksamkeit widmet Mariedl dem Säubern von Toiletten im Auftrag der Nächstenliebe. Sie fischt sogar eine Gulasch-Dose aus dem Abort. „Mich würgt es halt auch wirklich überhaupt nicht, wenn ich hinunter greife in die Muschel, ich opfere das auf für unseren Herrn Jesu Christ, der für uns am Kreuz gestorben ist“, sagt sie. Alle drei Damen sitzen zunächst wie paralysiert vor dem Fernsehapparat und schauen sich Papst-Messen an, träumen von einer „Urbi et orbi“-Veranstaltung in Rom. Die Musik von Imre Lichtenberger Bozoki und Jacob Suske zitiert eindringliche Chor-Passagen. Die Tagträume der drei Frauen arten in eine hitzige Zimmerschlacht aus. Sie fallen wie Tiere übereinander her und beschimpfen sich hemmungslos als „Sau“ und „Nazi- Hur'“.

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Anke Schubert, Christiane Roßbach, Celina Rongen (auf dem Boden liegend). Foto: Katrin Ribbe

Die subtile Inszenierung von Amelie Niermeyer leugnet auch ironische Bezüge nicht. So hängen Bilder der beiden Päpste Benedikt XVI. und Franziskus neben dem Konterfei des österreichischen Ex-Bundeskanzlers Sebastian Kurz an der Wand. Immer ungestümer und brutaler wird diese Zimmerschlacht, bis das Licht der Lampe schließlich in gespenstischer Weise flimmert und das groteske Seelenleben der drei Protagonistinnen grell beleuchtet. Anke Schubert als Erna, Christiane Roßbach als Grete und Celina Rongen als Mariedl bieten allesamt eine herausragende schauspielerische Leistung, die die packenden und dramatischen Momente der Handlung richtig einfängt. Dazu trägt auch das großräumige Bühnenbild von Christian Schmidt bei. Und die Kostüme von Kathrin Brandstätter unterstreichen den rustikal-grotesken Charakter der Handlung. Immer wieder wird die Bar geöffnet und die Damen bedienen sich hemmungslos mit Getränken. Auf der oberen Empore gibt es zugleich eine zweite Bühne, wo sich Statisten tummeln und zünftige Blasmusik spielen. Man sieht zudem als Doppelgängerinnen Erna und Grete, die den beiden Darstellerinnen auf der unteren Bühne Angst machen. Der 1994 in Graz an Alkoholvergiftung gestorbene Werner Schwab selbst meinte über dieses Stück, dass es davon handelt, dass die Erde eine Scheibe ist, dass die Sonne auf- und untergeht, weil sie sich um die Erde dreht. Es handle davon, dass nichts Funktion sein will, nur Zerstreuung. Er hat sein exzessives Leben in seinen Stücken wohl selbst thematisiert. Amelie Niermeyer arbeitet als Regisseurin die unheimlichen Effekte zuletzt mit starker Intensität heraus – etwa dann, wenn nach der Ermordung Mariedls der Fernsehschirm flimmert und das ganze Zimmer in Dunkelheit und Chaos versinkt.

Dabei werden auch die Schwächen des Stücks geschickt überdeckt. Das Publikum quitterte diese Premiere mit „Bravo“-Rufen und starkem Schlussapplaus, der auch die Statisten Martin Bäßler, Heinz Fischer, Eberhard Haiss, Andreas Hamdorf, Roland Möll, Bondad Myra, Ilse Ruck, David Szilygyi, Julia Vetter und Deborah Yates einschloss. Manche halten die „Präsidentinnen“ für ein überflüssiges Stück – doch an diesem Abend kam der tiefere Sinn dieses Dramas zum Vorschein.

Alexander Walther

 

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