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STUTTGART/ Schauspielhaus: DIE DREIGROSCHENOPER

13.06.2014 | KRITIKEN, Theater

Stuttgart/ Schauspielhaus; DIE DREIGROSCHENOPER von Brecht/Weill im Schauspiel Stuttgart. SCHOCK IM TINTENFISCH-HOTEL. 12. Juni 2014

Interessante Premiere von Bertolt Brechts/Kurt Weills „Dreigroschenoper“ am 12. Juni im Schauspielhaus/STUTTGART

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Johann Jürgens, Hanna Plaß. Foto: Bettina Stöß

Bertolt Brechts berühmtester Erfolg in der „nihilistischen“ Schaffensperiode mit dem Kernthema der „Vereinzelung des Menschen“ war 1928 in jedem Fall die erfolgreiche „Dreigroschenoper“ mit der facettenreichen Musik von Kurt Weill. Es handelt sich um eine radikale Modernisierung der englischen „Bettleroper“ aus dem Jahre 1728 von John Gay – eine geniale Parodie auf die heroische Oper mit berühmt gewordenen Songs nach Villon und Kipling. Als skurrile „Darstellung der bürgerlichen Gesellschaft“ wird hier die bürgerliche Ordnung gnadenlos bloßgestellt. Das zeigt auch der einfallsreiche Regisseur Sebastian Baumgarten mit Plakaten wie „Manifest der kommunistischen Partei“, „Bürgerliches Gesetzbuch“ oder gar der „Bibel“. Da gerät alles aus den Fugen, die drehbare Bühne mutiert zum grotesken „Tintenfisch-Hotel“, das zum überdimensionalen Gefängnis wird. Der von Horst Kotterba mit Nonchalance gemimte Polizeichef von London, Brown, stellt ernüchternd fest: „Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral!“ Der Polizeichef verbündet sich dabei mit dem von Johann Jürgens durchaus emotional gemimten Banditenchef Macheath. Dieser bleibt aufgrund einer Begnadigung des Königs zuletzt vor dem Galgen bewahrt, obwohl die Huren ihn zuvor abermals verrieten, da er wieder zu ihnen gegangen ist. Der Chef der Bettlerplatte, Jonathan Jeremiah Peachum, der von Rainer Philippi nuancenreich verkörpert wird, hat misstrauisch festgestellt, dass Macheath seiner Tochter Polly (furios: Hanna Plaß) heftig nachstellt und diese ihn aus Liebe geheiratet hat. Sebastian Baumgarten legt in seiner Inszenierung auf ironische und satirische Untertöne großen Wert – und das zerklüftete Bühnenbild von Thilo Reuther hilft ihm dabei. Und auch die Kostüme von Jana Findeklee und Joki Tewes tragen zum passenden visuellen Outfit bei. Zuweilen wird die Bühne zum riesigen Gefängnis, aus dem der Banditenchef Macheath schließlich mithilfe von Polly erfolgreich ausbricht. „Die getreten werden, treten wieder, darum soll man das Unrecht nicht zu sehr verfolgen“, lautet das abschließende Motto, typisch für Brecht.

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Susanne Böwe, Hanna Plaß, Rainer Philippi. Foto: Bettina Stöß

Unter der forschen musikalischen Leitung von Max Renne musiziert die Band mit Reeds (Heike Rügert, Stefan Koschitzki), Trompete (Joachim Hilse), Posaune (Martin Heckmann), Gitarre (Boris Kischkat), Drums (Rainer Kunert) und Klavier (Max Renne) wie aus einem Guss. Da springen bei Songs wie den Balladen und Bänkelliedern von Mackie Messer („Und der Haifisch, der hat Zähne“), der „Seeräuberjenny“, der „Zuhälterballade“, dem „Neuen Kanonen-Song“, dem „Salomo-Song“, dem „Anstatt-dass-Song“ und der „Ballade von der sexuellen Hörigkeit“ oder den Anklängen an die „Ballade vom angenehmen Leben der Hitlersatrapen“ wirklich elektrisierende Funken über die Rampe. Hanna Plaß gewinnt dem poetisch-lyrischen „Liebeslied der Polly“ ganz neue klangfarbliche Schattierungen ab: „…Wenn meine Mutter selber wüsste all das von mir?“ Als episches Lehrstück und beissende Kritik am Kapitalismus will auch der Regisseur Sebastian Baumgarten seine Version dieser „Dreigroschenoper“ verstanden wissen. Neben Video-Einblendungen aus den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts („Haifisch-Song“) gefallen immer wieder landschaftliche Impressionen wie die wild-atemlose Jagd durch einen imaginären Wald oder die Betrachtung des regendurchfluteten Vorhangs. Die sich dann offenbarende drehbare Bühne wirkt wiederholt wie eine riesige Höhle oder ein unentrinnbares Labyrinth, das nur seitlich geöffnet werden kann und ansonsten von großen Gitterstäben umgeben ist. Man sucht dabei die Menschen und ihr Schicksal, erlebt tausend Überraschungen. Über allem thront eine imaginäre Häuserfassade mit der Aufschrift „Kapital“. Der Kapitalismus in all seinen verrückten Auswüchsen und mit all seinen irren Lügenmärchen wird konsequent auf die Schippe genommen. Da kommen surrealistische Sequenzen zum Vorschein, die die Zuschauer fesseln. Als „postmoderne Vorschule“ und „kommende Gemeinschaft“ wird die „Belehrung“ nach Giorgio Agamben zelebriert. Sebastian Röhrle (Affe 1), Michael Stiller (Affe 2) und Paul Grill (Affe 3) mimen diese Figuren mit Affen-Köpfen und parodistischen Einlagen auf menschliche Verhaltensweisen. Das sind neue Ideen. Der Mensch wird zum Tier und das Tier wird zum Menschen. Es ist die perfekte Parabel über die zweite Existenz. Bemerkenswert ist die dramaturgische Steigerung der Handlung. Zunächst bestreitet Familie Peachum noch einträchtig das erste Finale: „Wer möchte nicht in Fried und Eintracht leben? Doch die Verhältnisse, die sind nicht so!“ Im dritten Akt rüsten sich dann die Bettler Londons nebeldurchwoben angesichts des Krönungszuges der Königin zur Demonstration ihres Elends. Das Lied von der Unzulänglichkeit menschlichen Strebens wird eindringlich beschworen: „Der Mensch lebt durch den Kopf, der Kopf reicht ihm nicht aus. Versuch es nur, von deinem Kopf lebt höchstens eine Laus.“ Lucy (wandlungsfähig: Nathalie Thiede) und Polly versöhnen sich scheinbar im Leid, obwohl sie starke Rivalinnen hinsichtlich der Person des Banditenchefs Macheath sind. Ihr Zweikampf wird auf der Bühne virtuos ausgefochten. Mackie macht seinen Geschäftsabschluss mit Tiger-Brown: „Man schlage ihnen ihre Fressen mit schweren Eisenhämmern ein. Im übrigen will ich vergessen und bitte sie, mir zu verzeihn.“ Mackie wird an einer Schnur hochgezogen – und dann doch durch den Königsboten (Matti Krause, der auch Smith und Bettler darstellt) begnadigt. In einer weiteren Rolle überzeugt aufgrund ihres engagierten Spiels Susanne Böwe als Celia Peachum. Obwohl sicherlich manches Detail vor allem in psychologischer Hinsicht untergeht, gelingt es dem Ensemble, den roten Faden zwischen den einzelnen Personen fortzuspinnen und auch untergründige seelische Abgründe eindringlich zu beschwören. Figuren wie der von Paul Grill robust dargestellte Hakenfinger-Jakob, Sebastian Röhrle als gewiefter Münz-Matthias, Michael Stiller als Peachums Bettler Filch und vor allem die vorzügliche Caroline Junghanns als Spelunken-Jenny und Hure wachsen zum schlagkräftigen Ensemble zusammen, dass vor scharfen gesellschaftlichen Anklagen nicht zurückschreckt. Bertolt Brechts Botschaft bleibt so immer erkennbar, denn der Gesellschaft wird vor allem bei den Bordellszenen mit einem platzenden Luftballon-Penis voller Spott und Hohn der verzerrte Spiegel vorgehalten. Die Welt der Huren und Zuhälter besitzt dabei wiederholt ein Stück Normalität. Nur bruchstückhaft scheinen die Protagonisten vor sich selbst zu erschrecken, sie wirken machmal sogar unbeteiligt. Gewagte Reizklänge und funktionelle Tonalität kommen bei Kurt Weills Musik bei der Stuttgarter Premiere der „Dreigroschenoper“ zum Glück nicht zu kurz. Satirische Schärfe dominiert, auch die „Mahagonny“-Welt mit ihrer Untergangsstimmung ist spürbar. Abwechslungsreich ist hier der Verlauf des Geschehens um die Gauner, Huren und Sonderlinge, die sich gegenseitig nicht aus den Augen lassen. Jazz-Akzente beherrschen die durchkomponierten Partien konsequent, auf Melodik und Rhythmik legt man großen Wert. Eine gute Idee ist ferner der dominierende Blick auf die Zeit – vor allem der Bettlerchef Peachum ist von der großen Uhr gefangen, in deren Zahnrad er sich rettungslos verheddert hat. Er hetzt dem Zeiger atemlos hinterher. Diese Szene bestimmt auch das weitere Tempo der bilderreichen Aufführung. Dem visuellen Schock im Tintenfisch-Hotel entkommt so niemand (Video: Philipp Bußmann).

 Alexander Walther

 

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