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STUTTGART/ Schauspielhaus: DENN SIE WISSEN NICHT, WAS WIR TUN. Fluxus-Konzertinstallation

29.03.2014 | KRITIKEN, Oper

STUTTGART/ Schauspielhaus: MIT DER BALLETTELEVIN  AUF UND DU
Premiere der Fluxus-Konzertinstallation am 28. März 2014 im Schauspielhaus

Unbenannt
Copyright: Staatstheater Stuttgart

In der Regie von Schorsch Kamerun feierte die Fluxus-Konzertinstallation „Denn sie wissen nicht, was wir tun“ Premiere.

Das Archiv Sohm in der Stuttgarter Staatsgalerie umfasst eine der weltweit größten Sammlungen zum Thema Fluxus. Der Regisseur und versierte Musiker Schorsch Kamerun („Die goldenen Zitronen“) machte sie zum virtuosen Ausgangspunkt für eine begehbare „Fluxus-Konzertinstallation“. Eine Gruppe von Musikanten, Schauspielern und Experten startete diese Performance mit Darstellern in Kostümen des 19. Jahrhunderts, einem Mann im Cello-Gewand oder einer facettenreich agierenden Ballett-Elevin. Hier wurden konsequent die Ideen von John Cage aufgegriffen. Das Auf- und Zerbrechen bestimmter Hörgewohnheiten war dabei nachvollziehbar. Auch eine gewisse Nähe zu parkähnlichen Indoor-Landschaften war deutlich bemerkbar. Aus dem Mini-Terrassengarten quoll bei der Premiere jedenfalls erfrischender Dampf, der die Zuschauer umnebelte. Zu hören war aber auch der Posaunenchor der evangelischen Christuskirche Stuttgart neben Studierenden der Staatlichen Akademie für Bildende Künste Stuttgart sowie mitwirkenden Kreativen aus Stuttgart und Hospitanten. Eine Bonusmaschine erzählte von den „Müßigen“: „Die folgende Eigen-Anzeige ist straffrei und wird solange wiederholt bis alle Leitungen besetzt, alle Flächen verklebt, alle Plätze gefüllt, alle Träume und Räume verkauft sind…“ Auch der satirische Dialog zwischen dem weiblichen „Duschgel“-Produkt und der Filmemacherin hatte es in sich: „Ich will herausfinden, ob ich noch etwas anderes sein kann als ein Produkt. Ich weiß nur noch nicht wie ich es zeigen kann.“ Christian Brachtel (Schlagwerk, Synthesizer) leistete hier ganze Arbeit. Zusammen mit seinen virtuosen Kollegen Sachiko Hara (Piano), Berit Jentzsch (Tänzerin), Schorsch Kamerun (Gesang), Wolfgang Michalek (Einspieler Stimme), Carl Oesterhelt (Synthesizer, Metallophon), Hanna Plaß (Schauspielerin), Abak Safaei-Rad (Schauspielerin) und Stefan Schreiber (Klarinette) bot das Ensemble eine erfrischende Gesamtleistung.

Die Fluxus-Künstler waren untereinander immer schon bestens vernetzt – was Schorsch Kamerun bei seiner originellen Arbeit zeigen möchte: Das Konzert ist über einen Lautsprecher im ganzen Foyer zu hören. Und die Texte der Songs sind aus Gesprächen mit den Mitwirkenden des Projekts entstanden. Im Gedächtnis blieb vor allem der stimmungsvolle „Song 7“: „Aber. Sonst nie. Jetzt und – niiee wieder! Wollen keine SMS mehr kriegen…“ Bei der geradezu ekstatischen Hymne an die „Bonusmaschine II“ steigerte sich auch der visuelle und akustische Rhythmus im Foyer in elektrisierender Weise: „Kleine, große Welt. Erfahrung, Sorgfalt. Begeisterung. Details. Flexibilität. Eine große Vorfreude, die in keinen kleinen Umschlag passt. Ein gesellschaftskritischer Theaterabend, ein alternativer Stadtspaziergang durch Problemquartiere…“ Beim achten Song „Schneckenbegräbnis“ ging ebenfalls die Post ab: 1. Erlebnis, 2. Ergebnis Schneckenbegräbnis!…Superergebnis, Megaerlebnis Schneckenbegräbnis!“ Und der vierzehnte Song geriet dann zu einer wilden Hommage an Andy Warhol: „Unsere Kunst mufft nach Opa – Ich rieche wie Vater – Es trennt uns nur, ein Segen – Der Andy Warhol Krater…“ Schnittstellen zu Fluxus und Minimal Art werden hier konsequent ausgelotet. Man sieht bei der Installation auch Zitate von Experimentalarchitektur, wie sie sich im Stadtraum findet.

Quintessenz dieser aufwühlenden Konzertinstallation mit Aufzügen, Gehsteigen und einer Cocktailbar ist in jedem Fall, dass das Publikum als Teilnehmer eine Performance der Kunstrichtung „Fluxus“ gewonnen hatte. Visueller Abwechslungsreichtum sorgte dabei für einen bewegten Eindruck. Dazu gehörte auch der spazierende Regenschirm mit mehreren Stockwerken.
 
Alexander Walther  

 

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