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STUTTGART/ Schauspielhaus: CLOCKWORK ORANGE von Anthony Burgess. „Geld ist nicht alles“

25.05.2015 | Allgemein, Theater

Clockwork Orange“ im Schauspiel Nord Stuttgart GELD IST NICHT ALLES (24.5.2015)

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Stefan Hornbach, Varya Popovkina. Copyright: Robert Sievert

 Als freies Projekt des vierten Jahrgangs der Akademie für Darstellende Kunst Baden-Württemberg ist „Clockwork Orange“ nach dem Roman von Anthony Burgess in der rasanten Regie von Daniel Foerster hier trotz mancher Abstriche in weiten Teilen geglückt. Die Darsteller Godje Hansen, Alexandra Lukas, Stefan Hornbach, Varya Popovkina und Carolin Wiedenbröker leisten hier als Studierende der Akademie Beachtliches. In der weiträumigen, aber schlichten Ausstattung von Robert Sievert verlangt Foerster von den Akteuren vor allem eine intensive Körpersprache, die sich immer weiter verdichtet: „Geld ist nicht alles“.

Aus einem vordergründig friedfertigen System wird schnell die reine Hölle. Alex und seine „Droogs“ werden von Gewalt beherrscht. Sie prügeln, vergewaltigen und töten, misshandeln den Schriftsteller Frank Alexander und seine Frau. Alex wird dann plötzlich mit der Umerziehung zur Friedfertigkeit bestraft. Das ist ein qualvoller Prozess, der niemanden kalt lässt. Eine knallharte Rockmusik unterstreicht gnadenlos diesen heftigen Verwandlungsprozess. Die Therapie endet bei Ärzten in einer psychiatrischen Klinik und wird selbst zum Gewaltakt. Zwischen Richard Wagners „Rheingold“ und Ludwig van Beethovens neunter Sinfonie erleben die Darsteller auch eine Art sexuelle Revolution, die aber stark ins Satirische verfremdet wird („Ich bin mir meiner Erotik durchaus bewusst“). Eine groteske Katzenlady lässt grüßen, der Stefan Hornbach Gestalt verleiht. Geld ist hier wirklich nichts im Vergleich zur „Horrorshow“ Lust, die durch den Körper jagt, wenn man die rote „Kraw“ fließen sieht. Bis zum Überdruss werden Flaschen mit einer Art Milchflüssigkeit über die Körper und auf das Manuskript des malträtierten Schriftstellers geleert, die Akteure werden mit dieser Aktion in heftiger Weise und bis zur Schmerzgrenze gepeinigt. Logik und Zwang von Maschinen fordern dabei gesellschaftlichen Fortschritt. Die Darsteller mimen eine verstörte Gruppe von erwachsenen Kindern, die mit sich selbst nicht zurecht kommt.

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Stefan Hornbach, Godje Hansen, Alexandra Lukas, Varya Popovkina und Carolin Wiedenbröke. Copyright: RobertSievert

Ironische Seitensprünge lockern diese Inszenierung aber glücklicherweise auf, so dass manche Schwachstellen überwunden werden. Mit Alex‘ Verhaftung beginnt seine Umerziehung zu sozialer Verträglichkeit. Doch er kämpft immer noch heftig mit dem System: „Ich will nicht mehr leben in einer beschissenen Scheißwelt wie dieser!“ Er möchte lieber umgebracht werden. Doch schließlich wird er bei der seltsamen Therapie berechenbar wie ein Uhrwerk. Dieser Aspekt kommt in der Regie von Daniel Foerster aber stellenweise zu kurz – vielleicht auch deshalb, weil die Hauptfigur sich aufteilt und von mehreren Schauspielern gleichzeitig gemimt wird. Mit Drohungen bringt man den Aufmüpfigen letztendlich zur Räson: „Sieh dich vor, wir wissen mehr, als du glaubst!“ Es kommt zu heftigen Gewaltexzessen: „Verschwinden Sie oder ich schieße Sie tot!“ Ein selbsternannter Moralapostel wettert über die „kleinen Sünder“, die er schrecklich bestrafen will. Humor kommt auf, als die jungen Damen vor dem Vorhang eine witzige Revue-Parodie abliefern, die es wirklich in sich hat und starkes komödiantisches Talent offenbart. Da wachsen Talente heran, von denen man noch hören wird. Beklemmend gelingen auch die Szenen mit einer Art Gehirnwäsche, die die ehemaligen Straftäter gründlich kurieren soll: „Sie armes Opfer der neuen Zeiten…“ Die Ärzte reagieren hier voller Spott auf ihre „Patienten“, töten ihnen jeden Lebensnerv ab. Das sind die stärksten Szenen einer Inszenierung, die den mühsamen Weg der Befreiung aber nicht für alle zulässt. Eine Darstellerin wird einfach hinter dem durchsichtigen Vorhang zurückgelassen, der zum undurchdringlichen Gefängnis geworden ist.

Das ist packend inszeniert. Auf der Grundlage des 1961 erschienenen Romans von Anthony Burgess machen die Darsteller das Erleiden physischer Gewalt in eindringlicher Weise greifbar. Deswegen ist diese in Zusammenarbeit mit dem Schauspiel Stuttgart und der Staatlichen Akademie der Bildenen Künste Stuttgart entstandene Theaterarbeit sehenswert.

 
Alexander Walther

 

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