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STUTTGART/ Schauspielhaus: „BUDDENBROOKS“ von Thomas Mann. Welten treffen aufeinander

15.05.2025 | Allgemein, Theater

Stuttgart/ Schauspielhaus: „Buddenbrooks“ von Thomas Mann am 15.Mai 2025 im Schauspielhaus/STUTTGART

Welten treffen aufeinander
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Tim Bülow (Christian Buddenbrook), Rainer Galke (Thomas Buddenbrook), Emilia Dorr (Bedienstete), Sven Prietz (Bendix Grünlich), Christiane Roßbach (Konsulin Elisabeth Buddenbrook), Celia Rongen (Tony Buddenbrook), Ankene Schubert (Konsul Johann Buddenbrook). Foto: Thomas Aurin
 
Zum 150. Geburtstag von Thomas Mann zeigt das Schauspiel Stuttgart seinen Roman „Buddenbrooks“ in einer Fassung von John von Düffel. Die Inszenierung von Amelie Niermeyer legt Wert auf die inneren Konflikte der drei Geschwister Tony, Christian und Thomas. Und die Bühne von Christian Schmidt unterstreicht stilvoll die großbürgerliche Fassade, hinter der der Verfall lauert. Die Kostüme von Stefanie Seitz passen sich eher unserer Gegenwart an. Eine traditionsreiche Firma spielt dabei die Hauptrolle. Tradition und  Disziplin der hanseatischen Kaufmannswelt prallen auf den Wunsch nach persönlichem Glück dieser Protagonisten. Thomas tritt ehrgeizig sein Erbe als Kaufmann an. Christian möchte lieber die weite Welt kennenlernen. Als ewiger Junggeselle und Bonvivant macht er die Clubs von London und Paris unsicher. Die stärkste Figur in dieser Inszenierung ist zweifellos deren vom Pech verfolgte Schwester Tony, die unter familiärem Druck in eine unglückliche Ehe einwilligt. Ihre Beziehung zu Bendix Grünlich scheitert ebenso wie die Ehe mit Alois Permaneder. Celina Rongen liefert als Antonie Buddenbrook ein starkes Charakterporträt, das niemanden kalt lässt. Und der klavierspielende Hanno Buddenbrook, der früh sterben wird, steigert sich in seine musikalischen Fieberphantasien hinein, die sein Vater Thomas nicht versteht.  Schließlich erklingen Auszüge aus Richard Wagners „Tristan und Isolde“. Es ist ein Tribut an den verkannten Wagner-Verehrer Thomas Mann, der mit seinem Essay „Leiden und Größe Richard Wagners“ einen Skandal und Proteststurm der „Richard-Wagner-Stadt München“ entfachte.

Amelie Niermeyer macht bei ihrer suggestiven Regie recht gut deutlich, dass diese Familie von den Ereignissen regelrecht überrollt wird. Christians Einstieg in das Familienunternehmen erscheint als Desaster. Er ist nur ein Unterhaltungskünstler und kein Geschäftsmann. Thomas heiratet schließlich die reiche und künstlerisch begabte Gerda Arnoldson, die neben ihrem Geigenspiel auch frisches Kapital in die Ehe bringt. Gerda ist aber zu selbstbestimmt, um sich in die komplexe Rolle der Konsulin zu fügen. Silvia Schwinger verdeutlicht ihren unnahbaren Charakter plastisch. Ihr gemeinsamer Sohn Hanno ist kränklich und flüchtet sich vor dem unerträglichen Schulalltag ins Klavierspielen. Felix Jordan kann als Hanno und am Leben scheiternder Jugendlicher das Publikum fesseln. Als resoluter Konsul Buddenbrook imponiert Anke Schubert in einer undurchsichtigen Männerrolle. Und auch Christiane Roßbach kann als zuletzt herrische Konsulin Elisabeth Buddenbrook vor allem bei der heftigen Auseinandersetzung mit ihrem Sohn Thomas (fesselnd: Rainer Galke) überzeugen. Sven Prietz gelingt es als scheiternder Unternehmer Bendix Grünlich, die Katastrophe seiner geschäftlichen Pleite drastisch vor Augen zu führen. Sebastian Röhrle mimt als hemdsärmeliger Alois Permaneder statt dessen den burschikosen Bayern, der Tony den Kopf verdreht. Für Reinhard Mahlberg ist der ebenso gewiefte wie verschlagene Bankier Kesselmeyer eine Glanzrolle. Er kann seinen Sadismus an dem verzweifelten Grünlich genüsslich auslassen. Diese Passagen gehören neben Tonys Ausbrüchen zu den besten Sequenzen dieser insgesamt gelungenen Aufführung. In weiteren Rollen überzeugen noch Tim Bülow als aufbegehrender Christian sowie Hanno als Kind in unterschiedlichen Besetzungen mit Hans Kuhn, Flinn Naunheim, Levin Raser und Samuel Santangelo. Als Bedienstete agieren sowohl Rocio Crespo und Emilia Dorr in abwechselnden Besetzungen. Diese Partie erreicht zuletzt eine starke Präsenz, wenn das Dienstmädchen wütend kündigt und gegen gesellschaftliche Normen aufbegehrt. Das führt dann zum Zusammenbruch des eigentlich erfolgreichen Senators Thomas Buddenbrook, der seinem Sohn Hanno das Versagen beim öffentlichen Zitieren eines Gedichts nicht verzeiht.

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Felix Jordan (Hanno Buddenbrook), Samuel Santangelo (Hanno als Kind). Foto: Thomas Aurin

In Düffels Neubearbeitung und Niermeyers Inszenierung beginnt diese Familiengeschichte bei Hanno, der seine verworrene Familiengeschichte auf der Bühne rekonstruiert. Trotz der historischen Distanz haben diese Figuren für Amelie Niermeyer sehr viel mit unserer heutigen Situation zu tun. Der Untergang des alten Geldes und die rasante Beschleunigung einer neuen Zeit treten hier in jedem Fall grell zutage. Die wechselhafte Chronik dieses Lübecker Patriziergeschlechts beginnt im Jahre 1830. Natürlich kommt in dieser Fassung die Schilderung des Lebens von vier Generationen zu kurz, was eine dramaturgische Schwäche ist. Und trotzdem gelingt es dem Team eindringlich, die wichtigsten Stationen und Szenen packend herauszuarbeiten. Dieser „Verfall einer Familie“ betrifft vor allem die komplizierte Geschwistersituation und die Position von Thomas, der an Misserfolgen am meisten leidet. Thomas und Tony wollen den Erwartungen des Vaters entsprechen – während Christian vor seinem Leben flieht. Die Generationenabfolge der „Buddenbrooks“ wird hier von heute aus erzählt. Der feierliche Einzug ins Stammhaus datiert sich als Beginn auf die 60er/70er Jahre des letzten Jahrhunderts. Bei den Kostümen hat man nach der Entwicklung der Figuren im Laufe der Zeit und nach ihrer Zusammengehörigkeit gesucht. Form und Farbigkeit dieser Kostüme repräsentieren Arbeitsethos und Disziplin. Die Musik von Bach und Wagner symbolisiert in dieser Inszenierung den Drang zum eigenen Ausdruck. Gerda und ihr Sohn Hanno passen nicht ins streng bürgerliche Leben. Drill und das freudlose Interpretieren von Notentexten steht dabei im Gegensatz zum freien Improvisieren auf dem Klavier. Für Gerda ist das intensive Geigenspiel jedoch auch eine seelische Hilfe in der Kälte der starren  Kaufmannswelt. Die Chronologie der Handlung wirkt an einigen Stellen sprunghaft, aber nicht unüberlegt. Verschiedene Ebenen werden angesprochen – Hanno ist dabei der sensible Bezugspunkt zur heutigen Welt. Die von der Mutter geerbte musikalische Begabung verhindert seine berufliche Laufbahn in der Geschäftswelt. Hanno führt bei dieser Inszenierung nicht als Erzähler durch den Abend, sondern als Figur, die der Geschichte seiner Familie durchaus einfühlsam nachspürt.

Deutlich wird bei der Inszenierung, dass es sich bei „Buddenbrooks“ um einen naturalistischen Roman handelt. Die Seelengeschichte des deutschen Bürgertums wird nachgezeichnet – mal in starken, dann wieder in weniger starken Bildern. Die männlichen Nachkommen erlöschen mit dem fünfzehnjährigen letzten männlichen Nachkommen, einem „zum Künstler entartenden“ lebensuntauglichen und der Musik hingegebenen Träumer. Neben dem französischen Naturalismus und Impressionismus blitzt hier aber ebenso der unerbittliche Moralismus Tolstois auf, die motivische Musik von Wagners „Ring des Nibelungen“ sowie niederdeutsche und englische Humoristik ergänzen sich. Auch die hintersinnige Philosophie Schopenhauers und der dramatische Skeptizimus und Symbolismus eines Henrik Ibsen spielen eine Rolle. 

 
Viel Applaus und „Bravo“-Rufe für diese sehenswerte Aufführung.  
 
Alexander Walther

 

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