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STUTTGART/ Schauspiel Nord: MARIO UND DER ZAUBERER nach Thomas Mann

23.05.2014 | KRITIKEN, Theater

Mario und der Zauberer“ nach Thomas Mann im Schauspiel Nord Stuttgart

BEHEXUNG DES PUBLIKUMS

Premiere von Thomas Manns „Mario und der Zauberer“ am 22. Mai 2014 im Schauspiel/STUTTGART

Als Ein-Personen-Stück hat der Regisseur Tilmann Köhler dieses Werk nach der berühmten Novelle von Thomas Mann konzipiert, wo es um einen recht grotesken Ferienaufenthalt in Norditalien geht. Paul Schröder bezieht hier als wandlungsfähiger Schauspieler das Publikum sehr stark in die Handlung dieses „tragischen Reiseerlebnisses“ mit ein. Die Zuschauer sitzen wie in einem Cafe an Tischen und werden rasch in die aufregende Handlung hineingezogen: „Die Erinnerung an Torre di Venere ist atmosphärisch unangenehm…“ Die Atmosphäre der zwanziger Jahre des letzten Jahrhunderts wird fast schon magisch bei Zauberkunststückchen und Kartenspiel beschworen. Man spürt die nervöse Spannung der Weimarer Republik vor Hitlers Machtergreifung. Thomas Mann hat diesen Text 1929 geschrieben – im Jahr der Nobelpreisverleihung. Und selbst der Führerkult spielt eine Rolle und wird persifliert, denn Paul Schröder lässt sich an einem Seil an der Kamera hochziehen und spielt virtuos verschiedene Rollen als Schauspieler, Zauberer, Erzähler und Mario. Im Zentrum des Geschehens steht der recht dämonische Zauberkünstler Cipolla, ein scheinbarer Bruder des „Sandmanns“ Coppelius oder des Augenhändlers Coppola aus E.T.A. Hoffmanns Gespenstererzählung „Der Sandmann“. Manipulation, Tanz, Trance, Aufbegehren und Demütigung stehen am Ende seiner Vorstellung: „Ärger, Gereiztheit, Überspannung lagen von Anfang an in der Luft, und zum Schluss kam dann der Choc mit diesem schrecklichen Cipolla, in dessen Person sich das eigentlich Bösartige der Stimmung auf verhängnishafte und übrigens menschlich sehr eindrucksvolle Weise zu verkörpern und bedrohlich zusammenzudrängen schien…“ Es gelingt Tilmann Köhler als Regisseur, hier einen unheimlichen Sog heraufzubeschwören, der übrigens auch die kunstvolle Sprache Thomas Manns auszeichnet. Das Publikum reagiert fasziniert auf dieses magische Menschenexperiment, bis der Kellner Mario dem Zauber des Hypnotiseurs mit zwei Schüssen ein Ende bereitet und Cipolla tötet. Mit Hilfe von Video-Einblendungen wird hier eine surrealistische Szenerie entworfen, die auf das Publikum eine geradezu elektrisierende Wirkung hat. Paul Schröder teilt sich als Darsteller tatsächlich in viele Figuren auf, was ihm überzeugend gelingt. Die „Behexung“ des irritierten Publikums funktioniert vorzüglich. Selbst Thomas Manns Novelle wird als Buch an allen Tischen verteilt. Und ein Foto wird auf die Internetseite geladen. Man fordert die moderne Medienwelt heraus. Die freie Willensentscheidung steht so im Zentrum der Handlung. Mario wird von Cipolla so lange hypnotisiert, bis er ihm seine unglückliche Liebe zu dem Mädchen Silvestra gesteht. Hier wendet sich aber auch das dramaturgische Blatt der Handlung – und das Verhängnis nimmt seinen Lauf. Denn Cipolla spielt Mario vor, seine Geliebte Silvestra zu sein und fordert ihn auf, ihn auf den Mund zu küssen – was schließlich geschieht. Auch dabei bedient sich Paul Schröder geschickt der Mithilfe des Publikums. Hier eskaliert die Handlung, wobei Mario den Zauberer auf offener Bühne erschießt. Der Schauspieler Paul Schröder steigert sich in diese Situation immer glaubwürdiger hinein und vermag auch das Publikum mit seiner fesselnden Darstellungskunst weitgehend zu überzeugen. So eskaliert die Situation visuell wie in einem Blitzlichtgewitter.

Der ganze Abend ist als direkter Dialog zwischen einem Schauspieler und dem Publikum konzipiert. Es geht um die Frage nach dem Umgang von Führer und Masse. Das wird hier sehr ironisch persifliert. Was Paul Schröder sehr plastisch verdeutlicht, ist der Versuch des Zauberers Cipolla, Macht über sein Publikum mithilfe von Hypnose zu gewinnen. Die Damen werden schließlich aufgefordert, hinter die Bühne mitzukommen und sind auf einer großen Videoleinwand zu sehen. Auf der anderen Seite bleiben die Herren fassungslos zurück und wissen nicht, wie sie reagieren sollen. Der Künstler agiert schließlich als schamloser Demagoge. Das Publikum lechzt gleichermaßen nach ständig neuen Zaubertricks, die ihm Paul Schröder auch in gekonnter Weise bietet. Die Tötung Cipollas ist schließlich eine befreiende revolutionäre Handlung. Es wird zwar nach der Polizei gerufen und der Täter Mario wird festgehalten – aber das Geschehen als solches markiert einen entscheidenden Wendepunkt in der Entwicklung der Gesellschaft. Dies ist die entscheidende Botschaft dieser Inszenierung von Tilmann Köhler, die durch die intensive Einbeziehung des Publikums Neues wagt.

Die Bühne von Karoly Risz, die Kostüme von Susanne Uhl und die subtile Musik von Jörg-Martin Wagner und Lasse Schwanck (Video: Tobias Dusche) ergänzen sich dabei in geheimnisvoller Weise. Irgendwie bleibt man auch etwas ratlos zurück. Man fühlt sich in einer unentrinnbaren Multimedia-Welt gefangen. Und es ist dennoch ein befreiendes Ende.

 Alexander Walther

 

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