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STUTTGART/ Schauspiel Nord: CALIGULA von Albert Camus – „Das Ende bleibt offen“. Premiere

16.03.2014 | KRITIKEN, Theater

DAS ENDE BLEIBT OFFEN – Premiere „Caligula“ von Albert Camus am 15. März 2014 im Schauspiel Nord

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Astrid Meyerfeldt (Caligula), Sandra Gerling (Scipio). Foto: Conny Mirbach/

In der Regie des polnischen Regisseurs Krzysztof Garbaczewski erlebt man bei Albert Camus‘ Schauspieltragödie „Caligula“ über den blutrünstigen römischen Kaiser gleich mehrere Überraschungen. Zum einen ist Caligula selbst eine Frau, die von der grandiosen Darstellerin Astrid Meyerfeldt furios verkörpert wird: „Nicht nur die Dummheit steht gegen mich auf, sondern auch die Treue und der Mut derer, die glücklich sein wollen…“ Caligula ist laut Garbaczewski die Tragödie der intimsten Erfahrung, die ein Mensch durchleben kann. Caligula ist zunächst ein recht liebenswerter Kaiser, dann jedoch wird er aus Schmerz über den Tod seiner Geliebten zum Gewalttäter. Caligula lebt laut Garbaczewski in einer glücklichen inzestuösen Beziehung, doch eines Tages blickt einer der Geschwister in den Spiegel und kann kein Spiegelbild mehr erkennen.

Die Video-Einblendungen von Robert Mleczko bilden den Hauptschwerpunkt des visuellen Geschehens, hier werden die Mordtaten des verrückten Kaisers bluttriefend und drastisch dargestellt. Wie in Spiegelbildern sieht man hier die Gesichter, die sich in unheimlicher Weise auseinanderfalten und das zerklüftete Seelenleben Caligulas widerspiegeln. Anspielungen auf Hitler und Stalin sowie erschütternde Kriegsbilder fehlen bei dieser Regiearbeit ebenfalls nicht, die jedoch eindeutig zu wenig reales Bühnentheater bietet. Streckenweise befinden wir uns nämlich in einem Kinofilm, der letztendlich immer um die gleichen Themen kreist, was auf die Dauer eher ermüdend ist. Caligula erkennt sich dabei durchaus glaubwürdig als Opfer des Zufalls, der eine zerstörerische Wut entfaltet. Eine Leiche folgt der anderen, die in schwarze Folien eingepackt werden. Die ihn umgebenden Vasallen Helicon (facettenreich: Paul Schröder), Scipio (ausdrucksvoll: Sandra Gerling), Cherea (forsch: Sebastian Röhrle), Mereia (bewegend: Katharina Knap) und Caesonia (Johannes May, Student der Akademie für Darstellende Kunst Baden-Württemberg) werden zu Opfern seines Machtwahns und deswegen grausam ermordet. Da Caligula sich selbst als Opfer des Zufalls erkennt, eskaliert die Situation mehrfach. Aber der Mord an Caligula durch die Prätorianergarde entfällt völlig, Astrid Meyerfeldt verwischt die Spuren der Morde mit einem Besen beziehungsweise einem Putzlappen. Der „weibliche“ Kaiser ist ein romantischer Nihilist, der das Unmögliche will. Er scheint sich immer wieder in verschiedene Figuren aufzuspalten und viele Gesichter zu haben. Caligula ist durchaus selbst bereit, über Leichen zu gehen und den Tod zu suchen. Als intellektueller Verbrecher treibt er seine Untertanen immer weiter in den Abgrund, was auch die Spannungseffekte des Stückes ausmacht. Grausame Visionen von Mord und Tyrannei werden so zur Wirklichkeit, die schmerzvoll ist.

Das bringt die Inszenierung trotz aller Schwächen durchaus glaubwürdig zum Vorschein. Und die Musik von Brodka und Mielczarek unterstreicht diese Intention höchst eindringlich. Mit der Live-Kamera agieren Tobias Dusche und Philip Roscher und verbinden damit geschickt Reales und Irreales. Auch die Wandmalerei von Anat Ivgi (Studentin der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart, Klasse Brenner) fügt sich nahtlos und facettenreich in die Dramaturgie von Anna Haas. Svenja Gassen ist für die Kostüme verantwortlich, die sich teilweise an der römischen Geschichte orientieren. Insgesamt gelingt die kalte Raserei des römischen Imperators bei dieser Inszenierung überzeugend. Diese durchaus sehenswerte Produktion entstand in Zusammenarbeit mit dem Polnischen Institut Düsseldorf. 

 Alexander Walther

 

 

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