Stuttgart: Platée 6.7.2012
Mit Platee von Jean-Philippe Rameau brachte die Stuttgarter Oper eine eher selten gespielte Barockoper heraus und zwar in einer schrillen Inszenierung von Calixto Bieito. Diese erweist sich aber, in 2 3/4Stunden länger als viele Händel-Opern, als kurzweilig im besten Sinn, und viele Arien fallen überhaupt nicht als anstrengend ins Gewicht. Christian Curnyn bemüht sich am Pult um einen Barock-Sound, der nie Rätsel aufgibt, alle Nummern fließen ineinander über in diesem ‚Ballet bouffon‘, und Rameu bezieht im sog. Buffonistenstreit eine Vermittlerposition zwischen französischer opera seria und italienischer Buffa. Sein Schlüssel scheint darin zu liegen, daß er koloraturhaltige Gesänge immer wieder in Tanzensembles auflöst, die eine ganz spritzige Note in diese Musik hineinbringen. Der Curnynschen Lesart folgt das Stuttgarter Staatsorchester und erreicht immer einen plastischen unverschlackten Klang, so daß man sich auch keinerlei dogmatische Gedanken machen muß, ob es sich dabei um Originalklang oder um historisch informierte Spielweise handelt.
Die Geschichte der Sumpfnymphe Platée, die von Jupiter zwecks Heirat aufgesucht wird, die aber letztlich wegen Platées Häßlichkeit abgeblasen wird, verlegt Bieito zur Gänze in einen bekannte Diskothek/Club in New York, bei der eine schrille Partygesellschaft in teilweiser barocker Aufmachung (seit den 80er jahren, z.B.mit Allongeperücken wieder salonfähig) tanzend durchfeiert. Platée wird als Transvestit gezeigt, d.h. er ist ein Mann und es wird am Ende seine wahre geschlechtliche Identität entdeckt, was die Hochzeit mit Jupiter, zur diebischen Freude Junos, vereitelt. Durch diese ‚Vorbedingung‘ folgt auch, daß die Gesellschaft permanent einer latenten Homoerotik frönt, was auch in großen umgeschnallten Penissen zum Ausdruck kommt. Insofern kommen die heterosexuellen Teile des Publikums hier eher nicht so auf ihre Kosten… Das ganze Spektakel spielt sich auf einer schwarz-dunklen, offenen Bühne von Susanne Gschwender ab, die viel Tanzraum lässt und Platz für Diskokugeln und herabfahrende barocke Wagengestelle etc., die von den Taumelnden begeistert aufgegriffen werden. Immer dichter fahren Lichtkugeln herab und verwandeln das Ambiente in einen wahren Palazzo della Luce.
Sophie Marilley ist die Juno im enganliegenden langen Kleid (Kostüme Anna Eiermann) und einem ausdruckskräftigen Mezzosopran. Andreas Wolf gibt den Göttervater mit strahlendem edel tinbrierten Baßbariton und wirkt dabei auch in Allungeperücke jugendlich knackig. Yuko Kakuta singt eine Nymphe mit klarem, hell-ebenmäßigem Sopran. In weiteren Nebenrollen treten die Baritone Andre Morsch und Shigeo Ishino, sowie Rebecca von Lipinski als komischer Sopran auf. Einen großen Auftritt hat Ana Durlovski als Amour und La Folie. Weißhaarig barockmäßig und im Bodystretch, als Amour sogar mit dick-schwarzrandiger Brille, bringt sie phantastisch schöne Koloraturarien mit ihrem ausgeglichen funkelnden Sopran zu Gehör und bewegt sich dazu mit E-Gitarre wie eine Rocksängerin, die auch mal gegen Ende wie Amy Whinehouse schwer abtakelt. Platée ist Thomas Walker mit ausgehört splendid placierten hohen Tenortönen und zuweilen auch einem gewissen aufregendem Schmelz in der Stimmführung, die ihn auch als Transvestit einigermaßen goutieren läßt.
Friedeon Rosén