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STUTTGART: OTHELLO. Ballett – immer noch von radikaler Wirkung

Stuttgarter Ballett „OTHELLO“ 23.7.2013 – immer noch von radikaler Wirkung

 
Bemerkenswert reifes Debut – Damiano Pettenella (Othello) und Miriam Kacerova (Desdemona). Copyright: Stuttgarter Ballett

Bis zum vorletzten Tag der Spielzeit 12/13 mußten zwei Tänzer aus Reid Andersons Compagnie ihre nach einer anstrengenden Saison strapazierten Kräfte in noch bedeutende Debuts investieren – und bestanden diese Herausforderung mit einem schon beachtlich tief greifenden Rollenverständnis.

Solist Damiano Pettenella , der bei der letzten Aufführungsserie 2008 noch als Jago eingesetzt war, stellte sich nun in der Titelrolle vor – sichtbar gereift und an Profil gewonnen, geht er den Feldherrn Othello ganz konzentriert, mit einer in sich ruhenden Beherrschtheit an, als ob ihn keine Gefühle angreifbar machen könnten. Ein Befehlshaber, der seine bestimmenden Signale ohne großes Aufhebens alleine durch seine Blicke aussendet und Desdemona im ersten Pas de deux zu Arvo Pärts so unnachahmlich in sich versunkenen Meditations-Klängen so behandelt, als würde er ihre Nähe und Liebe auch fürchten. Doch mit Jagos zunehmender Manipulation seiner empfindsamen Stellen kommt Leben in Pettenellas Othello – die Augen beginnen unruhig zu werden, zu Alfred Schnittkes bohrenden Violin-Sequenzen macht er deutlich sichtbar, wie sich das Gift der Eifersucht in sein Inneres bohrt. Die Szenen mit Jago und zuletzt mit Desdemona werden zu spannenden Konfrontationen, unterstützt von einer nun ausbrechenden, ihn als Tänzer ganz neu beleuchtenden Sprung-Vehemenz, die im ersten Teil noch sehr gebremst und vorsichtig erschienen war.

Für die Halbsolistin Miriam Kacerova ist Desdemona die erste Hauptrolle und damit ein besonderer Premierenabend. Auch sie öffnete sich zusehends in der sie umgebenden rohen Militärwelt, die gleich eingangs in einer immer noch abschreckend radikalen Akustik-Kulisse aus stockenden und zischenden Stimmen sowie der derb wilden Bewegegungs-Akrobatik der fünf Soldaten (Roman Novitzky, Roland Havlica, Edoardo Borriani, Jesse Fraser, Robert Robinson in dankbar stürmischer Bühnenvereinnahmung) ihren Niederschlag findet. Anfangs eine Spur zu lieb und naiv, mit Fortgang des Dramas immer entschlossener, ergreift Kacerova Besitz von Neumeiers kontrastierend zarten Linien, füllt sie mit musikalischer Sensibilität und lässt die Unschuldsmiene der Betroffenheit weichen.

In Desdemonas Sterbeszene, ein choreographisch überirdisch angelegter Liebestod-Pas de deux, verschmelzen beide so in der musikalisch wiederum von Pärt getragenen Atmosphäre, als ob dies gar nicht anders zulässig oder möglich wäre.

Bei seiner erst zweiten Vorstellung als Cassio findet Daniel Camargo für den Offizier bereits eine schillernde Note zwischen soldatischer Korrektheit und Liebhaber-Coolness – einerseits zurückhaltend und doch sichtbar darunter verborgener Charme-Offensive.

Wie Marijn Rademaker als Jago den Sadismus des abgrundtief bösen Intriganten auslebt, und Sue Jin Kang als seine Frau Emilia trotz aller Terror-Gezeichnetheit mit Geduld und Würde standhält, gehörte schon vor fünf Jahren zu den unvergessenen Momenten großen Theaters, das alleine mit stampfenden Schritten, Kommandos und Zählen auskommt.

Katarzyna Kozielska verwandelt sich erstmals in die symbolische Figur der Primavera mit blühender und leicht ironischer Ausstrahlung. Arman Zazyan gibt dem Wilden Krieger in Desdemonas Traumwelt in zwei kurzen Szenen expansive Kontur, Alessandra Tognoloni wirkt als Sexsymbol Bianca erfrischend natürlich, Nikolay Godunov kann in der wenig ausgeprägten Rolle von Desdemonas Vater kaum weiter auffallen.

Das Corps de ballet umschwebte als venezianisches Volk in Paar-Gruppierungen im luftig weißen Habitus das Drama. Wolfgang Heinz führte das Staatsorchester Stuttgart sicher durch die langen disharmonischen Streicher-Gebilde, die bei aller sperrigen Konsumation genau die psychische Dichte der Vorgänge abbilden.

Ovationen und Blumen zum Saisonende.

Udo Klebes

 

 

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