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STUTTGART/ Musikhochschule: ABGRUND DER VÖGEL – für das Ende der Zeit. Eindrucksvolles Konzert

STUTTGART/ Musikhochschule: ABGRUND DER VÖGEL – Für das Ende der Zeit in der Stuttgarter Musikhochschule

Eindrucksvolles Konzert am 27. Januar 2014 in der Musikhochschule/STUTTGART

Auch Olivier Messiaen war Insasse eines Konzentrationslagers. Er galt während seiner Kriegsgefangenschaft in Görlitz als „französischer Mozart hinter Stacheldraht“. Aus diesem Grund passte auch das Konzert mit der facettenreichen Wiedergabe seines „Quartetts für das Ende der Zeit“ zum Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus. Für den Film (Konzeption und Zeichnung) war Esther Glück verantwortlich, Tom Gottschalk organisierte Animation und Gestaltung. Grußworte sprachen unter anderem die Pianistin Elena Rachelis („Kunst wider das Vergessen“) sowie Peter Grohmann von „Die AnStifter e. V. – Bürgerprojekte gegen das Vergessen“. Er schilderte in bewegenden Worten, wie der Nationalsozialismus plötzlich zu den Menschen kam: „Sei der Überlebende!“ Musik und visuelles Geschehen fügten sich hier gut zusammen. Elena Rachelis (Klavier), Sofija Molchanova (Klarinette), Reto Kuppel (Violine) und Markus Wagner (Violoncello) boten eine ausgefeilte Interpretation dieser spannungsvollen Komposition aus dem Zweiten Weltkrieg. Beim ersten Stück „Kristallene Liturgie“ wurde die liturgische Wiederholung des Themas Geburt thematisiert. Alles blieb offen. Das zweite Stück beeindruckte als „Vokalise für den Engel, der das Ende der Zeit verkündet“. Es war hier ein „Lied ohne Worte“ mit bedrückenden Bildern zu Themen des im KZ Dachau von den Häftlingen gesungenen „Dachau-Liedes“ als schockierende Ernüchterung mit dem Verlust der Sprache. Der „Abgrund der Vögel“ erzählte dann von den ständig drohenden Gefahren von Deportation, Hungertod, Kälte, Krankheit, Folter, Ermordung. Todesnähe wurde hier als Leben am Abgrund erfahren. Die Vögel waren gleichsam die Todesboten. Und die Zeit löste sich auf. Beim „Zwischenspiel“ kam es zu einer irritierenden Verknüpfung des KZ-Orchesters im Film mit dem tatsächlich spielenden Trio auf der Bühne – es war ein absurdes Intermezzo zwischen Abgrund und Menschlichkeit. Der Verstand verlor sich. „Lobpreis der Ewigkeit Jesu“ schilderte dann die Menschlichkeit unter den Häftlingen im Lager. Geheime Briefe, Zeichnungen, Informationen und verbotene Literatur wurden herumgeschickt und von den Musikern in glühend-emotionale Töne gebannt. Man widersetzte sich den KZ-Aufsehern und leistete kreativen Widerstand. Rhyhmisch mitreissend wurde dann der „Tanz des Zorns für die Posaunen der Apokalypse“ dargeboten. Die Taktung der apokalyptischen Bilder von Leichenbergen im wilden Rhythmus der Musik verdeutlichte die brutale Systematik der Vorgehensweise der Mörder. Dann gab es einen „Wirbel für den Engel, der das Ende der Zeit verkündet“. Geschildert wurde hier eine fiktive, symbolische Geschichte des Buchs der Toten, das von einem überlebenden Jungen durch die Zeit ab 1945 getragen wird. Korea, Vietnam, die Golfkriege, Ruanda oder Syrien wurden in ihren Schrecknissen höchst lebendig. Zuletzt überzeugte der „Lobpreis der Unsterblichkeit Jesu“ als fiktives Album mit Familienfotos von Ermordeten. Die Verwandlung der Welt führte durch die hervorragenden Musiker auch zu einer harmonischen Verwandlung. Der Regenbogen fungierte dabei als Symbol der Klangfarbe, farbige Visionen wurden mit raffinierten rhythmischen Techniken verknüpft. Unisono-Einsätze gingen hier besonders unter die Haut, die Satzpaare überzeugten aufgrund ihrer monodischen Struktur. Man begriff, warum dieses Werk zu den Anfängen der seriellen Musik zählt. Ewigkeit und Unsterblichkeit Jesu wurden auf der anderen Seite durch die erhabene Tonart E-Dur dargestellt. Elena Rachelis studiert übrigens momentan noch „Korrepetition Musiktheater“ an der Stuttgarter Musikhochschule.

 Alexander Walther

 

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