Staatsoper Stuttgart: „LUISA MILLER“ 28.3. 2012– Nicht durchweg eingelöstes Drama:
Foto: Dmytro Popov (Rodolfo) und Jenniece Golbourne (Federica). Copyright: Martin Sigmund
Zu viel Unruhe herrscht in Markus Dietz Inszenierung des Schiller-Stoffes vom Herbst 2010 – beständig werden Zwischenwände und Podien rauf und runter gefahren, um teilweise auch nur den unteren Teil der Szene sichtbar zu machen. Eine Symbolik, die auf Dauer zu sehr vom eigentlichen Geschehen ablenkt und vielleicht auch Schwächen einer Personenführung kaschiert, die sich offensichtlich schwer tut, mit Verdis hier noch manchmal konventionell gearteter musikalischer Struktur umzugehen. Einige stimmige Hintergrund-Einblendungen können den ansonsten kahlen grauen Bühnenraum (Franz Lehr) auch nicht vor Atmosphärelosigkeit retten. Und Anna Eiermanns wenig vorteilhafte Kostüme finden zwischen historischen Formen und bemühter Gegenwart sowie wiederum zeigefingerartigen Verweisen wie grinsenden Totenkopf- und Netzmasken zu keiner Linie. Neben einigen spannend aufgebauten Situationen (Drohung Rodolfos, Brief-Diktat, Gift-Szene) versanden vor allem Verdis theatralisch schlagkräftige Tableau-Abschlüsse in Flachheiten. Leider vermochte dies die musikalische Seite nicht auszugleichen, weil Giuliano Carella genau diesen Höhepunkten wie auch den fortschrittlichen musikdramatischen Akzenten zu wenig Beachtung schenkte bzw. nicht mit entsprechendem Nachdruck begegnete. Ansonsten brachte der Italiener als Kapellmeister alter Schule mit dem klanglich ausgewogenen Staatsorchester Stuttgart die reichhaltigen melodischen Entfaltungen zu unsentimentalem Erblühen und hielt den Apparat bei stets rücksichtsvoller Führung der Sänger sicher zusammen. Optimale Vorraussetzung für die teils neue Besetzung, angeführt von der Armenierin Liana Aleksanyan mit unverbrauchtem, mädchenhaft timbriertem Sopran, der der Zwischenfachpartie der Luisa trotz lyrischer Basis mit erforderlichem durchsetzungsfähigem dramatischem Material gerecht wurde und auch über die gebotene Koloratur-Beweglichkeit für die erste Szene verfügt. Das naive und fromme Landmädchen ist ihr auch darstellerisch vollkommen abzunehmen.
Obwohl für die Rolle ihres Vaters zu jung (und von der Maske auch wenig unterstützt), überzeugte Tito You dank der expressiven Aussteuerung seines im Zorn sogar fast unter Überdruck geratenden, resonanzreichen, breit strömenden und höhenstarken Baritons.
Als väterlicher Kontrahent Graf Walter war statt des ursprünglich vorgesehenen Carlo Colombara der Rumäne Balint Szabo zu erleben. Nach Ensemble-Jahren in seiner Heimat und an den Opernhäusern von Hamburg und Frankfurt gehört der inzwischen freischaffende Bassist zu den international gefragten Gast-Sängern. Im Volumen eher begrenzt, gelingt es ihm mit ausgeglichenen Registern und satten Farben mehr die Belcanto-Bedürfnisse als die unterschwellig bedrohliche Seite seines Parts zu beleuchten und trotz eher zurückhaltendem Spiel dennoch die autoritäre Macht des blutbeladenen Emporkömmlings auszustrahlen.
Mit zart schimmerndem und bis in die Höhen klarem Sopran ließ Opernstudio-Mitglied Sylvia Rena Ziegler als Luisas Freundin Laura aufhorchen.
Von Beginn an dabei war Dmytro Popov als Rodolfo. Anfangs benötigte er etwas Zeit, um seinen substanzreichen lirico-spinto-Tenor aus einer gewissen Gedecktheit zu befreien, doch spätestens ab seiner Arie, in die er Verzweiflung und Wut in differenzierter Nuancierung legte, kam der Sturm- und Drang-Charakter des Grafensohnes auch in den temperamentvoll aufgeladenen Höhenausbrüchen effektiv zur Geltung.
Bislang hauptsächlich durch seine riesige stimmliche Expansion aufgefallen, haben sich die Hoffnungen, dass Attila Jun auch noch zu einem markanten Darsteller und entsprechenden Ausdrucksträger wird, doch noch erfüllt. Den nach oben buckelnden und nach unten tretenden Wurm (der in dieser Inszenierung seltsamerweise am Ende nicht zur Strecke gebracht wird) brachte er mit abgrundtief diabolischen Zügen und wirkungsvoll gedrosseltem Einsatz seines Basses rollengerecht faszinierend widerwärtig zum Tragen.
Komplettiert wurde das Personal wieder von der verführerisch attraktiven Jenniece Golbourne, deren breit orgelnde Tiefe jedoch bei allem legitimen Kampf um die Hand Rodolfos mehr der Rustikalität einer Azucena als der Adelsdame Federica entspricht.
Die Damen und Herren des Staatsopernchores ( Einstudierung: Michael Alber ) waren auch hier nicht nur Meister-Vokalisten, sondern lebhaft beteiligtes Volk.
Eine unverkrampftere und dramatisch stringentere Inszenierung hätten auch im laufenden Repertoire sicher ein stärkeres Publikums-Echo entfacht als es in dieser nur mäßig honorierten Aufführung der Fall war.
Udo Klebes