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STUTTGART/ Liederhalle: SWR SYMPHONIEORCHESTER / Michael Sanderling, Nicolas Altstaedt

SWR Symphonieorchester mit Michael Sanderling im Beethovensaal der Liederhalle (20.9.2019

Kompakte Wucht

Für den erkrankten Dirigenten Teodor Currentzis war kurzfristig Michael Sanderling eingesprungen. Nicolas Altstaedt (Violoncello) interpretierte zunächst höchst einfühlsam „Trois strophes sur le nom de Sacher“ für Violoncello solo von Henri Dutilleux, wo Pizzicati und Glissando-Paraphrasen sich wirkungsvoll abwechselten. Kontrapunktische Strenge und harmonische Fülle beherrscht das Konzert für Violoncello und Orchester Nr. 2 G-Dur op. 126 von Dmitrij Schostakowitsch, wo Michael Sanderling zusammen mit dem konzentriert agierenden SWR Symphonieorchester und dem energisch musizierenden Cellisten Nicolas Altstaedt die thematischen Verbindungslinien eindringlich herausarbeitete. Ostinate Rhythmen sowie halbtonartig fortschreitende Melodien wechseln sich hier facettenreich ab. Die leidenschaftlichen Ausbrüche des Werkes mitsamt den gewaltigen Schlagzeug-Attacken interpretierte das Ensemble mit eindrucksvoller Intensität. Karge und düstere Passagen wechselten sich mit klarer lyrischer Linienführung ab. Vor allem die modulatorische Kühnheit dieser Komposition kam immer wirkungsvoll zur Geltung. Intensiv-dramatisches Leben erfüllte die Wiedergabe des Solisten Nicolas Altstaedt. Als durchsichtig musiziertes Idyll für großes Oerchester überzeugte anschließend „Im Sommerwind“ von Anton Webern, eine für diesen Komponisten ungewöhnlich spätromantisch-schwärmerische Komposition. Dieses Werk basiert auf einem Gedicht des Schriftstellers und Philosophen Bruno Wille: Eine impressionistische Hymne auf die Natur. Das von der Oboe einfühlsam musizierte Motiv des Windes führte zu fließenden Übergängen und großen Steigerungen. Richard Wagner und Richard Strauss sind hier spürbar, was das SWR Symphonieorchester unter Michael Sanderling auch deutlich herausarbeitete. Das Tasten nach einer eigenständigen Stilistik betonte Michael Sanderling mit dem SWR Symphonieorchester nuancenreich. Die ekstatischen Elemente traten hier deutlich hervor.

Ein Höhepunkt dieses abwechslungsreichen Konzertabends war zuletzt die bemerkenswerte Wiedergabe des Adagios aus der unvollendet gebliebenen Sinfonie Nr. 10 Fis-Dur von Gustav Mahler. Dieser Satz gehört neben dem Schluss-Satz der neunten Sinfonie Mahlers zu den eindrucksvollsten langsamen Sätzen des Komponisten überhaupt. Angelegt als komplizierte Doppelvariation, entfaltete sich die fortwährende Veränderung zweier Themen bei dieser Interpretation durch Michael Sanderling und das SWR Symphonieorchester durchaus konsequent. In Ein- und Überleitungsfunktionen kam der weitgespannte Melodiebogen der Bratschen sehr schön zur Geltung. Vor allem die Klangeruption des dissonanten Neunton-Akkords vor der letzten Variation hinterließ einen unvergesslichen Eindruck. Die Differenziertheit der thematischen Kontrapunktik kam jedenfalls nirgends zu kurz. Auch die Nähe zu Schönbergs Erster Kammersinfonie blieb spürbar.

Alexander Walther

 

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