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STUTTGART/ LIEDERHALLE: KONZERT RADIO-SINFONIEORCHESTER DES WDR

STUTTGART/ Liederhalle: Radio-Sinfonieorchesters des SWR. EINE BOMBASTISCHE AURA

Bejubeltes Konzert des Radio-Sinfonieorchesters des SWR am 21. März im Beethovensaal der Liederhalle/STUTTGART

Da der Pianist Boris Berezovsky kurzfristig erkrankte, musste das Programm geändert werden. Statt Tschaikowskys zweitem Klavierkonzert gab es Ludwig van Beethovens zweite Sinfonie in D-Dur op. 36 zu hören, wobei der russische Dirigent Vassily Sinaisky ein forsches und stürmisches Tempo wählte, ohne dass die Orchesterbalance aus dem Gleichgewicht geriet. Eine gewisse Pathetik in der melodischen Führung wurde aber nicht übetrieben betont. Das Orchester reagierte immer wieder sehr gut auf die Zeichengebung von Sinaisky, der dem Themenbau dieser Sinfonie breiten Raum gab. So kamen die Töne des D-Dur-Dreiklangs gut zur Gelung. Im Wechselspiel von Flöte und Violine entwickelte sich eine reizvolle Trillerfigur. Hinter den geheimnisvollen Schleiern der Einleitung entfaltete sich der prägnante Rhythmus des Hauptthemas beim Allegro con brio wie von selbst. So konnte sich die Umspielung der Dreiklangstöne zwischen Dur und Moll sehr schön entwickeln. Überraschend kraftvoll wirkte hier auch das Seitenthema mit der Dreiklangsfreude der Hörner. Der umsichtige Dirigent Vassily Sinaisky zeigte auch besonderen Sinn für die fast schon solistischen Leistungen der einzelnen Instrumentalisten. In ruhiger Innigkeit strömte die Melodie der Violinen im zweiten Larghetto-Satz dahin. Es war eine geradezu poetische Verklärung von Dreiklang und Triller sowie ein empfindungsvoller Gesang. Der drastische Klangfarbenwechsel von Bläser und Streichern kam ebenfalls nicht zu kurz. Und beim dritten Scherzo-Satz schienen die Streicher gegen das starre Formen-Gerüst aufzubegehren. Sprunghaft und resolut ließ Sinaisky die Musiker dabei agieren. Eine reizvoll herausgearbeitete Trillerfigur eröffnete den Schluss-Satz mit seinem knisternden Violinthema. Das besinnliche Seitenthema der Celli prägte sich tief ein. Ihm stimmten  die Holzbläser mit behäbigem Fagott zu. Mit Triller-Seitensprüngen und vielen kontrapunktischen Überraschungen endete diese gelungene Wiedergabe von Beethovens zweiter Sinfonie.

Bei Dmitrij Schostakowitschs zwölfter Sinfonie in d-Moll op. 112 „Das Jahr 1917“ war Vassily Sinaisky in seinem Element. Obwohl dieses gewaltige Werk die russische Oktoberrevolution unter Lenin und das Ende der Zarenfamilie in glühenden harmonischen Klangfarben schildert, gilt es als eines der schwächeren Werke des Meisters. Das dies zu Unrecht kolportiert wird, bewies Sinaisky mit dem ausgezeichneten Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR, wo vor allem die monumentalen Blechbläser brillant agierten. Die Kunst, weiträumige und gewaltge Formen und Spannungsbögen zu bauen, paarte sich mit großer kontrapunktischer Meisterschaft, die sich bei dieser Wiedergabe immer mehr steigerte. Mit leuchtender Schönheit strömten die Melodien immer wieder leuchtkräftig dahin, was sich gleich zu Beginn bei der breit und lang ausgesponnenen Linie der Streicher in d-Moll zeigte. Die grandiosen Blechbläser verherrlichten dieses Hauptthema am Ende ins Pathetische – es war eine ungeheure Verherrlichung des „revolutionären Petrograd“. Der zweite Satz schildert dann in dynamischen Kontrasten den Ort des Verstecks, an dem sich Lenin im Sommer 1917 aufhielt. Auch hier malten die Musikerinnen und Musiker des Radio-Sinfonieorchesters Stuttgart des SWR ein klanglich reizvolles Stimmungsbild. Die bezaubernde Verschmelzung von westlichen und russischen Elementen fiel bei den leiseren Passagen wiederholt auf. Im dritten Satz „Aurora“ (der Name eines Kriegsschiffs) trat die Haupttonart d-Moll wieder höchst gewaltig hervor. Denn mit der Erstürmung des Regierungssitzes in St. Petersburg begann die russische Oktoberrevolution. Kühnheiten der Harmonik und eine enorme rhythmische Stoßkraft schufen im Beethovensaal eine zerreissende und elektrisierende Spannung. Auf der anderen Seite prägten Heiterkeit und Zuversicht die melodischen Motive, die sich aufgrund des intensiven Spiels des Orchesters immer mehr verdichteten. Die „Morgenröte der Menschheit“ gipfelte im Finale mit seinen imponierenden choralartigen Melodien in atemlosen Dur-Orchesterschlägen und Staccato-Attacken voll ohrenbetäubender Wucht. Die Harmonik wirkte hierbei aber nicht immer „entschlackt“, sondern monströs und nur stellenweise verfeinert. Vassily Sinaisky wollte mit seiner Interpretation durchaus auch geheime Furcht beim Hörer wecken – der Sturm der Revolution brach unmittelbar los und riss alles mit. Kraftausbrüche und chromatische Überraschungen wuchsen ganz zusammen. Immer energischer behauptete sich zuletzt die siegesgewiss jubelnde Apotheose.

 Alexander Walther

 

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