Stuttgart: „LE NOZZE DI FIGARO“ 5.1. 2012– mit funktionierendem Ensemble:
Die mittlerweile auch schon gut 10 Jahre alte Inszenierung Nigel Lowerys (Regie, Bühne und Kostüme) von Mozart/Da Pontes „Tollem Tag“ funktioniert auch mit einer teilweise neuen Besetzung, wenn sich alle dem hier so besonders wichtigen Ensemble-Gedanken unterordnen, um den Zusammenhalt der lebhaften, z.Tl. auch mit etwas zu viel Gags angereicherten Personenregie zu gewährleisten. Abgesehen von dem phasenweiche durchbrechenden Comedy-Einschlag verträgt sich die mit zunehmender Spieldauer verstärkte Vermischung von Historie (das Grafenpaar) und Gegenwart (die Untergebenen) durch wechselndes Hin- und Herschieben der nebeneinander liegenden Räume des Gräflichen Salons und des Zimmers von Susanna und Figaro doch erstaunlich gut mit den Turbulenzen dieser Komödie vor dem Hintergrund der Französischen Revolution. Am Ende deuten auflodernde Flammen in einem Fensterausschnitt im Hintergrund darauf hin, dass das versöhnende Finale kein dauerhaftes ist. Das Volk wird weiterhin gegen den Adel aufbegehren, so wie hier versucht wird, zu den letzten Takten das Grafenpaar von der Bühne Richtung Orchestergraben abzudrängen.
Lassen wir den Neuen im Opern-Ensemble den Vortritt. Beim Auftaktkonzert der Direktion haben sie sich bereits erfolgreich und mit viel Zukunftsversprechen vorgestellt: Pumeza Matshikiza, eine aparte dunkelhäutige Erscheinung, zeigt feinen Spielwitz und gestaltet den Part der Susanna dank negroidem Timbre mit ungewohnt farbreichem Tiefenfundament und dennoch aufblühender Höhe und durchgehend lyrischem Wohllaut. André Morschs Figaro ist der passend gewandte, reaktionsschnelle Diener-Typ, bekräftigt durch einen flexiblen, warm ansprechenden Bariton, der nur in der Tiefe noch an Kraft und Rundung gewinnen dürfte.
Bereits zu einem Publikums-Liebling hat sich die aus dem Opernstudio hervorgegangene Diana Haller entwickelt – ihr Cherubino ist mit erfrischender Unbefangenheit und dem jugendlich beherzten und rollengemäß gefühlserregten und dennoch kontrolliert linienklaren Einsatz ihres Mezzos eine einzige Freude.
Shigeo Ishino gibt dem Grafen eine bei Asiaten eher ungewöhnlich offen zutage tretende mimische Transparenz zwischen Frauen anziehender Selbstherrlichkeit und tyrannischer Unbeherrschtheit – unterstützt von einem unerschütterlich männlich kraftvollen Bariton, dem es nur manchmal an geschmeidiger Rundung für Mozarts Kantilenen fehlt.
Von der einstigen Susanna ist Catriona Smith zu einer fraulich gesetzten, aber immer noch ihre einstige Keckheit durchschimmern lassenden Gräfin gereift – im Einklang mit ihrer voller, klangreicher und trotzdem unvermindert lyrischen Reiz verströmenden Stimme. Bei „Dove sono“ schien die Zeit inmitten dem temporeichen Handlungsablauf angehalten, so konzentriert erfüllte sie den hier geforderten langen Atem.
Bewährte Ensemble-Beiträge kamen von Helene Schneiderman als immer noch unverbraucht und koloratur-beweglich zupackender Marcellina mit Herz und Biss, Heinz Göhrig als klangvoll charakteristischem Basilio, dem seine Arie im vierten Akt als einzig fehlendem Stück wohl zu gönnen gewesen wäre, und Karl Friedrich Dürr als pointensicherem Bartolo, dem die inzwischen etwas schwerfälligere Ansprache seines Basses bei soviel Bühnenpräsenz gerne nachzusehen ist.
Ein erfreulicher Neuzugang aus dem Opernstudio ist auch Yun-Jeong Lee als quirlige Barbarina mit lyrisch leuchtendem Sopran. Ebenfalls von dort kommt der sehr hell timbrierte Tenor Roberto Ortiz, dessen Don Curzio noch etwas komödiantisch steif wirkte. Mark Munkittrick stellte wiederum gekonnt den etwas überzeichnet proletenhaften Gärtner Antonio.
Prägnant wie immer der kurze Einsatz der kleinen Formation des Staatsopernchores. Die noch etwas zahm und in den herausfahrenden Tutti-Einsätzen zu zaghaft und müde daherkommende Ouvertüre entpuppte sich zum Glück nicht als Vorbote einer langweilig herunter gespulten Repertoire-Aufführung, denn mit zunehmendem In Gang-Kommen der Bühnenereignisse gewann das Staatsorchester Stuttgart unter der sanglich mitatmenden Leitung von Uwe Sandner an stimmungsbelebender Inspiration. Im übrigen war es durchaus wohltuend, wieder mal einen leichten und lockeren Mozart ohne Original-Klang-Ambitionen zu hören, der bei aller Schönheit auch tiefere Schichten aufbrach.
Eine heiter nachdenkliche Aufführung, die dem Ensemble-Zugewinn besonders kräftige Ovationen einbrachte.
Udo Klebes