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STUTTGART/ Kammertheater: „WOLKEN.HEIM.“ von Elfriede Jelinek

Frauen hinter Gittern

04.06.2019 | Allgemein, Theater


Christiane Roßbach, Therese Dörr, Celina Rongen. Foto: Björn Klein.

Elfriede Jelineks „Wolken.Heim.“ am 3. Juni 2019 im Kammertheater/STUTTGART

Frauen hinter Gittern

 Das Stück der Literaturnobelpreisträgerin Elfriede Jelinek zeichnet sich durch schonungslose Ehrlichkeit aus. Es wird minuziös der Frage nachgegangen, was die Deutschen als Nation und Gemeinschaft auszeichnet. Fehlende Zugehörigkeit ist für diese von Christiane Roßbach, Therese Dörr, Josephine Köhler und Celina Rongen intensiv dargestellten Frauen ein unbewältigter Alptraum, den sie hinter Gittern büßen müssen. In gläsernen und immer wieder hektisch hin- und hergeschobenen Kästen betonen sie: „Wir sind wir. Nur bei uns sind wir zuhaus“. Gleichzeitig beschwören sie ihr Gewissen, bedienen sich geradezu zwanghaft einer rechten Rhetorik: „Lasst uns unter uns!“ Zwischen Sirenengeheul und Radiogezwitscher vernimmt man zudem Klänge aus Richard Wagners Opern „Rheingold“ und „Tristan und Isolde“ mit seltsam verzerrten Hall-Effekten. Da erreicht die Inszenierung von Friederike Heller eine ungewöhnliche Dichte: „Wir sind unser Ziel!“ Heimat, Boden, Schuld und Nation werden wild durcheinander gewirbelt.

Dabei geraten die Frauen auch durchaus in Panik. Das überzeitliche nationalistische Gedankengut wird hier zu einer schweren Hypothek, unter der alle vier Frauen leiden. Eine von ihnen wird schwanger, versucht das Gefängnis zu verlassen, klettert immer wieder über die Brüstung und kehrt dann doch an den Ort ihrer seelischen Qualen zurück. Schließlich kommt es noch zu einem Geburtsvorgang mit rituellen Zügen. Fremdenfeindlichkeit und Abschottung spielen bei dieser Produktion eine dominierende Rolle.


Celina Rongen, Christiane Roßbach, Therese Dörr. Foto: Björn Klein

Wie schwer es ist, Zugehörigkeit und Zusammenhalt zu leben, macht Jelineks Stück „Wolken.Heim.“ in drastischer Weise deutlich. Das Leben wird bei dieser raffinierten Collage aus Zitaten von Hölderlin, Hegel, Heidegger, Fichte und Kleist bis hin zu Texten der RAF aber durchaus tiefsinnig hinterfragt und gnadenlos durchleuchtet. Die vier Schauspielerinnen wachsen dabei  zusammen und manchmal auch über sich selbst hinaus: „Wer hat Angst vor dem bösen Wolf?!“ Die Texte sind in eigenartiger Weise miteinander verflochten und bewusst sinnentstellt. Aber der Duktus ist durchaus musikalisch. Gleichzeitig entwickeln diese seltsamen Bausteine eines rechten Denkens etwas Unheimliches und Befremdliches. Man denkt bei dieser Inszenierung auch an die Geschehnisse um den NSU und das unglaubliche Versagen der Behörden. „Wir sind uns selbst ein Rätsel“, betonen die Frauen. Der Satz „Kinder statt Inder“ nimmt Bezug zur aktuellen Politik, die Elfriede Jelinek immer wieder sehr kritisch hinterfragt.

Bühne und Kostüme von Sabine Kohlstedt sowie Sound Design und Musik von Peter Thiessen unterstreichen die Doppelbödigkeit dieses Theatertextes, der die Gefangenschaft des Menschen anklagt. Passagen aus Briefen der RAF-Inhaftierten in Stammheim verstärken diesen Eindruck nur noch. Der Terror hat sich ins Innere verlagert, die Menschen kämpfen gegen sich selbst. Natürlich stehen Schuld und Verantwortung hier im Zentrum. Das arbeiten die vier Schauspielerinnen konsequent heraus. Dabei gibt es zudem fließende Übergänge von linkem zu rechtem Denken, wie dies beispielsweise bei Horst Mahler der Fall war, der im rechtsextremen Feld landete. Auf die Frage, wie Gewalt überhaupt entsteht, versucht diese Inszenierung eine Antwort zu geben. Dies ist trotz kleinerer szenischer Schwächen auch geglückt.

Alexander Walther

 

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