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Stuttgart/ Kammertheater: „DER BAU“ von und mit Max Simonischek

15.03.2024 | Allgemein, Theater

 

Premiere“Der Bau“ nach Franz Kafka am 14.3.2024 im Kammertheater/STUTTGART

Die Angst vor dem Tier

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Max Simonischek. Foto: D

In dieser unterirdischen Welt von Kafkas Erzählung „Der Bau“ beklagt der von Max Simonischek sehr plastisch verkörperte Protagonist eine absurde Situation, die er nicht beherrschen kann. Außerdem kritisiert er ein allzu langes Leben in der sinnlosen Freiheit. Glück und Paranoia liegen hier eng zusammen, bestimmen die Ereignisse. Eine Art Menschentier beherrscht hier die Szenerie. Diesem denkenden Tier ist der Ich-Erzähler immer wieder hilflos ausgeliefert. Auf der anderen Seite hängt er an seinem Heim: „Ich und der Bau gehören zusammen. Nichts kann uns auf die Dauer trennen.“ Das seltsame Wesen lebt in einem gedanklichen Labyrinth. Durch diesen Kreuzzug entsteht ein  Ausnahmzustand.

Max Simonischek lässt packend deutlich werden, wie stark er sich vor möglichen Eindringlingen und Fremden fürchtet. Er ist gefangen in sich selbst. Da tun sich plötzlich bürokratische Hierarchien auf, die er nicht mehr beherrschen kann. Bei Kafka gibt es einen philosophierenden Hund oder den paranoiden Dachs, der sein Unwesen treibt. So entsteht hier im kargen Bühnenbild von Besim Morina (Kostüm: Menachem Basman) und mit spärlicher Beleuchtung eine beklemmende Parabel über eine Gesellschaft, die nicht beherrschbar ist. Verzweifelt wühlt der Protagonist im Sand, glaubt ständig, das unheimliche Tier zu hören, das sich aus der Erde herausgräbt. Der Realitätssinn geht dabei immer mehr verloren. Gleichzeitig stellt er aber auch fest, dass das vermeintliche Lybyrinth überwunden sei: „Die Welt ist mannigfaltig und an schlimmen Überraschungen fehlt es niemals“.  Einsamkeit, berufliche Fehlschläge und Enttäuschungen prägten Kafkas Leben und haben auch in dieser Erzählung Einzug  gefunden. Man kommt sich stellenweise wie in einem Traum vor, manches erinnert sogar an Dostojewski („Aufzeichnungen aus dem Kellerloch“), vieles entzieht sich der rationalen Deutung. Kafkas zentraler Konflikt lag zwischen religiöser Veranlagung und skeptischem Intellekt, die Spannung zwischen ihm und seinem despotischen Vater, was auch in der Erzählung „Der Bau“ ganz versteckt hervorblitzt. Durch sein  intensives Spiel heizt Max Simonischek noch die Spannung an, macht das Geschehen dadurch umso glaubwürdiger und elektrisierender. Die sachliche und kristallklare Sprache Kafkas wirkt hier suggestiv: „Das schönste an meinem Bau ist aber seine Stille. Freilich, sie ist trügerisch“. Der Bau nimmt im Laufe der Handlung monströse Ausmaße an, denn der Protagonist wirft mit dem Sand um sich. Psychologisch gesehen handelt es sich dabei um einen seelischen Aufstand. „Aber vielleicht gräbt das Tier in seinem eigenen Bau, dann kann ich von einer Verständigung nicht einmal träumen“, bekennt der Ich-Erzähler weiter.

Dieser innere Monolog behält bei der konzentrierten Aufführung seine Spannung, weil Simonischek unterschiedlichste Stimmungen und Sichtweisen kaleidoskopartig einfängt. Die unvollendet gebliebene Erzählung endet mit dem Satz: „Aber alles blieb unverändert.“ Der Regisseur Max Simonischek lässt zuletzt wieder das Licht ausgehen, ein gespenstischer Brummton sorgt für Gänsehaut. Es öffnet sich die absurde Welt von Kafkas „Schloss“ oder „Prozess“ – als Visionär der modernen Lebensangst tritt der Autor hier grell hervor. Die ausweglose Situation des Menschen unter der Angst greift immer mehr um sich, die Perfektion des Unmenschlichen zeigt sich auch in der ständigen Furcht vor dem unheimlichen Tier, das nicht greifbar ist. So fühlt sich der Ich-Erzähler pausenlos beobachtet: „Wie standen die Dinge zuletzt? Das Zischen war schwächer geworden? Nein, es war stärker geworden“. Alles scheint sich in einem unwirklichen, düsteren Traumreich abzuspielen. Aber es ist auch ein traumhafter Höllenweg.

Viel Applaus und „Bravo“-Rufe.

 

Alexander Walther

 

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