Sarah Maria Sun. Foto: Rüdiger Schestag
Internationale Hugo-Wolf-Akademie am 14.4. 2019 mit Sarah Maria Sun und Jan Philip Schulze im Hospitalhof im Paul-Lechler-Saal/STUTTGART
ZWISCHEN ATONALEM HUMOR UND JAZZ
So abwechslungsreich und humorvoll kann Neue Musik sein! Gleich zu Beginn demonstrierte die versierte Sopranistin Sarah Maria Sun zusammen mit dem Aleph Gitarrenquartett (Andres Hernandes Alba, Tillmann Reinbeck, Wolfgang Sehringer und Christian Wernicke) bei Bernhard Langs „Cold Trip. Part I“ aus dem Jahr 2015 die Nähe zu Franz Schuberts „Winterreise“. Rhythmische Module werden hier in kurzen Abständen wiederholt. Jazz, Pop, Rap und Triphop sind bei Nummern wie „Good Nite“, „Frozen Tears“ oder „River“ deutlich herauszuhören. Das Gitarrenquartett fungiert als Vertreter des Klaviers mit archaischen Lautenklängen, knackendem Metall und klirrendem Eis. „Forever and Sunsmell“ von John Cage fesselte mit Schlagzeug-Einsätzen von Sarah Maria Sun. Das Wort-Ton-Verhältnis wird hier in facettenreicher Weise ausgeleuchtet. Bei „The Wonderful Widow of Eighteen Springs“ von John Cage wurde das Klavier von Jan Philip Schulze sehr virtuos mit den Fäusten bearbeitet. Es ist eine differenzierte Befragung des Klavierliedes. Das Auf- und Zerbrechen akustischer Hörgewohnheiten stellte auch Sarah Maria Sun bei ihrer Cage-Interpretation deutlich und unmissverständlich in den Mittelpunkt. Techniken wie die des präparierten Klaviers und der Zufallsmanipulation rückten ins Zentrum. Klänge und Motive wurden kunstvoll zueinander in Beziehung gesetzt und in reizvoller Weise mosaikhaft kombiniert. Ausgezeichnet interpretierte Sarah Maria Sun „Ophelia Sings“ von Wolfgang Rihm, wo sie von Jan Philip Schulze am Klavier wirkungsvoll und sensibel zugleich begleitet wurde. Ophelia wirkt hier wie ein Kind, das ganz in seinen Träumen gefangen ist. Vor allem die „Totenklage“ besaß bei dieser Wiedergabe eine ungeahnte Intensität. Die ungeheuren Triebkräfte dieser suggestiven Musik wurden von Sarah Maria Sun sehr gut erfasst und leuchtkräftig herausgestellt. Schroffe Klangimpulse wechselten mit kristallklaren Intervallklängen und eruptiven Ausbrüchen ab. Text und Musik besaßen eine elektrisierende Wechselwirkung. Als Uraufführung wurde Rolf Riehms Komposition „Orpheus Euphrat Panzer – Threnodie zur Kithara“ (2016) vorgestellt. Riehm bezieht sich bei seiner Komposition auf russische und syrische Panzer, die die syrische Stadt Aleppo bombardieren. Sarah Maria Sun stellte diesen psychischen Ausnahmezustand in gesanglich äusserst fesselnder Weise dar. Dem Verstümmeln und Morden wird hier mit ungeheurer Intensität und Entschlossenheit entgegengetreten. Vor allem die rhythmisch präzis austarierten Staccato-Attacken besaßen dabei eine große Wucht. Das Lied beginnt hier mit einem Bericht. Es ist eine von mehreren Überlieferungen über den Tod des Orpheus. Ein Glanzpunkt dieses Konzerts war die stark humoristisch und satirisch angehauchte Komposition „Le rire physiologique“ (1982) von Georges Aperghis, wo Sarah Maria Sun und Jan Philip Schulze eine doppelbödige theatralische Szene voller Witz und Pfeffer lieferten. Der Text ist ein Sketch von Raymond Devos, einem belgischen Komiker. Es ist eine Abwandlung über das Lachen in allen Variationen. So kommt auch der Pianist stimmlich immer wieder zu Wort. Das Verhältnis von Stimme und Sprache unterzieht Aperghis bei aller ausufernden Harmonik aber auch einer strengen Prüfung. Das Lachen wird dabei zur höchst virtuosen Konzertarie. Verfremdete Klangschichten bieten verblüffende Höreindrücke. Als Zugaben waren von Steven Lutvak „I don’t understand the poor“ sowie von Randy Newman „Political Science“ zu hören. Das waren zwei melodiöse Stücke, die Sarah Maria Sun zusammen mit Jan Philip Schulze mit ausgesprochener Wandlungsfähigkeit interpretierte. Für diese Stuttgarter Premiere gab es herzlichen Schlussapplaus und „Bravo“-Rufe.
Alexander Walther