Staatsoper Stuttgart: „DIE GLÜCKLICHE HAND“/“SCHICKSAL“ 11.3.(Premiere) – Künstlerdramen:
In sinnlicher Verlockung – Shigeo Ishino in „Die glückliche Hand“. Foto: A.T.Schaefer
Keine Uraufführung – und doch eine Weltpremiere stand der Stuttgarter Oper mit der erstmaligen Kombination von Arnold Schönbergs einaktigem Drama mit Musik und Leos Janaceks kurzem Dreiakter „Osud“ (=Schicksal) ins Haus. Im Falle des Zweiteren besteht dazuhin noch die historische Verbindung, dass am gleichen Hause 1958 (dreißig Jahre nach dem Tod des Komponisten) die verspätete Erstaufführung des Werkes in der deutschen Übersetzung von Kurt Honolka gleichzeitig mit der originalsprachigen in Brünn=. Damals allerdings in einer szenisch umgestellten Version während sich die jetzige Einstudierung auf die im Rahmen der Janacek-Gesamtausgabe neu revidierte Originalversion stützt.
Die Gemeinsamkeiten der beiden Stücke liegen in ihrer Behandlung von Künstlerschicksalen, ihrer für die damalige Zeit (1913 bzw. 1906 entstanden) provozierend neuen dramaturgischen Offenheit bzw. unlinearen Erzählweise und ihrer Verwandtschaft zu den Dramen August Strindbergs. Orientiert sich Schönberg mehr an dessen symbolischen Aspekten, so interessieren Janacek wie bei allen seinen theaterwirksamen Bühnenwerken das wahre menschliche Drama.
Für beides haben der Regie führende Intendant Jossi Wieler und sein Dramaturg Sergio Morabito in Zusammenarbeit mit Bühnenbildner Bert Neumann und Kostümdesignerin Nina Von Mechow eine erstaunlich direkt ansprechende Umsetzung gefunden. Vielleicht auch deshalb, weil sich beide Stücke am sinnfälligsten direkt vom Blatt inszenieren lassen. Im Falle der „Glücklichen Hand“, mit der Schönberg nicht die erziehungsgemäß kultivierte rechte, sondern die von Konventionen unbelastete linke meinte, wird die zunächst von einem glitzernd schwarzen Vorhang abgeschlossene Bühne von einem riesigen aufgeblasenen Frauen-Torso beherrscht, der in Schräglage gebracht, von dem im Mittelpunkt stehenden Künstler wie eine Kletter- und Hüpfburg vereinnahmt wird. Das führt zu einer etwas unfreiwilligen Komik, die das eigentliche Künstlerdrama (ein zwölfköpfiger Chor mahnt ihn im Prolog und Epilog daran, sich nicht sinnlichen Verlockungen hinzugeben, sondern seine übersinnlichen Fähigkeiten als Künstler zu nutzen) über die ihm innewohnende Ironie in Lustspielgefilde führt. Ansonsten sind die kurzen Handlungselemente (der zum Mund geführte Becher, die Schmuckgewinnung durch die Spaltung eines Goldklumpens auf dem Amboss eins zu eins umgesetzt – eingekleidet in ein Umfeld, das Jugendstil-Elemente (Muster der Chor-Mäntel) in ein künstliches Umfeld bettet. Musikalisch stehen an der Stelle von melodischen Eingebungen in gleißende Farben gehüllte Motiv-Verästelungen und Übereinanderschichtungen, die das Orchester immer wieder zu gewaltigen Entladungen auftürmt. Shigeo Ishino hat den entsprechend fülligen, kernigen und artikulationsgenauen Bariton, um sich in den mehr rezitativisch geführten Passagen des Mannes gegenüber dem Orchester durchzusetzen.
In die Enge getrieben – John Graham Hall und Rosalind Plowright in „Schicksal“. Foto: A.T.Schaefer
Derselbe fast blendende Sonnenlicht-Ball, der bei Schönberg durch die schwarz ausgekleidete Bühne bricht, hier aber nur symbolische Deko ist, bestimmt bei Janacek maßgeblich die Stimmung im auch von ihm gerne besuchten Kurort Luhacovice. Bevor nämlich die zentrale Geschichte zum Vorschein kommt, entfalten sich hier sogenannte Genre-Szenen der aristokratischen Kur-Gäste, die zur Gesundung auch auf die wärmenden Sonnenstrahlen bauen, sowohl als Kontrast als auch als stellvertretender Ausgangspunkt einer in Konventionen erstarrten Gesellschaft, in der ein zudem bürgerlicher Künstler wie der im Mittelpunkt stehende Komponist Zivny zerbrechen muss. Unter der Oberfläche dieser anfangs sogar von einem Walzer begleiteten Ensemble-Szenen schält sich das Drama durch die erste Wiederbegegnung Zivnys mit seiner Geliebten Mila heraus. Beide sind durch den massiven Widerstand ihrer herrischen Mutter getrennt worden, worauf sie sich einem anderen Mann hingegeben hatte. Das gemeinsame Kind mit Zivny führt sie jedoch wieder zusammen. Auch nach der Heirat treibt die Mutter Keile zwischen ihre Verbindung, auch weil sie den Schwiegersohn mit seinen brotlosen Kompositionen als reinen Mitgiftjäger auf ihr Geld betrachtet. Ihr Psycho-Terror geht so weit, dass sie sich, halb verrückt geworden, vom Balkon stürzt und die Tochter mit in den Tod reißt, um sie ihm ja nicht zu überlassen. Elf Jahre später hat Zivny seine Oper, deren Komposition nach der Heirat ins Stocken geraten ist und die die Studenten am Konservatorium für die bevorstehende Uraufführung einstudieren und als autobiographisches Werk erkennen, immer noch nicht vollendet. In einem Monolog wird er von seinen Erinnerungen an Mila so stark eingeholt, dass er für einen Moment das Bewusstsein verliert, und auf die Frage nach dem abschließenden Akt der Oper schließlich bekennt, dass diese in den (glücklichen) Händen Gottes liege. Gestützt auf seinen inzwischen studierenden Sohn Doubek verlässt er den Saal. Janacek, der für seine abrupten Abbrüche aufgebauter Spannungen bekannt ist, lässt hier wirklich alles offen. Dieses fragmentarische Ende wie auch die etwas verwirrenden, aber auch kompositorisch hochinteressanten Parallelen zwischen dem Protagonisten und Janacek, der diese wahre Geschichte ( der Komponist hieß allerdings Celansky, seine Geliebte und Frau Kamila Urválková ) in Luhacovice selbst erzählt bekommen hat, dürften die Zeitgenossen überfordert haben, weshalb das Werk als dramaturgisch fragwürdig und unverständlich fallen gelassen wurde.
So real die Menschen hier sind, so lebendig hat sie das Regie-Team in der damaligen Zeit entsprechenden Sommerfrische-Kostümen in natürlicher Führung auf die Bühne gestellt. Erst die Zäsur nach der Katastrophe führt in die Gegenwart der Uraufführung von Zivnys Oper, und wie es scheint, wird der Wert des zwischen „Jenufa“ und „Katja Kabanova“ entstandenen Stückes auch erst heute richtig erkannt. Eine wahre Geschichte, eine menschliche Tragödie, in die Janacek seine Vielschichtigkeit zwischen expressionistischem Grenzbereich und Stilelementen der Operette, sein Gespür für feinste Emotionen investiert hat und dabei mit der knappen Spieldauer von rund 80 Minuten auskommt.
Neben der goldrichtigen Inszenierung, bei der es außer der räumliche Enge spürbar machenden Wohnzimmer-Fassade des zweiten Aktes mit Klavier, Kanapee und Balkon keiner Kulisse bedarf, sorgt das rundum rollendeckende Ensemble dafür, dass keine Minute lang wird.
An der Spitze der erfahrene britische Janacek-Interpret John Graham-Hall mit einem expansiven Tenor, der das bisweilen auch unschöne grelle Formen annehmende Idiom der tschechischen Sprachmelodie so beherrscht, dass er ganz im Charakter des Zivny aufgeht. Vielleicht hätte ein noch etwas mehr Persönlichkeit ausstrahlender Künstler sein Drama noch etwas fesselnder gemacht. Musikalisch dürfte er Janaceks Intention wohl sehr nahe gekommen sein, was auch für die beiden anderen (wohlgemerkt ebenfalls britischen) Protagonisten gilt. Rebecca Von Lipinski mag als attraktive Mila ein bisschen das leicht süße slawische Melodiegefühl abgehen, aber in der organischen Verbindung von lyrischer Zartheit und leidenschaftlicher Empathie kommt ihr ausdrucksvoller Zwischenfachsopran bestens zur Geltung. In der Kürze einer Rolle ein Maximum an künstlerischer Entfaltung zu erreichen gilt es in der Rolle der Mutter – und die heute mit unverminderter Stimmkraft im Charakterfach tätige Rosalind Plowright tut das mit geradezu beängstigender Intensität (wenn sie z.B. als Zeichen der Verachtung Zivnys zu den im Orchester erklingenden Klavierakkorden mit den Füßen über die Tasten donnert).
Entspannende Auflockerung schaffen die allesamt typenmäßig bestens individualisierten Verehrer Milas mit dem wie immer tenoral blitzsauberen und klangvollen Heinz Göhrig als Dr. Suda an der Spitze, gefolgt von Karl Friedrich Dürr als Maler Lhotsky und Michael Ebbecke als Konecny. Helene Schneiderman ist die passend strenge und mezzo-forsche Lehrerin Fräulein Stuhlá, und unter den Studenten des dritten Aktes vermögen vor allem der klare Tenor Roberto Ortiz aus dem Opernstudio und der spielerisch bewegliche Bariton André Morsch solistisch auf sich aufmerksam zu machen. Zahlreiche Kleinstpartien gewähren den Einsatz weiterer Opernstudio-Mitglieder sowie den hier für Janacek-Verhältnisse ohnehin reichhaltig eingesetzten Chor. Seine stilistische Spannweite reicht von den choralartig ineinander verschachtelten und teilweise geflüsterten Beschwörungen bei Schönberg bis zum voll im Raum stehenden Sonnen-Hymnus der Kurgäste. Winfried Maczewski hat den Staatsopernchor auf viel Differenzierung und farbliche Valeurs vorbereitet.
Die beiden Werke waren auch ein Wunsch des künftigen GMD Sylvain Cambreling, der hiermit seinen vorzeitigen Einstand gab und sich als idealer Anwalt für die Aufschlüsselung von Schönbergs Farbspektrum als auch für die Blanklegung der Nervenmusik Janaceks erwies. Sicher lässt sich das melodische Spektrum des Mähren auch süffiger und noch klangschöner ausbreiten, als dies das Staatsorchester Stuttgart unter seiner Leitung zu Gehör brachte, doch ermöglichte diese eher geschärfte und auch in den Spielszenen auf ungeglättete Harmonien ausgerichtete Wiedergabe das Kennenlernen der Partitur in ihrer vollen unverminderten strukturellen Qualität.
Ein uneingeschränkt voller und ausdauernd gefeierter Erfolg für die künftig hoffentlich dauerhaftere Bühnenpräsenz eines lohnenden Musikdramas.
Udo Klebes