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STUTTGART: FRANCESCA DA RIMINI. Konzertant

21.07.2013 | KRITIKEN, Oper

Stuttgart: FRANCESCA DA RIMINI – 19.7. 2013. Konzertante Emphase

 Die Stuttgarter Staatsoper beendete (im Rahmen einer Russischen Sommerwoche) den Premierenreigen der Saison mit einer Rarität aus der schwül aufgeladenen Endzeitstimmung des beginnenden 20. Jahrhunderts. 1906, acht Jahre vor dem gleichnamigen spätveristischen Reißer des Italieners Francesco Zandonai, brachte Sergeij Rachmaninov, auf einen Text von Modest Tschaikowsky (dem Bruder des Komponisten) seine eigene Version der Episode aus Dantes Divina commedia auf die Bühne des Bolschoi-Theaters.

Stuttgarts GMD Sylvain Cambreling holte den Einakter aus seinem mehr als hundertjährigen, nur selten unterbrochenen Dornröschenschlaf, verhalf dem etwa einstündigen Stück durch Verzahnung mit Teilen der 3. Sinfonie der Galina Ustwolskaja (einem Werk, in dem die Russin sich von der Staatsdoktrin des Sozialistischen Realismus gelöst hat und sich auf sehr moderne Weise dem mittelalterlichen religiösen Mystizismus zuwendet) zu einigermaßen abendfüllendem Umfang.

Dadurch wird Rachmaninovs instrumental dominiertes Werk vollends zum Konzertstück. Logischerweise verzichtete man auf eine szenische Umsetzung und ließ die Musik für sich sprechen. Und sie sprach für sich – soweit sie von Rachmaninovs Hand stammte. Cambreling führte das groß besetzte Staatsorchester suggestiv in dessen emphatische Steigerungen und realisierte die in ihr enthaltenen Höhepunkte, effektvoll unterstützt durch die gesummten und vokalisierten Klage-Einwürfe des Staatsopernchors, einstudiert von Christoph Heil. So wurde man auch ohne optische Unterstützung Zeuge einer Höllenwanderung.

Die sinfonischen Einschübe, die das Geschehen verdeutlichen sollten, klangen in der Umgebung der Oper entweder blass (Prolog und Epilog mit den mystischen Textpassagen Jesus Messias, errette mich!) oder waren (in den Zwischenspielen) mit ihrer mehr dem Geräusch als dem Klang verpflichteten Struktur, die beinahe einen Konzertflügel zugrunde richtete (todesmutig exekutiert von Stefan Schreiber), eher störend, als dass sie das Geschehen meditativ begleiteten und vertieften. Welches Geschehen?

Dante führt den Geist des Vergil durch die Hölle, in der Francesca (Sopran) und ihr Geliebter Paolo (Tenor) dafür schmachten, dass sie eine Ehe brachen, die nur durch den Betrug von Paolos Bruder Malatesta (Bariton, was sonst!) zustande gekommen war. Der brachte die beiden zwar in flagranti um, kam aber, wegen des geringeren Vergehens, mit dem schlechten Gewissen davon.

Die Rahmenfiguren Dante und Vergil waren mit Stanley Jackson und Shigeo Ishino angemessen besetzt. Für die drei Hauptpartien aber hatte man drei besonders authentische Künstler verpflichtet:

Sergeij Leiferkus als Malatesta war die dramaturgisch beherrschende Figur. Er überzeugte als Rezitator der mystischen Texte der Sinfonie ebenso wie als Bösewicht vom Dienst und zugleich als zerrissene tragische Figur mit seiner allgegenwärtigen Bühnenpräsenz, der er seine Weltkarriere verdankt; denn das Timbre seines Charakterbaritons kann allenfalls als interessant durchgehen.

Reinen Wohllaut verströmte dagegen das tragische Liebespaar. Olga Mykytenko bewegte sich in der Sopranpartie der Francesca mit traumwandlerischer Sicherheit. Sie beherrschte mühelos sowohl die schwebenden Pianissimi als auch die dramatischen Akzente und blieb im Ausdruck der gequälten Frau zwischen Pflicht und Liebe keine Nuance schuldig. Ihr Partner Paolo ist als Figur weniger differenziert gezeichnet. Seine Aufgabe ist es, die Frau seines Lebens dem intriganten Bruder zu entreißen – und das mit möglichst viel tenoralem Elan. Und dafür war Dmytro Popov der ideale Interpret. Sein in allen Lagen klangvoller Spinto-Tenor hat keinerlei Mühe, kann die anspruchsvolle Partie voll auskosten und mit leuchtenden Spitzentönen abrunden. Gemeinsam mit seiner Partnerin führte er anstrengungslos dramatischen russischen Belcanto vor. Man vergaß darüber, den übertitelten deutschen Text mitzulesen. Eine Viertelstunde spätromantisches Opernglück!

Der jubelnde Schlussapplaus konnte nicht vergessen machen, dass diese Version der bemühten Verlängerung einer problematischen Kurzoper anfechtbar ist. Die Aufführung, selbst auf so hohem Niveau wie diese, hat etwas von der Willkür einer Collage, die nicht unbedingt im Sinne des Komponisten sein dürfte. Als Alternative sei die Kombination mit einem anderen einaktigen, ähnlich symbolträchtigen Außenseiter der neueren Operngeschichte vorgeschlagen: Bela Bartoks Herzogs Blaubarts Burg. Beide Werke vermischen opernhafte, oratorische und sinfonische Elemente und sind von vergleichbarer spröder Eindringlichkeit – und beide harren einer adäquaten Ergänzung zu einem spannenden Abend des Musiktheaters. Es muss ja nicht immer nur Cavalleria / Pagliacci sein!

Johannes Schenke

 

 

 

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