Stuttgart
„FIDELIO“ 5.11.2015 (Premiere 25.10.) – Dialoge als Raumkonzept
Bert Neumanns letzter Bühnenraum (gest. 30.07.2015). Copyright: A.T.Schaefer
In der Aufführungsgeschichte von Beethovens einziger Oper war und ist immer wieder vom „Störfaktor“ der gesprochenen Dialoge, einerseits durch eine angebliche Altbackenheit, andererseits als Problem für die Belange des Musiktheaterbetriebs, die Rede.
Jossi Wieler und sein beständiger Co-Regisseur Sergio Morabito haben sich die Frage gestellt, ob dies wirklich Hinderungsgründe für eine angemessene szenische Realisation sind und wie dieser nicht abzusprechenden Herausforderung begegnet werden kann. Ihre Antwort ist klar und nachvollziehbar: gerade die so gegensätzlichen Formen von Singspiel, Melodram und Oper, wie sie in der zu Beethovens Zeit aktuellen Revolutionsoper französischer Provenienz üblich waren, haben das Interesse des Komponisten geweckt und ihn für eine Vervollkommnung seiner damals schon weit fortgeschrittenen Mittel über viele Jahre an der endgültigen Form des „Fidelio“ feilen lassen. Die radikale Kürzung der Dialoge bzw. eine erzählerische Zusammenfassung, wie es in den letzen Jahrzehnten meist praktiziert wurde, missachten und zerstören letztlich den besonderen Charakter des Werkes. Deshalb müssen sie als eigene Instanz begriffen werden, obwohl die unter technischen als auch akustischen Bedingungen schwierige Anwendung für Opernsänger nicht abzuleugnen ist.
Das Regieduo wolle nun sowohl dem Text in seinem ursprünglichen Umfang zu Recht verhelfen wie auch bessere Vorraussetzungen für die szenische Umsetzung schaffen. Den Ausgangspunkt dafür bildet die Gestaltung des Bühnenbildes, der letzten Arbeit des im Sommer unerwartet früh verstorbenen Bert Neumann. Es besteht aus einem hohen Einheitsraum, der ringsum durch Vorhänge begrenzt ist und von dessen Decke über den ganzen Raum verteilt Mikrofone herabhängen. Sie sind nicht nur Zeichen einer totalen Überwachung des Gefängnisses, in dem jedes Wort belauscht wird, sondern auch echo-artige Verstärkung des Gesprochenen, was den Sängern die sprachliche Resonanz erleichtert.
So einleuchtend bzw. vorteilhaft das ist, der Endeffekt ist eine unnatürliche Wirkung, bei der ein gewissen Textstellen innewohnendes Pathos zum Glück vermieden, andererseits aber ein teilweise stoischer Vortrag erzielt wurde, als ob das Gesagte die Akteure nur wenig anginge.
Nach der unangenehm grellen klinisch weißen Ausleuchtung des ersten Aktes bietet das im Finstern, später im Halbdunkel liegende Verlies richtige Erleichterung. In das Grab, das Leonore und Rocco mit Schaufeln ausheben, wird am Ende der Bösewicht Pizarro von Rocco eigenhändig hinein gestoßen. Die Befreiung durch eine Fernbedienung löst nicht nur Florestans elektronische Fußfessel, sie öffnet zugleich auch den bisher verschlossenen, zentral postierten Bunker, in dem sich Akten und Müllsäcke stapeln und ein Schredder zu deren Vernichtung bereit steht. Zur Preisung der Gattenliebe nehmen alle Befreiten Florestan in die Mitte und fassen sich an den Händen, während Leonore ganz vorne im hellen Rampenlicht steht und sich das (Sonnen-)Licht in der weit in die Mitte herunter gelassenen Wand bricht, auf der zuvor die Übertitel nicht in gewohnter Manier, sondern den Äußerungen nachfolgend mitgeschrieben und aufgezeichnet werden. In diesem Gefängnis bleibt wirklich nichts unbewiesen!
Auch Rocco und Marzelline stecken wie die Gefangenen dieses Systems im gleichen, überwiegend gelben und grauen Kostüm-Material von Nina von Mechow – eine vor allem deshalb unnötige Zeitverlegung in die Gegenwart, weil sie das Revolutionäre und Besondere der mutigen Befreiungstat einer Frau entschieden abschwächt. Hoch anzurechnen sind den Produzenten klar beibehaltene wesentliche Vorgänge sowie das ungebrochene Zugeständnis an den Triumph des Guten über das Böse, wie es im Chorfinale verankert ist.
Rebecca von Lipinski (Leonore) und Michael König (Florestan). Copyright: A.T.Schaefer
Die bis auf eine Ausnahme hauseigene Besetzung stellt dem derzeitigen Ensemble des Opernhauses wieder ein überwiegend gutes Zeugnis aus. Mit Rebecca von Lipinski steht gar eine ideale Leonore zur Verfügung. Ihr klarer Zwischenfachsopran gibt sowohl den lyrischen Momenten eine leuchtende Innigkeit als auch den dramatischen Aufschwüngen einen mitreißenden Impetus und verbindet beides mit ungebrochener Linie. Die heikle instrumentale Führung des Gesangsparts erscheint bei ihr als völlig normaler Vorgang, auch weil sie in den oberen Regionen nicht an Grenzen gerät. Auch als schlanke Gestalt im hellen Staubmantel mit Kurzhaar macht sie eine glaubwürdige Figur, die dann im Moment der Preisgabe ihrer Identität ihre weiblichen Rundungen frei erkennbar macht. Faszinierend wie in dieser nach außen so ruhig wirkenden Figur die innere Erregung ihres Kampfes um Florestan nach außen spürbar wird. Dass ihre deutsche Aussprache noch verbesserungswürdig ist, schmälert den Gesamteindruck nicht im Geringsten.
Sich an einem recht beleibten Sänger aufzureiben, wenn er einen ausgehungerten Gefangenen zu verkörpern hat, lohnt sich vor allem dann nicht, wenn die Gesamtleistung eines Florestan stimmt – im Falle von Michael König sind es eine unaufgeregt leise schauspielerische Seite sowie ein sauber ansprechender, eher hell timbrierter Tenor, der wohl aufgrund einer angesagten Erkältung den Einstieg ins anschwellende „Gott“ nicht wünschenswert im piano anzusetzen wagte, aber die gesamte Partie in allen Belangen inkl. einer mühelos ins „himmlische Reich“ steigenden Extremhöhe ohne Verquellungen und Eintrübungen bewältigt. Auch in der Spätphase seiner Laufbahn ist auf Roland Bracht, den langjährigen Bass-Leuchtturm des Hauses stets Verlass. Von einer gelegentlichen Verhärtung abgesehen strömt die Stimme immer noch mit viel Substanz und vermag mehr zur Profilierung des Rocco beitragen, als es die hier etwas abgebrüht ruhige Sichtweise des auf eigene Vorteile bedachten Kerkermeisters verlangt. Noch einmal zu großer Form läuft Michael Ebbecke in Richtung Pensionsalter auf, wenn er den betont hässlich ausstaffierten Pizarro ( mit Schnauzbart und Mittelscheitel zwischen beidseitig langen Zotteln ) mit mächtiger, jetzt wieder freier klingender Höhe so richtig donnernd seine Macht ausspielen lässt, ohne dabei seinen spröden Bariton zu strapazieren. Nach zwei Jahren im Opernstudio behauptet sich Josefin Feiler nun im Ensemble als gut brauchbarer lyrischer Sopran, der ihrer Marzelline zwischen Bedrängnis und Sehnsucht fein differenzierte Töne verleiht. Schade nur, dass die als Putzfrau fungierende Tochter Roccos nach der Enthüllung des geliebten Fidelio eher unauffällig in der Menge steht. Mit keck und forsch eingesetztem kräftigem Charaktertenor setzt ihr Daniel Kluge als Jaquino, der beständig mit von Rollbändern herab stürzenden Paketen beschäftigt ist, ganz schön zu. Etwas gar hemdsärmelig, mit hinaufgeschobenen Jackett-Ärmeln und den Händen in den Hosentaschen verkündet der Minister Don Fernando die Freilassung der Gefangenen, dazu passt dann auch der wenig edle, eher robuste, aber im Ansatz sichere Vortrag des Bariton Ronan Collett.
Der von Young Chan Kim und Sebastian Peter solistisch einwandfrei angeführte Staatsopernchor wurde von Johannes Kne
cht wie immer vorbildlich vorbereitet und kann nichts dafür, dass die Gefangenen ihre beiden Auftritte in etwas lächerlichen, leicht tänzerischen Reihen-Aufmärschen absolvieren müssen. Die Begrüßung des Sonnenlichts wie auch die Befreiung und Feier der Gattenliebe äußern die Damen und Herren mit einer wieder einmal begeisternden Verbindung aus Klangtransparenz und Stimmgruppen-Fülle.
Am Pult des bis auf zwei Bläser-Momente gut disponierten Staatsorchesters Stuttgart realisierte GMD Sylvain Cambreling ein Beethoven-Klangbild, das zwischen heroischer Schärfung und leisem Grauen, zwischen klassischer Grundierung und romantischer Note zu einer ausgewogenen, stets gespannten Linie fand. Ein Zustand, der sich bei der Inszenierung erst im zweiten Akt einstellte, als die Zeit für die Befreiung drängte.
Udo Klebes