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STUTTGART: FALSTAFF – Gewaltige szenische Steigerung

13.11.2013 | KRITIKEN, Oper

STUTTGART: FALSTAFF am 3.11.2013 – GEWALTIGE SZENISCHE STEIGERUNG

Verdis „Falstaff“ in der Stuttgarter Staatsoper

Aufführung vom 3. November 2013/


Foto: Staatsoper Stuttgart

STUTTGART Verdis letzte Oper „Falstaff“ ist ein bewundernswertes Alterswerk, dessen Kaskaden und Arabesken wie Edelsteine hervorblitzen. Außerdem wird hier die Summe eines Schaffens gezogen, dessen schlagkräftige dramatische Kraft seinesgleichen sucht.

Die Botschaft des Werkes ist gleichwohl zeitlos: Thematisiert werden die Schwierigkeiten des Außenseiters in der gnadenlosen Gesellschaft, die in bestimmten Situationen kein Mitleid kennt. Vielleicht sucht Sir John Falstaff auch aus Trotz das persönliche Desaster, um den Leuten einen Spiegel vorzuhalten. Dieser riesige Spiegel ist ja dann im zweiten Teil wirklich zu sehen. Die durchaus differenzierte Inszenierung von Andrea Moses spielt hintersinnig mit diesen verschiedenen Genres. Der von Albert Dohmen höchst virtuos gesungene und gemimte Sir John Falstaff kann sich hier als adeliger Gauner bis nach Windsor verirren – allerdings nicht ins Schloss, sondern zu den fleißigen Bürgern. Die verteidigen hier leidenschaftlich alles, was sie sich erarbeitet haben. Die Männer jagen durchs Haus und suchen den eitlen Schwerenöter und Frauenverführer, ohne seiner richtig habhaft zu werden. Gelegentlich gibt es auch Assoziationen zum spanischen „Don Quijote“, der gegen Windmühlen kämpft. Das Bühnenbild von Jan Pappelmann wirkt zunächst sehr schlicht und sperrig mit seinen vielen Holzwänden und dem überdimensionalen Riesenbett. Allerdings steigert sich die Szene im zweiten Teil dann ins Fantastische und Überirdische, wenn Falstaff im Wald von den Bürgern gefoppt und auf die Schippe genommen wird. Diese Verwandlung im mondbeglänzten Park führt auch zu einer deutlich besseren Inszenierungsqualität. Die starren Holzwände haben sich plötzlich in geheimnisvoller Weise aufgelöst, Nebel hüllt die Protagonisten ein. Die „Walpurgisnacht“ fordert ihren gespenstischen Tribut. Andrea Moses beschwört Geheimnisse. Und ein überdimensionaler Spiegel bedeckt die Bühne, der das fast schon unwirkliche Geschehen von oben einfängt. Das ist ein sehr geschickter Schachzug der Regisseurin, die hier einen hervorragenden Einfall hat.

Denn jetzt erhält das anfänglich fast schon monotone Stück Shakespearesche Qualität, die Darstellerinnen und Darsteller reagieren mit umso leidenschaftlicherem Einsatz. Falstaff wird tatsächlich zum Gehörnten mit einem überdimensionalen Hirschgeweih, der das Geschehen im Grunde genommen aber nicht allzu ernst nimmt. Das ist die entscheidende Botschaft dieser Inszenierung. Falstaff ist dabei ein Stehaufmännchen, das immer wieder auf die Beine kommt. Die Gnade wird ihm nach der Demaskierung des Geistervolks auch wirklich zuteil. „Alles ist Spaß auf Erden, der Mensch ein geborener Tor…“ So lautet die zentrale Botschaft dieser Aufführung, die sich wie ein zentraler dramaturgischer Faden behauptet.

Die in Musik verwandelte Poesie kam durch das feinnervig musizierende Staatsorchester Stuttgart unter der subtilen Leitung von Sylvain Cambreling voll zum Vorschein. Musikalische Edelsteine blitzten unaufhörlich, die romantische musikalische Komödie blieb auch hinsichtlich der Falstaff heftig umgarnenden Damen immer höchst lebendig. Überhaupt hatten die Damen bei der Aufführung musikalisch die Hosen an. Die weibliche „Verschwörung“ erreichte auch darstellerisch ihren absoluten Höhepunkt. Falstaffs Arie „Quand‘ ero Paggio“ gehörte dabei zu den schönsten Passagen der Aufführung. Der „Ehrenmonolog“ begeisterte mit wunderbaren Holzbläserläufen und raffinierten Trillern, die sich zu vervielfältigen schienen. Dass „Va, va vecchio John“ Falstaffs und Verdis persönlicher Abschied war, konnte man glaubwürdig nachvollziehen. Weiterhin bewegte Fords leidenschaftlicher Eifersuchtsmonolog. Sylvain Cambreling gelang es jedenfalls, die Schönheiten der Partitur hervorzuheben und immer wieder plastisch transparent zu machen. Auch die Verschmelzung von Arioso und Parlando machten die Sängerinnen und Sänger facettenreich deutlich. Dies galt auch für die in kleinste Notenwerte aufgelöste Sprachmelodik. Der polyphone und kontrapunktisch zugespitzte Charakter ließ kaum Wünsche offen. Cambreling löste tiefste musikalische Rätsel dank seines souveränen Dirigats in idealer Weise. Dies galt vor allem für die sinnlichen Effekte dieser Partitur. Die gewaltige Fuge, mit der das Werk endet, nahm bei der harmonisch vielschichtigen Realisierung einen immer deutlicheren Platz ein. In diesem unglaublichen Durcheinander agierten die einzelnen Orchestermusiker fast schon solistisch. Selbst die Einflüsse Bachs ließen sich dabei nicht verleugnen. Das abschließende C-Dur Falstaffs wirkte in der Verkörperung Albert Dohmens durchaus glaubhaft optimistisch. Fallende Intervallschritte verdeutlichten zuweilen den trist abstürzenden Helden, die Tonika-und Dominant-Akkorde im ersten Akt schienen sich zu verselbstständigen. Reizvolle chromatische Triolenfiguren unterstrichen die facettenreichen Handlungseffekte.

Die Gestik der Sängerinnen und Sänger korrespondierte hier sehr stark mit den klanglich nuancierten Abläufen im Orchester, es gab kaum Brüche. Gezim Myshketa brillierte als Alices Gatte Ford mit strahlkräftigem Timbre, Atalla Ayan war ein kerniger Fenton. Heinz Görig gefiel als Dr. Cajus. Mit des Basses Grundgewalt und ebenso schwergewichtig agierten ferner Torsten Hofmann als Bardolfo und Roland Bracht als Pistola – beide in Falstaffs Diensten. Einen Sonderapplaus verdienten sich die brillanten intriganten Damen – allen voran Simone Schneider mit sonorem Timbre und volumnösem Ausdruck als gewiefte und raffinierte Mrs. Alice Ford. Mirella Buonaica sprang höchst erfolgreich für die erkrankte Pumeza Matshikiza als ihre Tochter Nannetta ein, während Lindsay Ammann als Mrs. Quickly leuchtkräftig hervorstach. Sophie Marilley war eine sehr durchtriebene Mrs. Meg Page. Maarten Güppertz überzeugte als findiger Wirt, der auch mal einen italienischen Schlager zum Besten gab. Vielleicht sind dieses musikalischen Bezüge zu unserer modernen Welt bei dieser Inszenierung stellenweise auch zu dick aufgetragen. Doch sie vermitteln jedenfalls ein betont mediterranes Lebensgefühl.

Der Staatsopernchor in der Einstudierung von Johannes Knecht fesselte mit ungemeiner gesanglicher Präsenz. Hier blieben keine Wünsche offen. Dem gesamten Ensemble gelang eine emotionale Achterbahnfahrt, die das Publikum unmittelbar mitriss und zuletzt atemlos zurückließ. Damit erfasste man aber auch den eigentlichen Sinn der Opern Verdis, die die Zuhörer ja wirklich in einen unaufhörlichen Strom der Gefühlsausbrüche reissen sollen. Sylvain Cambrelings Stärke als Dirigent ist hier auf jeden Fall der überragende Blick für das große Ganze, ohne die feinen Details aus den Augen zu verlieren. Der spieltechnische Biss wirkte so wiederholt immer elektrisierender. Anna Eiermanns Kostüme erschienen vor allem im zweiten Teil sehr fantasievoll. Es war ein moderner Verdi, der gleichwohl Brücken in die Vergangenheit wies.   

Alexander Walther

 

 

 

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