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STUTTGART: FALSTAFF – Adriano Celentano in der Oper

23.11.2013 | KRITIKEN, Oper

Stuttgart: FALSTAFF“ 22.11. 2013 (Premiere 20.10.) – Adriano Celentano in der Oper

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Aus der Themse gerettet: Albert Dohmen als Falstaff. Copyright: A.T.Schaefer

 Wussten Sie schon, dass Giuseppe Verdi auch den Schlager „Azzurro“ komponiert hatte? Eine gute Minute lang schallt Adriano Celentanos Stimme zu Beginn der dritten Szene aus dem Radio der Spelunke, in der Falstaff wenig später Spaghetti serviert werden. Der Wirt, eine dauerkiffende, ungepflegte grauhaarige Type in Flipflops, beginnt animiert von den Klängen zu tänzeln, eine Dame durchaus älteren Semesters vor mir signalisiert mit hin und her schwingendem Körper ähnliche Absichten. Habe ich mich vielleicht ins falsche Stück verirrt? Und war das hörbar erheiterte Publikum erleichtert, mit leichten Ohrwürmern anstatt mit der ach so schweren Oper konfrontiert zu werden?

All das könnte jetzt sarkastisch klingen, wenn es nicht in Wirklichkeit traurig und fassungslos stimmt, wie wenig Respekt Hausregisseurin Andrea Moses gegenüber Kunstwerken zeigt, indem sie meint, Verdis genialem Alterswerk eine solche musikalische Entgleisung aufpfropfen zu müssen. Noch bedenklicher wird dies bei GMD Sylvain Cambreling, der einerseits nicht müde wird zu betonen, wie perfekt anspielungsreich und in sich geschlossen diese Partitur ist, sowohl in einem Artikel im Programmheft als auch bekräftigt in der musikalischen Wiedergabe mit dem feinst auf alle kleinen und schnellen Details reagierenden Staatsorchester Stuttgart, dann aber einen solch frechen Unsinn im Rahmen dieses Gesamtkunstwerks zulässt und verantwortet. Um nicht falsch verstanden zu werden: sein analytischer Zugriff bekommt den häufigen Stimmungswechseln und vielen Farbtupfern äußerst gut. Rhythmische Prägnanz herrscht in den sich oftmals überschlagenden Abläufen, in den virtuos gehandhabten Ensembles, zwischen all den vielen zitierenden und karikierenden Espressivo-Phasen stellt sich in kurzen Zusammenkünften des jungen Liebespaares sowie in der finalen Waldszene impressionistisch zartestes Schimmern und Flimmern sowie richtig wohltuendes melodisches Streicher-Blühen ein. Kurz: da wird alles im rechten Maß und in Balance zwischen Ernst und Komik, zwischen Lachen und Ironie gehalten.

Bei der Regie sieht es bei aller handwerklichen Brillanz der Regisseurin etwas anders aus: mit Ruhe oder Stillstand, Momenten des Sinnierens und Reflektierens vermag sie wenig umzugehen, es herrscht der fast beständige Drang nach Tempo und Aktion. Dazu gehören auch die offenen Umbauten auf der wieder einmal schwarz verhangenen Bühne (und das bei einer Komödie!), wo schwarze Kapuzenmänner in Fords Diensten mit vielfältigen z.T. durchlässigen Wandverschiebungen eines braunen Sperrholz-Quaders mehr oder weniger einfache Szenen skizzieren. Ausnahme ist das Innere von Fords Wohnhaus, wo sich die Vorgänge auf gleich drei nach hinten ansteigenden Etagen überschlagen – verdoppelt durch einen Riesen-Deckenspiegel, der auch in der nächtlichen Spukszene dazu dient, den großen Baum (Hernes Eiche) aus einem (neben weiteren) tatsächlich vorhandenen Stamm und dem sich genau darauf spiegelnden Ensemble in grüner Blätter-Verkleidung als Illusion herbei zu zaubern (Bühne: Jan Pappelbaum). Soviel Märchenzauber war nach den vorherigen Szenen gar nicht zu vermuten, die Moses in für sie wohl unumgänglicher Weise im Hier und Heute angesiedelt sind. Anna Eiermanns Kostüme sind mit wenigen Ausnahmen (Falstaff, Alice und Meg) geschmacklich ziemlich entgleist, als gelte es das möglichst Hässliche auszustellen.

Im Großen und Ganzen ist alles genau am Text, an den Vorgaben entlang inszeniert, und gerade deshalb stellt sich die Frage, warum der optische Rahmen so betont heutig sein muss. Das Stück ist in seiner Konzeption so modern, in seiner thematischen Verknüpfung von Moral und Ehrenhaftigkeit so zeitlos, dass es für sich selber spricht und keiner Aktualisierung bedarf. Liebe Frau Moses, gestehen Sie bitte dem Publikum, das Sie einerseits fordern wollen, doch selbst zu, Parallelen der Handlung zur Gegenwart zu ziehen!

Dass der köstliche Spaß, den sich die „lustigen Weiber“ da leisten, kaum ein Lachen, höchstens ein gelegentliches Lächeln erweckt, entzieht dem Werk einen wesentlichen Teil seiner Wirkung. Warum Falstaff am Ende der von ihm selbst angestimmten Fuge das ihm von einem Kind gereichte Sektglas ablehnt und seitwärts abgeht, hängt der doch eindeutigen, auch musikalisch komprimierten Bekenntnis-Vereinigung, dass alles Spaß auf Erden ist, ein Fragezeichen an, so als dürfte es um Gottes Willen kein Happy-End geben.

Die vokale Besetzung stimmte überwiegend. Zwiespälte tun sich ausgerechnet bei der Titelgestalt auf. Es ist gut nachvollziehbar, dass der international renommierte Bassbariton Albert Dohmen zwischen seinen vielen Wagner-Einsätzen mal einen Ausflug in komische Gefilde machen wollte. Und soviel sei gesagt: sein Debut ist rein gesanglich betrachtet vollkommen gelungen. Mühelos schöpft er das geforderte umfangreiche Register aus, vermag zwischen Feinem und Vollmundigem hinreichend zu nuancieren, spielt einen leicht herunter gekommenen Mann im durchaus noch besten Alter, der sich seiner Wirkung durchaus bewusst ist und dennoch die Weiberverführungen nur als Umweg benutzt, um zu Geld zu gelangen, seinem leiblichen Genuss frönen und seine ebenso trinkfreudigen Diener unterhalten zu können. Einer, bei dem sich zunehmend mehr das Mitleid als das Vergnügen um seine Durchtriebenheit einstellt. Und dennoch geht ihm etwas Entscheidendes ab: die Natürlichkeit des Charakters, die aus dem italienischen Text sprechende Süffisanz der Pointen. Meist herrscht mehr gelernte Perfektion als ein selbstverständlicher Humor, aus dem der Witz entspringt.

Perfekt und gelöst zugleich präsentierte sich der albanische Bariton Gezim Myshketa als schauspielerisch wendiger, Spaß und Eifersucht schillernd zum Ausdruck bringender und mit einem schlackenlosen, schönen, rundum glanzvoll und unforciert ansprechenden Bariton aufhorchen lassender Ford. Seine Gattin Alice kann ihm in Gestalt der apart damenhaften Simone Schneider mit breiter gewordenem, aber in der Höhe leuchtend voll gebliebenem Sopran sowie köstlichem Mimenspiel auf selbem Niveau begegnen. Ungewohnt jung und auch vokal anders geartet als meist die Mrs. Quickly: Hilke Andersen im schwarzen Hosenkostüm mit hochgesteckten Haaren und riesiger Brille bietet viel Sexappeal und schmeichelt Falstaff mit betörend weicher Mittellage. Während sie in der Höhe richtig aufdrehen kann, bleibt das Tiefenregister eher schwach, es sei denn der Verzicht auf in dieser Partie gern gehörte üppige brustige Tiefen („Reverenza“) war hier beabsichtigt, um Hörgewohnheiten zu überwinden. In Aufmerksamkeit heischender Mode und saftigem Mezzo-Einsatz stand Sophie Marilley als beständig Kaugummi kauende Meg Page mit Model-Figur und entsprechenden Bewegungsmöglichkeiten keineswegs im Damen-Quartett zurück, zu dem auch die neu ins Ensemble gekommene Rumänin Mirella Bunoaica als Nanetta gehört. Die hier als etwas aufmüpfiger Teenager gezeigte Tochter der Fords lässt einen angenehmen lyrischen Sopran hören, der sich in den langen Höhen warm und klar entfaltet. Gergely Nemeti macht neben ihr als Fenton eine eher unglückliche linkische Figur, kommt aber mit der für ihn inzwischen schon sehr leichten Partie trotz einer angekündigten Erkältung mit kultiviertem Tonfall und sauber gestützter Höhe bestens zurecht.

Heinz Göhrig gehört zu den Sängern, die einem jeden festen Ensemble in unterschiedlichsten Partien zur Ehre gereichen. Im Falle des brav bürgerlichen Dr. Cajus in kariertem Anzug und mit sauberst getolltem Haar trifft er mit immer noch substanzreichem Tenormaterial den passend penetranten Tonfall des unliebsamen Wunsch-Bräutigams.

Torsten Hofmann und Roland Bracht füllen die beiden Diener mit schmierigem Charaktertenor bzw. bedrohlich dunklem Bass als prägnant charakterisierte Gauner aus.

Der Staatsopernchor Stuttgart mischt vor allem das Schlussbild mit ganz feinen sowie auch deftig zulangenden Tönen auf und darf bei der Rache an Falstaff, der hier tatsächlich mit Hirschgeweih und Lederhose mit Hufen auftritt, entsprechend beteiligt sein.

Als zweiter Beitrag (nach „Nabucco“  zu Jahresbeginn) im Verdi-Jahr stimmte auch dieses Gesamtpaket vor allem szenisch nicht rundum glücklich, auch wenn die Publikumsaufnahme an diesem Repertoireabend sehr lebhaft und für einige Sänger auch verdient begeistert war.

 Udo Klebes

 

 

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