Claudia Mahnke, Falk Struckmann. Copyright: Mathias Baus
Bela Bartoks „Herzog Blaubarts Burg“ am 2. November 2018 im ehemaligen Paketpostamt – Staatsoper/STUTTGART
DAS HERZ WIRD ZUR FESTUNG
Eine Rauminstallation voller Licht und Schatten präsentiert Hans Op de Beeck bei seiner düsteren Inszenierung von Bela Bartoks expressivem Operneinakter „Herzog Blaubarts Burg“. Es geht hier um ein unmögliches Paar, das das Publikum gleichsam zu Voyeuren macht. Das Herz des Herzogs verwandelt sich in eine Festung. Und die Zuschauer waten mit Gummistiefeln durch einen Fluss, der sich im Raum befindet. Eine Platzanweiserin führt sie durch die Reihen. Man hört unentwegt das geheimnisvolle Flüstern von Wassernixen. Es sind wohl die verflossenen Frauen Herzog Blaubarts. Traum und Albtraum wachsen bei diesem performativ-installativen Gesamtkunstwerk zusammen und fesseln das Publikum.
Trotz aller Warnungen hat Judith Familie und Verlobten verlassen, um Herzog Blaubart in seine düstere Burg zu folgen. Mit ihrer Liebe möchte sie dort Licht ins Dunkel bringen. Sie möchte erfahren, was sich hinter den sieben verschlossenen Türen verbirgt. Man sieht zwischen großen Bäumen einen riesigen Steg, über den Herzog Blaubart mit einem Fahrrad fährt. Blaubart reicht ihr die Schlüssel – und Judith nimmt mit Schrecken Blaubarts Reich wahr. Es gibt sogar eine Folterkammer, eine Waffenkammer, eine Schatzkammer, einen prachtvollen Garten, weite Ländereien und einen Tränensee. Man sieht zudem Blaubarts frühere Frauen. Und mit jeder geöffneten Tür wird die Burg heller – und man nimmt Spuren von Blut wahr. Blaubart warnt Judith vergeblich davor, die beiden letzten Kammern noch zu öffnen. Er übergibt sie dann dem Schicksal ihrer Vorgängerinnen. Eine gemeinsame Zukunft kann es nicht geben.
Der Zuschauer wird hier deutlich in die Lage versetzt, Blaubarts Burg zu betreten, obwohl diese bei der Inszenierung eigentlich nicht sichtbar ist. Judith bleibt zuletzt teilnahmslos am Wasser sitzen. Das Orchester musiziert unter der ausgezeichneten Leitung von Titus Engel auf Augenhöhe mit dem Publikum. Es ist ein faszinierender „Nightwalk“, den der Regisseur Hans Op de Beeck dem Publikum hier offenbart. Die Opernbesucher wandeln durch Op de Beecks nächtliche Seenlandschaft. Die Farben sind dieser Welt hier gleichsam entzogen, unter der trügerisch brodelnden Wasserfläche lauert das Unheil. Der belgische Künstler Hans Op de Beeck beschreibt sich selbst als Filmemacher, Maler, Bildhauer, Autor und Regisseur. Deswegen ist die Wahrnehmung seiner Werke ganzheitlich. Blaubart ist hier nicht das grausame Ungeheuer, sondern ein melancholischer Mann, der begreift, dass er bis zum Ende seines Lebens immer wieder den selben Fehler machen wird. Und Judith besitzt eine große Sehnsucht nach Tiefe, obwohl sie genau weiß, dass diese Geschichte nicht gut für sie ausgehen wird.
Claudia Mahnke, Falk Struckmann. Copyright: Mathias Baus
Der mythische Blaubart kann sich in der ehemaligen Industrieburg des Paketpostamtes voll entfalten. Die Farben-, Klang- und Empfindungspalette von Bartoks Partitur wird von Titus Engel mit dem hervorragenden Staatsorchester Stuttgart voll ausgereizt. Melos und Rhythmus der ungarischen Sprache treten mit erstaunlicher Präzision hervor, impressionistische Momente sind ebenfalls klar auszumachen. Ariose und rezitativische Komplexe können sich gut behaupten. Dafür sorgen in erster Linie Claudia Mahnke (Mezzosopran) als Judith und Falk Struckmann (hoher Bass) als Herzog Blaubart. Dass die sieben Türen psychologische Abbilder von Blaubarts inneren Empfindungen sind, macht die Aufführung eindrucksvoll deutlich, auch wenn bei der Inszenierung manche Details zu kurz kommen. Die dynamische Kraftentfaltung im Orchester ist vor allem bei den opulenten Blechbläsereinwürfen enorm. Auch den ausgefeilten Parlando-Stil arbeiten die beiden gut aufeinander abgestimmten Sänger überzeugend heraus. So kann der musikalische Vulkan mit unmittelbarer Wucht ausbrechen. Bartok hatte zurzeit der Entstehung dieser Oper eine schwere seelische Krise, die in der Inszenierung ebenfalls versteckt angedeutet wird. Das erhöht das harmonische Spannungspotenzial zusätzlich. Beziehungen zu Richard Wagners „Lohengrin“ liegen auf der Hand, machen sich immer wieder bemerkbar. Motive und Harmonien sprechen aber eine deutliche individuelle Sprache. Titus Engel erfasst Sinn und Gehalt von Bartoks Partitur in ganz ausgezeichneter Weise. Man begreift, wie die Schlösser von der Seele herabfallen. Jede Tür führt weiter nach innen und enthüllt immer mehr über Herzog Blaubart. Die scharfe Dissonanz des Blutmotivs kann man nicht vergessen. Dasselbe gilt für die kampflustigen Motive. Die Licht-Perspektiven werden vom Staatsorchester Stuttgart unter Titus Engels Leitung in exzellenter Weise gelöst. Aus dem Dunkel des fis-Moll-Anfangs gelangt man schließlich zur blendenden C-Dur-Helle. Und aus dem Blutmotiv entwickelt sich das Thema der eifersüchtigen Beschuldigungen Judiths mit großer Konsequenz. Dies bringt die Liebesmelodie des Mannes zum Schweigen. Debussy-Anklänge erhöhen den akustischen Reiz.
Und die Sprechrolle des Barden geht bei der Aufführung ganz bewusst unter. Jubel für die Sänger, das Orchester und den Dirigenten – Beifall und vereinzelte „Buh“-Rufe für den Regisseur (Dramaturgie: Barbara Eckle, Julia Schmitt). Zuletzt fliegen auch noch schwarze Luftballons durch den Raum.
Alexander Walther