Stuttgart: „DON GIOVANNI“ 23.9. 2013– Mozart in Bedrängnis
Bei der dritten Begegnung mit der durch die Fernseh-Übertragung der Premiere einem breiteren Publikum bekannt gewordenen Inszenierung von Andrea Moses stellen sich doch einige Zweifel ob der zugegeben brillant in Gang gehaltenen Personenführung ein. Letztlich ist auch die ins Heute transferierte Handlung so bis ins kleinste Detail auf den Punkt gebracht, dass auch der Dümmste kapiert, worum es geht. Problematisch wird dies dort, wo das Geschehen wie unter Drogen in Daueraktion abläuft, wo die jedes Mal aufs Neue so bewundernswert in Farben schillernde Musik Mozarts doch etwas mehr Freiheit, mehr Luft zum Atmen benötigt. Vor allem, wenn dann noch ein Dirigent dazu kommt, der anstatt für Ausgleich zu sorgen, das Tempo der Inszenierung aufgreift und in den Ensembles manchmal so rasant zu Werke geht, dass Orchester und Solisten phasenweise rhythmisch auseinander driften. Andrés Orozco-Estrada, der hier vor zwei Jahren mit einer subtil aufgefächerten „Traviata“-Serie beeindruckt hatte, erweist sich wohl auch hier als höchst animierender Dirigent, findet aber neben messerscharfen Tutti-Einschlägen und auf Kosten der Präzision vorwärts getriebener Emphase kaum zur Ruhe, die die Musik dazwischen bräuchte, um ihren Duft, ihren Zauber zu entfalten. Das Staatsorchester Stuttgart folgt seinen Intentionen mit beachtlicher Brillanz in den Bläsern, während die Streicher in so mancher Eile zum Verwaschen neigen.
Vier neue Solisten machten indes neugierig und hinterließen einen überwiegend positiven Eindruck. Mit Adam Palka wurde ein junger Bassist ins Ensemble geholt, der schon vor der Sommerpause als Alidoro in „La Cenerentola“ so manchen erfahreneren Kollegen an die Wand sang, und nun als Leporello nicht weniger überzeugte, so spielastisch gescheit und mit satter vokaler Ausgeglichenheit in den Registern ersang er sich auch diesmal einen großen Erfolg.
Mandy Fredrich, seit ihrer Salzburger Königin der Nacht 2012 keine Unbekannte mehr, findet als Donna Anna zu einer Mitte aus Verführungsbereitschaft und Trauer, bekräftigt durch einen höhenstabilen Sopran, der trotz bisheriger Koloratur-Ausrichtung mit Durchschlagskraft, beibehaltener Linien-Klarheit und dynamischer Flexibilität deutliche Tendenz zum jugendlich dramatischen Fach hören lässt. Und somit der Partie in allen Facetten aufs Schönste gerecht wird.
Maria Koryagova aus dem Opernstudio macht als Zerlina mit einem lyrisch beseelten Sopran, der naturgemäß noch etwas der Ausreifung bedarf, und quick natürlichem Spiel auf sich aufmerksam. Ebenfalls aus dem angeschlossenen Nachwuchs-Ensemble stammt Ashley David Prewett, der als Masetto mit ausreichend gefestigtem Bariton und ebensolchem spielerischem Engagement durchaus mithalten kann.
Im restlichen Premieren-Ensemble besticht ganz besonders wieder Rebecca von Lipinski als herrlich hysterische und zickige Donna Elvira, deren Sopran auch in der größten Rage leuchtend rund und klar in den Höhen bleibt. Atalla Ayans Tenor wird bei aller für Mozart prädestinierten Stimm-Schönheit und technischer Agilität doch langsam zu üppig und kräftig, um auch den dynamischen Nuancen Don Ottavios Rechnung zu tragen.
Shigeo Ishino als etwas abgehalfterter und vokal zu wenig nuancierender Don Giovanni sowie der bis auf die seriöse Tiefe noch sehr potent und ausdrucksvoll agierende Matthias Hölle als Komtur ergänzen das Ensemble.
Leporello und die drei Damen waren die Sieger in der Publikumsgunst.
Udo Klebes