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STUTTGART: DON GIOVANNI – konzertante Spontanität

Staatsoper Stuttgart

„DON GIOVANNI“ 1.4.2022 (Wiederaufnahme 19.3.) – konzertante Spontanität

Das diffuse Corona-Infektionsgeschehen zwingt die Theater derzeit zu laufenden Spielplan- oder Besetzungs-Änderungen. Die Wiederaufnahme-Premiere der nun auch schon fast zehn Jahre alten Inszenierung von Andrea Moses konnte noch stattfinden. Dann schlug der Virus gleich bei mehr als der Hälfte der Solisten zu, so dass die zweite und dritte Vorstellung komplett abgesagt und durch „Hänsel und Gretel“ ersetzt werden mussten. Die vierte und letzte Vorstellung sollte jedoch aufgrund des Probenaufwandes unbedingt über die Bühne gehen. Die vier erforderlichen Einspringer konnten sich in der Kürze der Zeit jedoch nicht mehr in das szenische Konzept einarbeiten, weshalb der Beschluss einer konzertanten Aufführung fiel. Wie wir von einigen Beispielen der Vergangenheit wissen, bedeutet das heute nicht mehr zwangsläufig ein steifes Konzert hinter Notenständern, vielmehr eine aus der Spontaneität geborene, mit viel Mimik und Gestik bereicherte Wiedergabe. Wobei die Konzentration darauf die Essenz der Figuren womöglich trefflicher einfängt als bei szenischen Ablenkungen. In diesem Sinne entstand an diesem Abend der Eindruck, dass die acht Solisten es genossen, fern von fragwürdigen oder gar absurden Interpretationskonzepten in Abendkleid und Sakko Freude an der Erfüllung ihrer Rollen zu haben.

Opernintendant Viktor Schoner hatte da wiederholt guten Grund, eine seiner launigen und an Informationen und lockeren Nebenbemerkungen geradezu überschäumenden Ansagen vor Beginn zu machen. Mit der lobenden Ankündigung der eingesprungenen Interpreten wie auch der Hoffnung auf eine Aufführung, die trotz einer nicht unbedingt gegebenen „Überprobung“ Mozarts dramma giocoso gerecht werden wird, hatte er denn auch nicht zu hoch gegriffen.

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Marie Jaquot. Copyright: Werner Kmetitsch

Die Basis für diese in dieser Form somit einzige Fassung legte Marie Jacquot mit dem überaus locker und flexibel zur Sache gehenden Staatsorchester Stuttgart. Die derzeit groß aufsteigende, zur Chefdirigentin an der Königlichen Oper in Kopenhagen ernannte Französin ließ mit klarer unaufdringlicher Zeichengabe einen Mozart frei von Extremen in Dynamik und Tempo, flüssig, konzentriert aufs Wesentliche und ohne erzwungen wirkende Attribute an die historische Aufführungspraxis erstehen. Mit nur ganz minimalen Divergenzen fügten sich die Sänger in diesen Teppich, der tragische und heitere Elemente ohne Spannungsverluste miteinander verwob.

Zu den Ersatz-Solisten: in der Titelrolle hatte Björn Bürger sichtbaren Spaß am Wechsel von stichelnden Kommentaren und schmeichelnden Anzüglichkeiten, am Locken und Aufbrausen, am Charmieren und Trutzen. Sein wendiger, heller, in jeder Lage offen ansprechender, in den Höhen runder und die enormen Differenzierungen zwischen Ständchen, Champagnerlied und Höllenfahrt voll auskostender Bariton bot dazu ebenso wie seine große, schlanke, attraktive und smarte Erscheinung die ideale Grundlage.

Für Andreas Wolf bedeutete dies eine steile Konfrontation, um mit seinem Dienstherrn mithalten zu können, was ihm auch trotz gelegentlich zu steifem Blick in die Noten mit vielen kleinen Akzenten, vor allem auch in den Rezitativen, und seinem durch ein dunkleres Timbre deutlich kontrastierenden, weich und doch kräftig geführten Bass-Bariton letztlich  vollumfänglich gelang.

Vor der raumgreifenden Macht von Adam Palkas sonor fülligem, tragfähigem und für den Komtur passend finster eingefärbtem Bass hatte auch Don Giovanni letztlich guten Grund sich zu fürchten. Kaum eine szenische Metapher hätte diese in den Sitz bannenden „Grüsse“ aus der Hölle noch zu unterstreichen vermögen.

Bei den Damen war die Zerlina ein ensemble-eigener Ersatz: Esther Dierkes findet für das Bauernmädchen eine gesunde Mischung aus Naivität und Schlauheit, ihr ins Zwischenfach neigender Sopran hat den Liebreiz fürs Lyrisch Sanfte, aber auch die Durchsetzungskraft für klare Ansagen. Ihr Masetto Andrew Bogard hatte allen Grund, von ihr wechselnd betört und betrogen zu sein. Mit charakteristisch gefärbtem, sauber durchgeformtem Bass-Bariton und vitalem Spieldrang gewinnt er viel Bühnenpräsenz.

Und nun zu den erhaltenen gebliebenen Solisten: Diana Haller gibt Donna Elvira wie jedem ihrer bisherigen Rollenportraits eine bestechende Transparenz an Zwischentönen. Alle erheblichen technischen Ansprüche fließen bei ihr mit einer Selbstverständlichkeit und verdichten sich zwischen sopranhellem Glanz und dunklen Mezzotönen zu einem Mosaik, das aus der betrogenen Frau eine schillernde Persönlichkeit fern von blanker Hysterie werden lässt.

Im Vergleich dazu verbleibt Mandy Fredrichs konstant blonder Sopran in recht eintönigem Gewand, doch gibt sie der auch nicht ganz unschuldigen, zögerlich in Trauer verharrenden Donna Anna viel Seele und betört mit der nicht so oft so mühelose gelingenden Vereinigung von Lyrik, Dramatik und Koloratur.

Mingjie Leis Don Ottavio ist als ihr Verlobter beileibe kein Weichei. Fast statisch, aber mit bedeutsamen Blicken und Zeichen unterstreicht er seine Haltung, die durch einen golden timbrierten, geschmeidigen Tenor mit erfühlter Crescendo- und Decrescendo-Kultur veredelt wird.

Bleibt noch die kleine Formation des Staatsopernchors Stuttgart (Einstudierung: Bernhard Moncado), der seine kurzen Auftritte auch im Konzert-Rahmen gut integriert.

Und ein Publikum, das auch für eine konzertante Form, vor allem für eine wie diese verständlicherweise viel Begeisterung und sogar fallweises Trampeln hören lässt.

 

                                                                                                                      Udo Klebes

 

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