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STUTTGART: DIE FLEDERMAUS. Wiederaufnahme . Ironie und Hintersinn

06.07.2015 | Allgemein, Operette/Musical

STUTTGART: DIE FLEDERMAUS –  IRONIE UND HINTERSINN

Wiederaufnahme der „Fledermaus“ von Johann Strauß in der Staatsoper am 5. Juli 2015/STUTTGART

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Irma Mihelic, Simone Schneider. Copyright: A.T.Schaefer

Philipp Stölzl hat sich für seine „Fledermaus“-Inszenierung (Co-Regie und Choreographie: Mara Kurotschka) ein überaus fantasievolles, prall gefülltes Bühnenbild (Mitarbeit: Conrad Reinhardt) einfallen lassen. Im Zentrum des Geschehens steht der von Matthias Klink mit viel emotionaler Kraft verkörperte Gabriel von Eisenstein, der sich vor Antritt seiner Haftstrafe auf dem Maskenball des Prinzen Orlofsky (mit gesanglichem Klangfarbenreichtum: Helene Schneiderman) noch eine richtige „Sause“ gönnen will. Er gibt sich als französischer Marquis aus und versucht, mit einer kostbaren Damenuhr eine maskierte Unbekannte zu verführen. Klink kann aber auch deutlich machen, dass Eisenstein durchaus eine doppelbödige Figur ist. Im Walzerrausch bemerkt er nicht, dass es sich bei der schönen ungarischen Gräfin um die eigene Frau Rosalinde handelt, die von Simone Schneider mit filigranen Kantilenen und betörenden Spitzentönen gesungen wird.

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Helene Schneiderman (Orlofvsky). Copyright: A.T.Schaefer

Philipp Stölzl inszeniert dieses berühmte Meisterwerk als eine Art „Partykarussell“. Zunächst lungern Menschen und Tiere im Wald herum, der plötzlich die Sicht auf das pompöse Innere einer Villa aus der Kaiserzeit des 19. Jahrhunderts freigbit, die sich ständig dreht und den Sängern ein Höchstmaß an Flexibilität abverlangt, die alle in bewunderswerter Weise erfüllen. Das gilt insbesondere auch für die vom Prinzen Orlofsky mit zahlreichen Peitschenhieben ständig angetriebenen, hervorragenden „Ballettratten“ Alexandra Brenk, Kathrin Jürgen, Katharina Helene Kluge, Sandy Liebehenschel, Elisa Marschall und Kira Senkpiel, die die turbulente Szene kräftig aufmischen. Die bürgerliche Welt steht in diesem ungewöhnlichen, spektakulären Bühnenbild buchstäblich Kopf. Insbesondere der Maskenball beim Fürsten Orlofsky wirkt ausgesprochen skurril und grotesk. Man begreift, dass die eigentliche Intrige in dem Moment beginnt, als dem Bourgeois Gabriel Eisenstein aufgrund seiner cholerischen Eitelkeit eine Gefängnisstrafe droht. Mit dem von Sebastian Kohlhepp ironisch verkörperten Gesangslehrer Alfred verbindet Eisensteins Gattin Rosalinde eine köstliche Liaison, die aufgrund der drohenden Entdeckung durch den eifersüchtigen Ehemann ständig in einer Uhr endet, in die der „Liebhaber“ hineinflüchtet. Dort singt er dann leidenschaftlich vorgetragene Arien aus Mozarts „Zauberflöte“, Verdis „Rigoletto“ und Wagners „Walküre“. Bei den „Winterstürmen“ fällt er geradezu in leidenschaftlicher Liebesumarmung über die Hausherrin her. Diese sexuellen Ausschweifungen steigern sich dann in heftiger Weise bei Prinz Orlofskys frivolem Maskenball, bei dem die als Schweine, Hunde und Krähen verwandelten Gäste völlig ausrasten. Auch Irma Mihelic vermag als hysterisches Stubenmädchen Adele das Publikum zu überzeugen, die wegen ihrer angeblich todkranken Tante in Weinkrämpfe ausbricht. Die rhythmische Rotation steht bei dieser gelungenen Inszenierung stets im Mittelpunkt. Der Salon dreht sich als Ort der Repräsentation durch die angestaute Leidenschaft wie ein Uhrwerk. Und die schwankende Welt meldet sich im schrägen Walzer- und Polka-Charakter. Auch die Körpersprache der Figuren lässt die inneren Regungen plastisch sichtbar werden. Dies ist nicht nur bei der witzigen Partie des von Torsten Hofmann verkörperten Dr. Blind der Fall, sondern zeigt sich ebenso im Franzosendialog zwischen Eisenstein alias Renard und dem von Karl-Friedrich Dürr mit herrlich behäbiger Nonchalance dargestellten Gefängnisdirektor Frank alias Chevalier Chagrin sowie in Adeles ausuferndem Tantendialog mit Rosalinde. Das letzte Bild der Inszenierung zeigt dann einen nachdenklichen Prinzen Orlofsky, dem Helene Schneiderman wirklich viele Gesichter zu verleihen vermag. Peter Kurth fügt sich in dieses Perpetuum mobile als Frosch mit fast schon stoischem Gleichmut ein, indem er sich über die Figur des Pinocchio lustig macht, für den man einen „Holz-Nasen-Ohrenarzt“ brauche. Bei der Inszenierung sieht man jedenfalls, dass sich die Herrschaftspyramide neu ordnet, sobald sich die Gesellschaft verändert. Das Quadrat des bürgerlichen Salons wird hier immer wieder ad absurdum geführt. Der Salon Eisenstein ist ein Repräsentations- und Konfliktraum, in dem die Privilegien stets aufs Neue verteidigt werden müssen.

Musikalisch kommt diese Aufführung beim Publikum ebenfalls bestens an. Der Dirigent Simon Hewett wird den Tempomodifikationen zusammen mit dem Staatsorchester Stuttgart und dem von Christoph Heil sorgfältig einstudierten Staatsopernchor sehr gut gerecht. Nur manchmal gerät die harmonische Balance ins Schwanken, was dann aber wieder ausgeglichen werden kann. Vor allem das extreme Wechselbad der Gefühle gelingt dem gesamten Ensemble dank Simon Hewetts Dirigat ausgesprochen bemerkenswert. Der flotte Alla-Breve-Charakter der Ouvertüre wird konsequent durchgehalten. Und auch der Fledermauswalzer betört die Zuhörer mit einem ausgefeilten Tempo di Valse, das nicht übertrieben wird. Ein crescendo molto führt direkt in den Walzereinsatz. Simon Hewett hat sich bei der Korrektur der Dynamik und Tempoangaben glücklicherweise zurückgehalten. Das Kammermädchen Adele ist auch hier dank Irma Mihelic eindeutig für die Komik des Stückes zuständig. Und der Gerichtsdiener Frosch erhält dank Peter Kurth durchaus eine kabaretthafte Bedeutung. Die Parodie von Gefühlsausbrüchen vermag vor allem Matthias Klink als Gabriel von Eisenstein hervorragend zu steuern. Der „Carneval in Rom“ beim Prinzen Orlofsky gerät so zu einer unglaublichen Walpurgisnacht, die ganz im Sinne von Shakespeares „Sommernachtstraum“ alle in einen Rausch versetzt. Bei der harmonischen Weiterentwicklung trägt Hewett der klassischen Sonatenhauptsatzform mit Einleitung, Exposition, Durchführung, Reprise und Coda Rechnung. Das gilt auch für die verblüffende Verknüpfung von Gesangsthema und Cancan im Doppelbild des dritten Abschnitts. Im ersten Akt werden die reizvollen Assoziationen zu Mozarts „Entführung“ im spielopernhaften Romanzenton betont, und die silbrige Koloratur der Adele erhält bei Irma Mihelic in zuweilen schwärmerischen Kantilenen durchaus Gewicht. Der Polka im Orchester als Erinerungsmotiv des Festes beim Prinzen Orlofsky verleiht Simon Hewett gebührendes Gewicht. Eisensteins turbulente Advokatenbeschimpfung gerät nicht nur musikalisch facettenreich. Im chromatisch rasanten Abwärtsgang entlädt sich aufgestaute Wut. Die Festpolka ist von klangfarbenreichen Stimmungsmalereien geprägt, buffohafte Affekte werden eher dezent unterstrichen. Und der Rhythmus der Polka mazurka beim Trinklied gerät elektrisierend. Dass der zweite Akt ein großes Fest ist, kommt szenisch und musikalisch ebenfalls gut zum Vorschein, insbesondere der Staatsopernchor kann sich hier glänzend profilieren. Und die Figur des Orlofsky hat nicht nur etwas Playboyhaftes, sondern erinnert in Helene Schneidermans ausgeklügelter Darstellung vor allem an einen ausgeflippten Harlekin, der seine Wurzeln in der Commedia dell’arte hat. Rede und Gegenrede bei Annäherung, Umgarnung und Inbesitznahme der Uhr Eisensteins erhalten herzschlagartiges Profil. Die Tik-Tak-Schnellpolka fordert ihren ungestümen Tribut. Champagner-Polka und Champagner-Lied münden in einen leidenschaftlichen Verbrüderungswalzer, der in der rasanten Coda der Champagner-Polka gipfelt. Die dämonische Aura des „Drahtziehers“ Dr. Falke bleibt allerdings eher im Hintergrund. Mara Kurotschkas Choreographie fasziniert auch in dem sich ständig drehenden Salon, wobei die „erotischen“ und in Strapsen auftretenden Ballettratten von der Menge wild angefeuert werden. Immer wieder fühlt man sich an parodierte Opernszenen erinnert – und dies nicht nur beim Terzett Nr. 15. Im Finale mit der Polka francaise und dem klar strukturierten Sonatenthema der Ouvertüre kann sich Simon Hewett als umsichtiger Dirigent ebenfalls profilieren. Josefin Feiler vermag Adeles Schwester Ida mit gesanglicher Energie darzustellen.

Ursula Kudrnas Kostüme passen sich den souveränen Lichteffekten von Volker von Schwanenflügel bestens an (Dramaturgie: Xavier Zuber). Man kann sagen, dass diese „Fledermaus“ eine von filmischen Effekten stark beeinflusste Produktion ist. Stölzl ist ja auch als Regisseur von Kinofilmen wie „Nordwand“ (2008) oder „Goethe!“ (2010) bekannt geworden. Für das Ensemble gab es wieder einmal frenetischen Schlussjubel (szenische Einstudierung der Wiederaufnahme: Verena Stoiber). Und bei der Einführung präsentierte Studienleiterin Ansi Verwey eine „Fledermaus“ der fast schon satirischen Art. Die „Rache einer Fledermaus“ ist dabei auch eine gnadenlose Abrechnung mit der vermeintlichen Realität des bürgerlichen Establishments. Dies zeigt sich insbesondere beim von Andre Morsch als eine Art Dr. Mabuse gemimten Notar Dr. Falke.

 

Alexander Walther           

 

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