Stuttgart: „DIE FLEDERMAUS“ 8.7. 2015 (WA 5.7.) – Auch mit Abstrichen ein Vergnügen
Die bürgerliche Welt steht Kopf – im Uhrenduett mit Simone Schneider (Rosalinde) und Matthias Klink (Eistenstein). Copyright: A.T. Schaefer
Auch wenn die szenischen Erweiterungen (Dialoge zwischen Orlofsky und Frosch als Prolog und Epilog, die fast dauerpräsenten „Ratten“) in dem auch ohne diese Zutaten genug für sich sprechenden Werk etwas irritierend wirken und die von Prinz Orlofsky mit der Peitsche angetriebenen und gezüchteten angehenden Künstlerinnen zu dick aufgetragen sind, um die Problematik von privaten Mäzenen zu beleuchten, läuft Philipp Stölzls Regie immer wieder zur Hochform auf, weil er wesentliche Vorgaben mit der Balance zwischen Ernsthaftigkeit und Ironie kombiniert. Die inmitten eines abgestorbenen Waldes im zweiten Akt auf den Kopf gestellte Szenerie des Eisenstein’schen Speisezimmers, die während des Uhrenduetts einmal um die Achse kreist, und im Gefängnis des dritten Aktes endgültig in Schieflage geraten ist, stellt nach wie vor eine bewundernswerte Attraktion des auch für die Bühne verantwortlichen Regisseurs dar. Der doppelte Boden hat so jedenfalls eine deutliche optische Komponente.
Zu den zeitgerechten Kostümen der Goldenen Operettenaera von Ursula Kudrna wollen die sogenannten Ratten in Strapsen allerdings gar nicht passen.
Musikalisch gesehen pendelt sich Strauß populärstes Bühnenwerk auch mit zum Teil neuen Besetzungen auf einem erfreulichen Niveau ein. Als wesentlicher Faktor stimmte das Gespür seitens des Dirigenten für die rhythmischen und klangfarblichen Akzente. Unter der Leitung von Simon Hewett, dem wie sich jetzt zeigt, vielseitigen Ersten Kapellmeister des Hauses, folgte das Staatsorchester Stuttgart in allen Bereichen mit hellwacher Animation durch all die wesentlichen Be- und Entschleunigungen der Tempi.
Als neue Adele präsentierte sich Irma Mihelic am Ende ihres zweiten Jahres im Opernstudio mit einem allen lyrischen Koloraturanforderungen gewachsenen Sopran mit rundum klarer Intonation, sicheren Höhenaufschwüngen, guter Textverständlichkeit und einer lockeren schauspielerischen Note. Nur zur erstklassigen vokalen Umsetzung ihrer „Unschuld vom Lande“ dürfte sich noch etwas mehr Talent für spielerische Rollen-Imitationen gesellen.
Helene Schneidermans menschlich berührender Prinz Orlofsky. Foto: A.T.Schaefer
Dr. Falke, den Drahtzieher der Rache einer Fledermaus, über die Helene Schneiderman als spätpubertärer Orlofsky wieder so herrlich befreit lachen darf und die Partie auch mit ihrem leichten und doch satten Mezzo zum Funkeln bringt, ist jetzt André Morsch anvertraut worden. Der moussierende Lebemann gerät ihm anfangs noch etwas schwer, auch sein gleichmäßig ansprechender Bariton von angenehmer Klangfarbe lockerte sich erst, als es um die feierliche Beschwörung von „Brüderlein und Schwesterlein“ ging.
Der treffendste Neuzugang ist Sebastian Kohlhepp als Alfred. Nach seinem emphatisch virtuosen Vorklassik-Lucio Vero war einiges zu erwarten; dass er den draufgängerisch bestürmenden Tenorliebhaber mit so herrlich frischem Überschwang und einer schmelzreichen Nuancierung inklusive leicht ansprechender Höhe zur Volltreffer-Figur aufwertete, erfreute und überraschte dann doch über alle Maßen.
Wer den Gerichtsdiener Frosch als österreichisches Original liebgewonnen hat, tut sich mit einer preußischen Version schwer – Peter Kurth stieß dennoch auf viel amüsantes Echo, weil er den nicht allesamt zündenden vorgegebenen Bemerkungen das Bestmögliche machte.
Simone Schneider erwies sich wieder als perfekt damenhafte Rosalinde mit breiter fülliger Mittellage und üppigen, aber noch genügend Leichtigkeit aufweisenden Spitzen; Matthias Klink gab erneut einen spielgewandten, vokal Lyrik und Charakter flexibel austarierenden Eisenstein, Karl Friedrich Dürr einen jovial gemütlichen Dr. Frank mit noch ausreichenden, wenn auch teilweise schon etwas frei mit der Gesangslinie umgehenden bassbaritonalen Mitteln.
Torsten Hofmann (Dr.Blind) und Josefin Feiler (Ida) sowie der wie immer voll auf dem Posten agierende und sich animierend verlautbarende Staatsopernchor komplettierten das Personal. Viele Vorhänge für in Summe doch viel Vergnügen.
Udo Klebes