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STUTTGART: DER WIDERSPENSTIGEN ZÄHMUNG / Ballett. Debut und Abschied

Stuttgarter Ballett: „DER WIDERSPENSTIGEN ZÄHMUNG“ 26.12. 2013. nm.+ab. –Debut und Abschied

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Das erfolgreiche Debutanten-Paar Anna Osadcenko (Katharina)  und Marijn Rademaker (Petrucchio). Copyright: Stuttgarter Ballett

 Der Balanceakt von Ernst und Komik war Anna Osadcenko und Marijn Rademaker erst vor kurzem in Christian Spucks „Le Grand Pas de deux“ treffsicher gelungen – also beste Voraussetzungen für ihr nun erfolgtes gemeinsames Debut als Katharina und Petrucchio in John Crankos Ballett-Komödie.

Vom ersten Moment an stimmt die Chemie zwischen ihnen, herrscht gegenseitiges Verständnis für die beabsichtigte bzw. spontan entworfene Interpretation des anderen. Anna Osadcenko hat sich ohnehin innerhalb der letzten zwei Jahre zu einer Ballerina mit unverkennbarem persönlichem Profil entwickelt, die den verschiedensten Partien einen Stempel weit übers rein Technische hinaus aufzudrücken vermag. Mit verkniffenem Mund spielt sie in diesem Shakespeare-Stoff das Widerborstige Katharinas aus, vorerst noch etwas schaumgebremst im schlegelnden und bedrohlichen Ausleben ihrer Gegenwehr, doch intuitiv so auf den Punkt gebracht, dass der Bogen nicht ins Lächerliche überspannt wird.

Bis zum Schluss-Pas de deux steigert sich die Harmonie mit dem Partner zu schöner Übereinstimmung und die finale Vereinigung zum von Adrenalin gepushten Spaß im Überglück. Marijn Rademaker, der Vielseitige, ist allemal für Überraschungen gut und findet sich auch in der Rolle des Machos glaubhaft gut zurecht. In mancher Situation lässt er mehr Nachdenklichkeit im Minenspiel als die großzügige Geste walten, macht er begreifbar, dass hinter der Widerstandbrechung Katharinas Klugheit und Herz gleichermaßen stehen. Die vielen Drehungen sitzen tadellos, in der Koordination der Hebungen zeigt er Gewandtheit, nur bei den für spezielle Effektivität sorgenden Triple-Tours en l’air dürften ihm vermutlich anatomische Grenzen gesetzt sein. In der Summe ein glänzender Rollenstart mit sich ihm in der Zukunft hoffentlich bietenden Ausbau- und Vertiefungsmöglichkeiten.

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Charmant und technisch ausgeglichen: Miriam Kacerova (Bianca) und Constantine Allen (Lucentio). Copyright: Stuttgarter Ballett

 Weihnachten bedeutete auch für alle weiteren Solisten an diesem Nachmittag die Nervenspannung des Debuts anstatt Feiertags-Ruhe. Bis zum Sommer 2012 war er noch in der Cranko-Schule,  jetzt tanzt der auf Hawaii aufgewachsene Amerikaner mit exotischem Einschlag Constantine Allen als Halbsolist bereits den Danseur noble-Part des Lucentio und wird dieser gerne etwas blassen klassischen Rolle mit umwerfend charmanter Ausstrahlung, durch seine Größe zusätzlich betonter Eleganz und weich anmutiger Sprungkraft auf Anhieb gerecht. Lernen sollte er noch die Konzentration etwas weniger auf sein Selbstbewusstsein und mehr auf die spielerische Komponente mit seinen beiden Kontrahenten zu richten. Ausbügeln lassen sich sicher auch noch ein paar kleine Hänger im musikalisch verklärten Pas de deux mit Bianca, die Miriam Kacerova in einer überzeugenden Mischung aus mädchenhafter Unbedarftheit und fraulicher Gesetztheit zum Leben erweckt und sich technisch leicht und locker zurecht findet.

Viele neue Pointen weiß Robert Robinson als Gremio im Umgang mit Schal und Schnupftuch auszuschöpfen, lässt seinen unverkennbaren britischen Humor auch dort noch wirksam werden, wo manch anderer hinter Maske, Perücke und kompakter Gewandung kaum noch zu erkennen ist. Alexander Mc Gowan wiederum ist ein nicht zu eitler, fast noch kindlicher Hortensio mit der tänzerischen Quirligkeit einer Gummipuppe. Die beiden unfreiwillig mit ihnen verheiratet werdenden Freudenmädchen bedeuten für die Neulinge Alessandra Tognoloni und Heather MacIsaac gebührenden Spaß mit entwicklungsfähiger gestischer Effizienz. Im zur Hälfte neu besetzten Pas de six haperte es noch hie und da an synchroner Übereinstimmung.

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Ein letztes Mal Katharina und Petrucchio – Maria Eichwald und Filip Barankiewicz. Copyright: Stuttgarter Ballett

Am selben Abend gab es die letzte Gelegenheit die beiden mit Ende der Spielzeit scheidenden Ersten Solisten Maria Eichwald und Filip Barankiewicz in den Hauptrollen zu erleben. Bedingt durch die Verletzung eines Kollegen wurden sie zwar erst jetzt zu Partner in diesem Stück, erzielten indes durch ihre Erfahrung und menschliche wie geistige Reife eine sofortige charakterliche Verschweißung, als ob sie immer zusammen gehört hätten. Und erfüllten darüber hinaus mit bis ins letzte Detail erfasster Identifikation sowie technischer Vollendung alle Wünsche. An der Seite von Hyo Jung Kangs rundum stimmig ausgefüllter Bianca gelang es David Moore als Lucentio neben tadelloser Kavaliers-Technik endlich auch gestalterische Marken zu setzen und weitreichendere Bühnenpräsenz zu erzielen.

Bereits in der gleich besetzten Vorstellung fünf Tage zuvor wurde das Stuttgarter Ballett vom Europäischen Kulturforum für seine Bedeutung als Kulturbotschafter in aller Welt und für seine beständige Entwicklung und Hervorbringung neuer Choreographen mit dem Europäischen Kulturpreis, einer undotierten Urkunde, ausgezeichnet. Umsäumt von einem Blumenbukett und Luftballons richtete Ballettintendant Reid Anderson nach der Rede von Baden-Württembergs Ministerpräsident Wilfried Kretschmann seinen besonderen Dank an John Cranko, der die entscheidende Grundlage für den bis heute andauernden Erfolg der Compagnie geschaffen hatte: „Danke John!“                                              

Udo Klebes

 

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