
Michael Wilmering, Daniel Kluge, Karl Friedrich Dürr und Simon Bailey. Copytight: Martin Sigmund
Kaum zu glauben, dass sich das Publikum in den 80er Jahren im Foyer der Staatsoper wegen dieser Inszenierung von Achim Freyer verprügelte. Sie genießt mittlerweile zu Recht Kultstatus. Freyer hat hier die Natur geschickt in einem Bühnenbild versteckt. Immer wieder platzt diese Fassade – bis hin zum unheimlichen Höhepunkt mit der Wolfsschluchtszene, wo man sich an Hieronymus Bosch erinnert. Schließlich braust mit unheimlicher Macht ein Gewitter vorüber, die Bühne scheint auseinanderzufallen, Gespensterfiguren bevölkern die Szene. Beim berührenden Jägerchor triumphiert dagegen satirische Ironie in einer ländlichen Idylle. Um die Hand seiner geliebten Agathe zu gewinnen, muss der Jägerbursche Max einen Volltreffer landen. Deswegen lässt er sich in der Wolfsschlucht mit „finsteren Mächten“ auf einen gefährlichen Pakt ein: Sechs todsichere „Freikugeln“ stehen ihm zur Verfügung, mit der siebten darf der Teufel ein beliebiges Menschenopfer aussuchen. Mit Kaspar gießt er dann in der Wolfsschlucht die Freikugeln, bis Satan in Gestalt Samiels erscheint und beide ohnmächtig werden lässt. Über allem thront das Gottesauge und gibt der Inszenierung ein spezifisches Ambiente, deren „Wälder und Auen“ bis in den Zuschauerraum hineinragen.
Timo Handschuh dirigiert das Staatsorchester Stuttgart mit feinem Gespür für dynamische Kontraste. Dies zeigt sich sogleich bei der Wiedergabe der Ouvertüre, wo sich die Hörnermelodie mit aller Klarheit behaupten kann. Das Samielmotiv entfaltet unheimlichen Zauber, der nicht nachlässt. Das Motiv der Hilflosigkeit beherrscht zentral den deutschen Wald, der in Achim Freyers Inszenierung eine durchsichtige Aura besitzt. In strahlendem C-Dur verkündet das Agathenmotiv in der Coda schließlich im Freudentaumel den Sieg des Guten. Der von Johannes Knecht mit viel Einfühlungsvermögen einstudierte Staatsopernchor zeigt seinen Sinn für böhmisches Musikantentum beim „Viktoria“-Chor. Die innere Ratlosigkeit von Max im Gegensatz zur Güte Kunos und der unheimlichen Art Kaspars arbeiten die Sänger sehr überzeugend heraus. Daniel Kluge als Max, Simon Bailey als Kaspar und Karl-Friedrich Dürr als Kuno ergänzen sich stimmlich in ansprechender Weise. Der Verzweiflungsarie von Max „Doch mich umgarnen finstre Mächte“ gewinnt Daniel Kluge ergreifende Wirkung ab. Auch die tröstende Melodie der Jäger „O lass Hoffnung dich beleben“ sticht reizvoll hervor. Das Verschwinden der tanzenden Paare beim einleitenden Walzer besitzt verführerischen Schwung. Immer wieder lebt sehr stark die Welt E.T.A. Hoffmanns auf. Das „Trinklied“ bezeichnete Hoffmann übrigens „als die Krone aller Weberscher Lieder“. Simon Bailey als Kaspar hat hier einen großen Auftritt, in der Dunkelheit blitzt sein Gesicht dämonisch hervor. Die höllischen Mächte werden suggestiv beschworen. Auch die Nähe zur italienischen Oper neapolitanischer Prägung wird nicht verleugnet. Den auffallenden „Trinklied“-Wechsel von h-Moll über D-Dur nach h-Moll zurück zeichnet Handschuh mit dem stets wandlungsfähigen Staatsorchester minuziös nach. Diese Liebe zum Detail beherrscht auch die Charakterisierung Agathes, wo Christiane Kohl mit ebenmäßigen Kantilenen rasch Profil gewinnt. Sie gibt dieser Figur eine Seele, die im Laufe der Handlung immer mehr reife Tiefe gewinnt und das Publikum dadurch berührt. Man spürt förmlich das Hereinfließen des Mondlichts bei diesem berührenden Gesang. Und das Raunen und Rauschen der nächtlichen Natur flimmert in den facettenreichen Sechzehnteln der Violinen und Celli auf.

Laura Bendziunaite, Christiane Kohl. Copyright: Martin Sigmund
Lauryna Bendziunaite gewinnt dem frischen Bolerorhythmus bei der Ariette Ännchens viele reizvolle Klangfarben ab. Die „Wolfsschlucht“-Szene mit dem fis-Moll-Zauber der Wolfsschlucht und dem c-Moll für Samiel gelingt mit dem Staatsorchester Stuttgart unter Timo Handschuhs Leitung vortrefflich. Die Bildmächtigkeit dieser Inszenierung verschmelzt so völlig mit der musikalischen Struktur. Bei Kaspars Gesang meldet sich dann das Umgarnungsmotiv wieder. Totenstille und Bewegung schaffen eine elektrisierende Spannungskraft, die auch die Geistererscheinungen und das atemlose Hereinbrechen der wilden Jagd beherrschen. Agathe kniet im dritten Aufzug vor dem Fenster, das den Blick in eine endlose Landschaft öffnet. Die Tonart As-Dur steht hier in bewegendem Kontrast zur D-Dur-Tonart der Chöre. Wie stark das Finale mit dem Jägerchor und der daran anschließenden Sprechszene eine innere Einheit bildet, macht diese bedeutende Inszenierung Achim Freyers deutlich (szenische Leitung der Wiederaufnahme: Nina Dudek). Mit dem Cellorezitativ wird zu Agathes Gesang „Wo bin ich?“ in sensibler Weise übergeleitet. Aus c-Moll wird nun ein überwältigendes C-Dur, das die hell strahlende Erscheinung des Eremiten bestimmt, der das Schicksal von Agathe und Max rettet. David Steffens gestaltet den Eremiten mit sonorem Bass. Der Schlusschor „Der rein ist von Herzen“ lässt das gesamte Ensemble mitsamt dem Kinderchor nochmals in vollem Glanz aufblühen. In weiteren Rollen fesseln Ashley David Prewett als Ottokar, Michael Wilmering als Kilian, Kristian Metzner als Samiel sowie Henrik Czerny und Alois Riedel als die beiden Jäger. Fanny Kampmann, Tabea Klaschka, Anke Maurer, Adriane Sorg, Silvia Kaiser, Pia Liebhäuser und Brigitte Czerny gestalten voller Humor und erfrischender Erscheinung die Brautjungfern.
Hinzu kommen stets mit Profil Adelheid Kreisz (Puppen und Spiel), Daniel Kaleta, Johannes Petz, Stephan Storck (Musikanten), Klaus Kächele (Dirigent im Jägerchor), Birte Kessler, Jutta Müller (Schankmädchen) und Madeleine Przybyl (Solo-Bratsche).
Trotz ihrer 38 Jahre hat diese Inszenierung nichts von ihrer Aktualität verloren. Die Genialität des Bühnenbildners Achim Freyer zeigt sich auch in der Gestaltung der Kostüme. Entsprechender Jubel des Publikums dankte dem gesamten Team.